Feuertod in Dessau Feuertod in Dessau: Bundesgerichtshof bestätigt Urteil im Fall Jalloh

Karlsruhe - Fast zehn Jahre nach dem Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle hat das höchste deutsche Strafgericht den umstrittenen Fall zu den Akten gelegt. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe wies am Donnerstag alle Einsprüche gegen ein Urteil des Magdeburger Landgerichts zurück. Damit ist die Geldstrafe von 10 800 Euro für den damals verantwortlichen Polizisten rechtskräftig.
Der BGH bestätigte auch die Beweisführung des Landgerichts, wonach der Mann aus Sierra Leone in betrunkenem Zustand das Feuer in seiner Zelle selbst gelegt haben soll. Allerdings läuft noch ein Ermittlungsverfahren der Dessauer Staatsanwaltschaft zur genauen Todesursache. „Die Akte Jalloh ist noch nicht geschlossen“, sagte ein Sprecher der Behörde in Dessau-Roßlau. „Es wird weiter gegen Unbekannt ermittelt, zu der Frage, wie es zu dem Brandausbruch gekommen ist.“
Oury Jalloh kommt bei einem Brand in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers ums Leben. Der Mann aus Sierra Leone war in Gewahrsam, weil ihm vorgeworfen wurde, mehrere Frauen belästigt zu haben. Außerdem sollte seine Identität geklärt werden. Da er sich heftig wehrte, wurde er an Händen und Füßen gefesselt.
Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen zwei Polizisten. Ein Dienstgruppenleiter soll den Rauchmelder der Zelle ignoriert haben. Ihm wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Der zweite Beamte wird wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, weil er ein Feuerzeug in Jallohs Hose übersehen haben soll. Die Anklagen werden zunächst nicht zugelassen.
Gutachter kommen zu dem Schluss, dass der angeklagte Dienstgruppenleiter am 7. Januar 2005 falsch reagierte. Nach Einschätzung von Brandexperten wäre der Mann „bei rechtzeitigem und sachgerechtem Handeln“ des Polizisten zu retten gewesen.
Am Landgericht Dessau beginnt der Prozess gegen die beiden Polizisten. Sie bestreiten die Vorwürfe im Wesentlichen. Die Mutter Jallohs ist als Nebenklägerin vertreten.
Das Landgericht Dessau-Roßlau spricht die beiden angeklagten Polizisten frei.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entscheidet, dass der Prozess gegen den Dienstgruppenleiter neu aufgerollt werden muss. Der Freispruch des anderen Beamten ist rechtskräftig.
Am Landgericht Magdeburg beginnt der neue Prozess.
Der Angeklagte sagt aus, trotz des mehrfachen Alarms nicht an einen Brand in der Zelle gedacht zu haben. Mindestens einmal habe er den Alarm ausgestellt.
Das Landgericht Magdeburg verurteilt den Beamten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 90 Euro. Gegen das Urteil legen der Verurteilte, die Staatsanwaltschaft sowie die Nebenklage Revision ein. Der BGH muss sich ein zweites Mal mit dem Fall befassen.
Der Bundesgerichtshof bestätigt das Urteil des Landgerichts Magdeburg. Damit ist die Verurteilung in letzter Instanz rechtskräftig abgeschlossen.
Unterstützer der Oury-Jalloh-Initiative reagierten empört auf das Karlsruher Urteil. Sie riefen im Gerichtssaal: „Schande!“ und „Oury Jalloh - das war Mord!“. Ein von der Initiative in Auftrag gegebenes Gutachten eines irischen Brandsachverständigen gilt als Auslöser der weiteren Ermittlungen der Dessauer Staatsanwaltschaft.
"Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit"
„Der tragische Tod bewegt die Öffentlichkeit ganz zu Recht und hinterlässt Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit“, sagte die Vorsitzende Richterin Beate Sost-Scheible zur Urteilsverkündung. Doch Erwartungen der Öffentlichkeit dürften „nicht Maßstab für die Entscheidungsfindung eines Gerichts sein“. Das Urteil traf indes auf Kritik. Es sei eine große Enttäuschung und werde dem Opfer nicht gerecht, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, aus Dessau-Roßlau. „Es ist beschämend, dass in einem Rechtsstaat ein Mensch in staatlichem Gewahrsam unter ungeklärten Umständen zu Tode kommen kann und die Todesumstände nun für immer ungeklärt bleiben werden.“
Der Fall beschäftigte den 4. Strafsenat des BGH schon zum zweiten Mal. 2010 hob er einen Freispruch des Landgerichts Dessau auf. Daraufhin befand das Landgericht Magdeburg in einem neuen Prozess, dass der verantwortliche Dienstgruppenleiter gegen Bestimmungen der Gewahrsamsordnung verstoßen hatte, und gelangte im Dezember 2012 zu dem Urteil wegen fahrlässiger Tötung.
Was die Verteidigung des Polizisten zum Urteil sagt, lesen Sie auf Seite 2.
Zwar hätte der Polizist den Gewahrsam von einem Richter überprüfen lassen müssen. Das Gericht gestand dem Angeklagten hier aber einen „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ zu, weil der Polizist die Bestimmung nicht gekannt habe und weil dies bei der Dessauer Polizei keine gängige Praxis gewesen sei. Der Verteidiger des heute 54 Jahre alten Polizisten, Hans-Jörg Böger, sprach von einem „salomonischen Urteil“. Jeder weitere Tag in dem Verfahren hätte für seinen kranken Mandanten einen massiven psychischen Druck bedeutet. Der Anwalt hatte Freispruch beantragt.
Ein Sprecher eines Dessauer Bündnisses, das Gedenkveranstaltungen für Jalloh in der Stadt unterstützt, nannte das Urteil einen Skandal. „Denn es gehört zum ABC eines Polizisten, dass er weiß, dass ein Richter über den Gewahrsam zu entscheiden hat.“ Vom Land Sachsen-Anhalt forderte er, Jallohs Familie zu entschädigen. Laut Sost-Scheible hat das Landgericht Magdeburg an 67 Verhandlungstagen eine umfassende Beweisaufnahme vorgenommen. Bei der Würdigung der Beweise habe es keine Rechtsfehler gegeben. Dies gelte auch für die Feststellung der Brandursache.
50 Seiten Stellung zur Todesursache
Das Landgericht habe im Urteil auf mehr als 50 Seiten Stellung zur Todesursache genommen, sagte ein Sprecher in Magdeburg. Eine Fremdeinwirkung konnte seinen Angaben zufolge ausgeschlossen werden. „Wenn ein Richter Jalloh gesehen hätte, hätte er sicherlich keinen Anlass gesehen, den Gewahrsam fortzusetzen, und die Einweisung in ein Krankenhaus veranlasst“, sagte Gabriele Heinecke, Rechtsanwältin von Jallohs Bruder Mamadou Saliou Diallo. Die Nebenkläger hatten eine Aufhebung des Magdeburger Urteils beantragt und eine Verurteilung des Polizisten wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge verlangt.
Jalloh war in Gewahrsam, weil ihm vorgeworfen wurde, mehrere Frauen belästigt zu haben. Außerdem sollte seine Identität geklärt werden. Da er sich heftig wehrte, wurde er an Händen und Füßen gefesselt.