Fernsehen Fernsehen: Anne Will verspricht Talkshow ohne Politiker-Sprechblasen

Berlin/dpa. - In der Talkshow werde sie neben hochrangigen Gästen auch normale Bürger zu Wort kommen lassen und die Politik mit der Realität konfrontieren.
ARD-Chefredakteur Thomas Baumann kündigt bürgernahe Themen an. «Was wir nicht wollen sind Pauschaldebatten über den Standort Deutschland. Das hat sich erschöpft.» Anne Will beginnt am 16. September mit ihrer neuen Talkshow in der ARD als Nachfolgerin von Sabine Christiansen.
Rund fünf Wochen später, am 24. Oktober, rückt FrankPlasberg mit «Hart aber fair» ins «Erste». Zusammen mit MaybritIllner im ZDF gibt es dann drei größere politischeDiskussionssendungen pro Woche. «Natürlich wird in meiner Talkshoweiniges anders werden, aber ich kann das Fernsehen nicht neuerfinden», sagt Anne Will.
Wenn die ARD am dritten Sonntag im September nach dem «Tatort»-Krimi ins Studio D nach Berlin-Adlershof schaltet, wird die 41-Jährige ohne Schnörkel zur Sache kommen. «Es gibt keinen Vorspannoder Einspielfilm, nur eine kurze Musik», berichtet sie. «Dann fährtdie Kamera in sieben Sekunden auf mich zu und ich begrüße die Gäste.»
Die Erwartungen sind hoch. ARD-Chefredakteur Thomas Baumann sagt:«Ich gehe davon aus, dass die Talkshow die Plattform für politischeund gesellschaftliche Meinungsbildung im deutschen Fernsehen seinwird.» Anne Will kennt den Druck, ihre Vorgängerin lockte imDurchschnitt rund 3,6 Millionen Zuschauer vor die Schirme, eineQuotenerwartung steht im Vertrag. «Das ist ein Erfolgsformat, an dasich anknüpfe. Man kann Quoten verteufeln, aber sie stehen für dasZuschauerinteresse und daran muss allen gelegen sein.» Nach zweiProbesendungen ist sie selbstsicher und glaubt an den Erfolg.«Offensichtlich brauche ich nach all den Jahren nur noch wenigAnlauf, um mich in einem Studio zu Hause zu fühlen.»
Die Themen sollen laut Chefredakteur Baumann konkret und bürgernahsein. «Was wir nicht wollen sind Pauschaldebatten über den StandortDeutschland. Das hat sich erschöpft.» In der Sendung mit hochrangigenGästen wird sich Anne Will auch Zeit nehmen, normale Bürger über dieAuswirkungen der Politik zu befragen. «Die Politik mit der Realitätkonfrontieren», hat sich die mehrfach ausgezeichnete Journalistinvorgenommen. Sprechblasen will sie nicht zulassen. Wenn sie es mitihrer berühmten hoch gezogenen linken Augenbraue nicht schafft, wirdAnne Will auch einhaken. «Derzeit überlege ich mir Sätze, mit denenich jemanden auf charmante und höfliche Art unterbrechen kann.» IhrMotto lautet: «Politisch denken, persönlich fragen.»
Die Kritik von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der zweiJahre Talkshow-Enthaltsamkeit für Politiker forderte, ärgert die ARD-Verantwortlichen. «Es ist die vornehmste Aufgabe der Politik,Entscheidungen verständlich zu machen», betont Will. ZDF-KolleginMaybrit Illner meint sogar: «Es passiert doch jeden Tag genug, imGrunde könnte man auch täglich eine politische Talkshow machen.» DerLeipziger Medienprofessor Hans-Jörg Stiehler hofft, dass Anne WillVerkrustungen aufbrechen kann. «Sie ist zu klug, um eine Kopie vonSabine Christiansen mit neuer Optik zu geben.» Das alte Format habesich überlebt. «Es ist gestorben am Ritual des Schlagabtauschs und amPersonal der üblich verdächtigen Westerwelles, Gysis und Falters.»
Als ehemalige Moderatorin der «Sportschau» ist Anne Willaufgeschlossen für Themen außerhalb der Politik. Außerdem möchte siemehr Frauen einladen. Das Fernsehpublikum und die 80 Studiogästewerden sich auch an neue Farben gewöhnen müssen - orange, braun,beige statt blau. «Alles Natur- und Erdtöne, die insgesamt ein warmesBild geben», meint sie. An das Kanzlerduell dort vor rund zwei Jahrenmit Gerhard Schröder und Angela Merkel erinnert nichts mehr.
Die Moderatorin Anne Will ist inzwischen auch Geschäftsführerinder Will Media GmbH, die mit 20 Mitarbeitern die Sendung produziert.Mit Sabine Christiansen hält Anne Will Kontakt, auch mit GüntherJauch, der ursprünglich die Talkrunde übernehmen sollte, aber dannverärgert absagte. «Er hat mir gratuliert, das hat mich gefreut»,erzählt die gebürtige Kölnerin. Egal wie die ersten Sendungenaufgenommen werden, eine Auszeichnung hat sie schon sicher. Am 16.Oktober erhält Anne Will den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nochfür ihre Moderation der «Tagesthemen».