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Falsche Statistik? Falsche Statistik durch Zensus: Warum sich das Gericht mit der Volkszählung befasst

Von Alexander Holecek 24.10.2017, 14:54

Berlin - Das Bundesverfassungsgericht verhandelt seit diesem Dienstag die Klage der beiden Stadtstaaten Berlin und Hamburg gegen die umstrittene Volkszählung von 2011. Die Kläger glauben, dass diese zu falschen Statistiken geführt hat – wodurch ihnen beim Länderfinanzausgleich Milliardeneinnahmen verloren gehen. Wogegen wehren sich die Städte, was sagt die Bundesregierung und mit welchen Folgen ist zu rechnen?

Was ist der Anlass der Klage?

Bei der Volkszählung 2011, dem sogenannten Zensus, wurde im Unterschied zu den Volkszählungen von 1987 in der Bundesrepublik und 1981 in der DDR nur zehn Prozent der Einwohner tatsächlich befragt. Ansonsten wurde auf verschiedene Datenregister von den Einwohnermeldeämtern bis zu den Geburtenregistern zurückgegriffen. Berlin und Hamburg werfen dem Bund nun vor, dass das zu falschen Einwohnerzahlen geführt hat und den Stadtstaaten somit mehrere Milliarden Euro aus dem Länderfinanzausgleich vorenthalten werden. Deutschlandweit haben auch tausende Gemeinden vor ihren Verwaltungsgerichten geklagt.

Wie wirkte sich die neue Zählmethode auf die Einwohnerzahlen aus?

Berlin und Hamburg machen geltend, dass bei der Einwohnerzählung von Gemeinden mit mehr oder weniger als zehntausend Bewohnern durch unterschiedliche Erhebungsmethoden große Städte statistisch geschrumpft seien. So habe Berlin plötzlich 180.000 Einwohner weniger gehabt, Hamburg 82.000 weniger. Insgesamt schrumpfte die Zahl um 1,5 Millionen. Der Rechtsvertreter Berlins, Reiner Geulen, wies darauf hin, dass Flächenstaaten im Länderfinanzausgleich privilegiert würden. Viele kleine Gemeinden dort würden die nachteiligen Zählungen in den Großstädten kompensieren. Stadtstaaten könnten dies nicht.

Welche Auswirkungen hat das auf die Finanzen der Bundeshauptstadt?

Berlin fehlen damit im Zeitraum von 2011 bis zum nächsten Zensus im Jahr 2021 4,7 Milliarden Euro aus dem Länderfinanzausgleich. Laut der Stadt fehlt das Geld bei Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge – vom Ausbau der Schulen bis hin zum öffentlichen Nahverkehr. „Wir haben einen großen Sanierungsbedarf bei den Schulen, bei den Kindertagesstätten, bei den Hochschulen, beim Gebäudebedarf des Landes, bei der IT-Infrastruktur, im Bereich des öffentlichen Verkehrs, im Bereich der Krankenhäuser“, sagte Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) dem ZDF.

Welche Auswirkungen hätte eine fehlerhafte Berechnung noch?

Mögliche Fehler könnten sich auch auf die Einteilung der Bundestagswahlkreise oder die Anzahl der Stimmen im Bundesrat auswirken. Neuzuschnitte der Wahlkreise könnten anstehen – möglicherweise zum Vorteil von SPD, Linken und Grünen, die in den beiden Stadtstaaten stärker sind.

Wie äußerte sich das Gericht?

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle sagte bei Verhandlungsbeginn, dass das damals völlige neue und weltweit zuvor noch nicht angewandte registergestützte Zählverfahren womöglich einen „Münchhauseneffekt“ beinhalten könnte, weil es die von ihm selbst erzeugten womöglich fehlerhaften Daten selbst überprüft. „Da sehen wir eine gewisse Gefahr“, sagte Voßkuhle.

Wie reagierten die Verantwortlichen für die Volkszählung?

Der Präsident des Statistischen Bundesamts, Dieter Sarreither, räumte auf Nachfragen des Gerichts ein, dass kleine Gemeinden bei der Berechnung der Einwohnerzahl „besser weggekommen“ seien als größere Städte, deren Einwohnerzahlen „nach unten korrigiert“ wurden.

Was sagt der Bund?

Die Bundesregierung hat die Volkszählung verteidigt. Der Methodenwechsel sei vielleicht nicht perfekt verlaufen, „war aber insgesamt erfolgreich“, sagte Innenstaatssekretär Klaus Vitt in Karlsruhe. In einem freien Land könne die Einwohnerzahl nie ganz exakt ermittelt werden. Es sei nur eine Annäherung möglich. Dafür sei das beste verfügbare Verfahren genutzt worden.

Wie stehen die Chancen der Kläger?

Gute Frage. Das Gericht konnte die Argumente der Städte nachvollziehen. Zugleich betonte Statistik-Präsident Sarreither, dass der Zensus 2011 zehn Jahre lang vorbereitet worden sei. An der Erstellung und der Auswahl der neuen Berechnungsmethoden seien alle statistischen Landesämter beteiligt gewesen. Der Methodenwechsel sei im Konsens erfolgt. Mit einem Urteil wird im Frühjahr gerechnet. (mit afp/dpa)