Fall Daschner Fall Daschner: Gewalt ist nicht gleich Gewalt
Halle/MZ. - Ausgelöst durch den Prozess gegenden früheren Frankfurter Polizei-VizepräsidentenWolfgang Daschner streitet Deutschland überdie Anwendung von Folter-Methoden zur Rettungvon Menschenleben. Für die MZ fasst ChristianRath wichtige Argumente zusammen.
1.Daschner hat die Gewaltanwendung gegen denEntführer Magnus Gäfgen nur angedroht, aberkeine Gewalt angewandt.
Tatsächlich wurde keine Folter angewandt,weil Gäfgen den Fundort der Leiche des entführtenJungen vorher preisgab. Der Polizei-Vizepräsidenthätte es aber nicht bei der Drohung belassen.In einem Interview antwortete er auf die Frage:"Hätten Sie die Drohung auch wahr gemacht?"eindeutig mit "Ja". Daschner hatte bereitseinen Polizisten, der die Folterung durchführensollte, aus dem Urlaub zurückbeordert. Zudemwar auch ein Polizeiarzt anwesend. Daschnerwollte also nicht nur bluffen.
2. Daschner wollte kein Geständnis erpressen,sondern nur das Leben eines Kindes retten.
Dieses Argument rechtfertigt keine Folter.Die Gewaltanwendung zur Erzwingung von Aussagenist bei der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehrohne Ausnahme verboten. Im hessischen Polizeigesetzheißt es: "Unmittelbarer Zwang zur Abgabeeiner Erklärung ist ausgeschlossen." Auchdas Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonventionoder das UN-Übereinkommen gegen Folter unterscheidenbeim Folterverbot nicht nach dem Zweck derGewaltanwendung. Im UN-Abkommen heißt es:"Außergewöhnliche Umstände, gleich welcherArt, (...) dürfen nicht als Rechtfertigungfür Folter geltend gemacht werden."
Folgen hat Daschners Absicht allerdings fürdas Strafmaß. Bei der "Aussageerpressung"im Strafverfahren drohen bis zu zehn JahrenHaft. Da es Daschner jedoch in erster Linieum die Rettung des Kindes ging, lautet dieAnklage gegen ihn auf "Anleitung eines Untergebenen"zur "Nötigung in einem besonders schwerenFall". Hier liegt die Höchststrafe bei fünfJahren.
3. Daschner wollte bloß "unmittelbarenZwang" anwenden, von Folter kann man nichtsprechen.
Laut des UN-Übereinkommens ist Folter "jedeHandlung, durch die einer Person vorsätzlichgroße körperliche oder seelische Schmerzenoder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel,um eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen".Unter die Definition fällt auch das VorgehenDaschners, denn er wollte Gäfgen so langeSchmerzen zufügen, bis dieser den Aufenthaltsortdes Kindes nennt.
Daschners Plan kann man zwar auch als "unmittelbarenZwang" bezeichnen. Das ändert jedoch nichtsan der rechtlichen Bewertung. Schließlichist unmittelbarer Zwang zur Erzwingung einerAussage ausdrücklich verboten (siehe oben)- und dies ist wiederum ein direkte Folgedes Folterverbots.
4. Es ist unlogisch, dass man einen Geiselnehmererschießen darf, um ein Menschenleben zu retten,während es verboten ist, einem Entführer zumgleichen Zweck Schmerzen zuzufügen.
Die Gesetzeslage muss von der Polizei beachtetwerden, auch wenn sie ihr moralisch nichteinleuchtet. Es gibt indes drei Begründungenfür rechtliche Unterschiede. Zum einen wirddie Folter als Verstoß gegen die Menschenwürdeangesehen, die der höchste Wert unserer Verfassungist. Folter ist deshalb auch zur Rettung vonMenschenleben nicht möglich. Dagegen stehtdas Leben im Grundgesetz unter Gesetzes-Vorbehalt.Daher durfte der "finale Rettungsschuss" indas Polizeigesetz eingeführt werden.
Zum zweiten ist beim Todesschuss die Situationeindeutig. Der Geiselnehmer hat die Pistoleam Kopf der Geisel und droht zu schießen.Mit dem Rettungsschuss ist die Geisel unmittelbargerettet. Dagegen geht es bei der Folter umInformationen, die man vom Gefolterten erhofft,aber nicht sicher erlangen kann. Wird einUnbeteiligter falsch verdächtigt, kann erdie Information nicht liefern. Gerade Unschuldigewürden daher intensiv gefoltert. Wichtig istschließlich die völkerrechtliche Lage. Deutschlandmuss also schon auf Grund seiner internationalenVerantwortung am strikten Folterverbot festhalten.
5. Im Fall Daschner liegt ein übergesetzlicherNotstand vor.
Nach bisheriger Rechtsprechung ist dieseAnnahme nicht möglich. Da die Menschenwürdeals unantastbar gilt, kann ihre Verletzungzur Rettung von Menschenleben rechtlich nichtanerkannt werden. Sollte sich diese Rechtsprechungändern, dürfte kein rechtfertigender Notstandangenommen werden, denn dann wäre Folter imEinzelfall legal. Allenfalls kommt ein entschuldigenderNotstand in Betracht. Daschner hätte sichdann zwar rechtswidrig, aber schuldlos verhalten.Er würde so weder verurteilt noch bestraft.
6. Ein Recht, das um des großen Ganzenwillen die Rettung des Einzelnen unmöglichmacht, ist kein gutes Recht.
Beim Folterverbot geht es weniger um ein abstraktesPrinzip, sondern um eine zivilisatorischeErrungenschaft. Die Annahme, dass nur dieFolter ein Leben noch retten kann, ist eineZuspitzung aus dem Lehrbuch. Der Fall zeigt,dass es noch mehrere legale Möglichkeitengab, um Gäfgen zum Reden zu bringen.
So wartete Elena von Metzler, die Schwesterdes Entführten, lange auf dem Polizeipräsidiumauf eine Gegenüberstellung mit Gäfgen, umihm zu schildern, welche Leiden er in ihrerFamilie verursacht. Daschner verzichtete daraufund setzte sein Folter-Konzept <$7>gegen denWiderstand der zuständigen Sonderkommissiondurch.Wer als Polizist glaubt, keine andere Wahlmehr zu haben, als Recht zu brechen, musssich vor dem Richter verantworten. Auf diesegesellschaftliche Kontrolle kann nicht verzichtetwerden.
7. In Zeiten drohender terroristischerAngriffe mit Selbstmordattentätern könnenwir uns das Folterverbot nicht mehr leisten.
So argumentierte man auch in den USA. Dortist inzwischen die Überstellung von Verdächtigenzu einem Verhör in Folterstaaten möglich.Und auf Guantanamo wurden verschärfte Verhörtechnikenausdrücklich gebilligt. Soweit ersichtlichsind dadurch noch keine Anschläge verhindertworden. Gleichzeitig hat dieses Vorgehen dieUSA viel Sympathie gekostet. Der Einsatz vonFolter und folterähnlichen Methoden hat dieUSA höchstwahrscheinlich nicht sicherer gemacht.