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Extremismus Extremismus: Warnung vor braunem Terror

Von Julian Mieth und Stefan Kruse 13.11.2011, 13:03
Der Leitende Kriminaldirektor der Polizei Nürnberg und Chef der besonderen Aufbauorganisation «Bosporus» (BAO), Wolfgang Geier, hält am im Jahr 2006 in Nürnberg (Mittelfranken) ein Fahndungsplakat in den Händen. (FOTO: DPA)
Der Leitende Kriminaldirektor der Polizei Nürnberg und Chef der besonderen Aufbauorganisation «Bosporus» (BAO), Wolfgang Geier, hält am im Jahr 2006 in Nürnberg (Mittelfranken) ein Fahndungsplakat in den Händen. (FOTO: DPA) dpa

Berlin/Karlsruhe/dpa. - Nach der deutschlandweiten Mordserie anneun Ausländern und einer Polizistin gehen Bundesanwaltschaft undRegierung erstmals ausdrücklich von Rechtsterrorismus aus. Ermittlernahmen am Sonntag einen mutmaßlichen Komplizen (37) des Neonazi-Triosfest, das für die als Döner-Morde bekannt gewordene Serieverantwortlich sein soll.

Der Bundesgerichtshof (BGH) erließ am späten Abend Haftbefehlgegen die 36-jährige Beate Z. Die Frau gehört nach Einschätzung derErmittler zu dem rechtsextremen Trio aus Jena (Thüringen), dashinter der Mordserie stehen soll. Es bestehe ein dringender Verdacht«der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischenVereinigung», teilte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit. Darüberhinaus gebe es weiterhin einen Anfangsverdacht, dass Z. selbstunmittelbar an der Mordserie beteiligt war.

1998 soll Beate Z. mit ihren Komplizen Uwe B. und Uwe M. dierechtsextreme Gruppierung «Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)»gegründet haben. «Zweck der Vereinigung soll es gewesen sein, auseiner fremden- und staatsfeindlichen Gesinnung heraus vor allemMitbürger ausländischer Herkunft zu töten», so dieBundesanwaltschaft.

An diesem Montag solle Haftbefehl gegen den zuletzt gefassten37-Jährigen beantragt werden, sagte Bundesanwalt Rainer Griesbaum demSWR. Holger G. werde dringend verdächtigt, wie die anderen dreiRechtsextremisten NSU-Mitglied zu sein. Auch seine möglicheBeteiligung an den Morden werde untersucht.

Angesichts der neuen Dimension rechter Gewalt schrillen in derPolitik und bei türkischen Verbänden die Alarmglocken. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sprach am Sonntagerstmals von «Rechtsterrorismus» in Deutschland. «Es sieht so aus(...), als ob wir es tatsächlich mit einer neuen Form desrechtsextremistischen Terrorismus zu tun haben.»

Zugleich müssen sich Verfassungsschutz und Polizei kritischeFragen nach ihrer Rolle gefallen lassen. Mit dem Fall soll sich balddas Kontrollgremium des Bundestags für die Geheimdienste befassen.Bundesweit rollen Ermittler weitere ungeklärte Anschläge neu auf.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich besorgt: «Es ist einaußergewöhnliches Ereignis, dem man mit größter Sorgfalt nachgehenmuss.» Die Vorgänge ließen Strukturen erkennen, «die wir uns so nichtvorgestellt haben. Deshalb heißt es, immer wieder wachsam sein, gegenjede Form von Extremismus.» In der ARD sagte Merkel mit Blick auf dieMordserie: «Die Angehörigen dürfen darauf vertrauen, dass derRechtsstaat alles tun wird, um herauszufinden, was dort derHintergrund ist.»

Die Bundesanwaltschaft wirft den drei aus Jena stammendenRechtsextremisten zehn Morde vor: Opfer waren zwischen 2000 und 2006acht türkische und ein griechischer Kleinunternehmer; 2007 sollen sieden Mord an einer Polizistin in Heilbronn verübt haben. Die beidenMänner hatten sich laut Polizei vor einer Woche erschossen, Beate Z.stellte sich. Das Trio war den Behörden bereits in den 90er Jahrenwegen Verbindungen zum rechtsextremen «Thüringer Heimatschutz»bekannt.

Die Bundesanwaltschaft war zunächst davon ausgegangen, dass dieMordserie auf das Konto dieser drei NSU-Mitglieder geht. Sie fandenzuletzt in einer Wohnung im sächsischen Zwickau Unterschlupf. HolgerG. stand den Ermittlern zufolge schon seit Ende der 90er Jahre mitder Gruppe in Kontakt. Ein Bundesanwaltschaftssprecher sagte derNachrichtenagentur dpa, der 37-Jährige habe über die gleichenVerbindungen in die rechte Szene verfügt wie das Trio.

Möglicherweise kannte er die drei Verdächtigen noch länger: G.kommt wie sie ebenfalls aus Jena. Das geht aus Unterlagen desniedersächsischen Verfassungsschutzes hervor, sagte PräsidentHans-Werner Wargel im dpa-Gespräch. «Wir haben keinepersonenbezogenen Akten über ihn geführt. Wir haben seinen Namen aberim Keller in alten Papierakten über die rechtsextreme Szenegefunden.» Aufgefallen war er den Staatsschützern bei der Teilnahmean Neonazi-Demos 1999 in Braunschweig und 2003 in Bayern. Weil er alsRandfigur eingeordnet worden sei, sei er nicht näher unterBeobachtung gewesen, so Wargel.

Holger G. soll dem Neonazi-Trio 2007 seinen Führerschein und voretwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben.Zudem soll der 37-Jährige mehrfach Wohnmobile für die Gruppe gemietethaben. Eines der Fahrzeuge soll bei dem Mordanschlag auf eineHeilbronner Polizistin genutzt worden sein.

Im abgebrannten Haus der Gruppe in Zwickau fanden die Ermittlernicht nur die Pistole, mit denen die Döner-Morde verübt wurden,sondern auch DVDs mit einem Propagandafilm. Darin bekennen sich diebeiden Männer laut «Spiegel» zu den Morden und zu demNagelbombenanschlag in einer überwiegend von türkischen Bürgernbewohnten Straße in Köln 2004. Sie kündigten zudem weitere Anschlägean und erklärten, ihre Gruppe sei ein «Netzwerk von Kameraden mit demGrundsatz Taten statt Worte». Nach Erkenntnissen der Ermittlersollten die DVDs an Medien und islamische Kulturzentren verschicktwerden. Am Sonntag fanden die Fahnder in Zwickau auch das Drehbuchdes NSU-Videos sowie eine verdeckte Schussanlage.

Laut «Bild am Sonntag», die sich auf Ermittler beruft, will dieverhaftete Frau nur aussagen, wenn ihr als Kronzeugin Strafmilderungzugesichert wird. Sie soll Fahndern zufolge das Versteck in Zwickauin Brand gesteckt haben, um Beweise zu vernichten.

Die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall ist noch unklar.Etliche Politiker fragten, warum die Rechtsextremen, die unterBeobachtung standen und schon 1998 in Jena als Bombenbauer auffielen,danach aus dem Blickfeld verschwanden und so lange unbehelligtblieben. Das sei «sehr ungewöhnlich», sagte Friedrich.

In Sicherheitskreisen wird spekuliert, die drei mutmaßlichen Täterkönnten vom Verfassungsschutz eine neue Identität erhalten und dannals Verbindungsleute in der rechten Szene geführt worden sein. DerInnenminister sagte, nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen gebees «keinen Kontakt zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz unddiesen Personen».

Nach Informationen der «Bild»-Zeitung (Montag) wurden bei derDurchsuchung des in Zwickau explodierten Hauses «legale illegalePapiere» der Verdächtigen gefunden. Die Zeitung beruft sich aufInformationen aus Sicherheitskreisen. Der innenpolitische Sprecherder CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, sagte der Zeitung:«Solche Papiere erhalten im Regelfall nur verdeckte Ermittler, die imAuftrag des Nachrichtendienstes arbeiten und vom Nachrichtendienstgeführt werden. Das heißt: die in enger Zusammenarbeit mit demNachrichtendienst agieren.»

Friedrich sagte dazu: «Ich kann das nicht bestätigen.» Und weiter:«Alleine die Tatsache, dass seit 1998 die Personen nicht aufgefallensind, auch in Kontrollen nicht, legt die Wahrscheinlichkeit nahe,dass es sich entweder um sehr perfekte Fälschungen oder um echtePapiere handelt.»

Der Zentralrat der Juden forderte eine «neue Entschlossenheit» imKampf gegen die rechte Szene - sowie ein NPD-Verbot. Der Vorsitzendeder Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte in derARD: «Es gibt in Deutschland leider immer noch keine richtige Debatteüber Rassismus und rassistischen Terror. Wir müssen umgehend dieseDebatte aufnehmen.»

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums für dieGeheimdienste, Thomas Oppermann (SPD), sagte der «Bild am Sonntag»,er werde zu einer Sondersitzung einladen. «Ich will wissen, was dieBehörden wussten und wie solche Straftaten in Zukunft besserverhindert werden können.»

Die Tatorte der rechtsextremen Mordserie (GRAFIK: DPA)
Die Tatorte der rechtsextremen Mordserie (GRAFIK: DPA)
dpa Grafik