Experte Experte: Inzestverbot nicht mehr zeitgemäß

Berlin/Leipzig/dpa. - Das Inzestverbot ist aus Sicht einesExperten nicht mehr zeitgemäß. «Es ist deutlich überzogen, nicht mehrzeitgemäß und aus verfassungsrechtlicher Sicht unhaltbar», sagte derRechtsanwalt Jan Siebenhüner der Nachrichtenagentur dpa. Siebenhünerhat an der Universität Leipzig ein Gutachten über den umstrittenenInzest-Paragrafen 173 verfasst.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärte das Verbotder Geschwisterliebe am Donnerstag für rechtens. Geklagt hatte einjunger Mann aus Sachsen, der mit seiner Schwester vier Kinder gezeugthatte. Zwei davon sind behindert.
Geschwisterpaare haben aus medizinischer Sicht ein extrem hohesRisiko, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen. Das sei auch derHintergrund des Inzest-Paragrafen, erklärte der Jurist. Allerdingswiderspreche die Regelung dem Gesetz der Gleichbehandlung. «Dannmüsste man auch Behinderten verbieten, Kinder zu bekommen.»
Ein weiteres Argument der Befürworter sei der Schutz der Familie.«Auch diese Begründung greift nicht, weil das Inzestverbot nicht alleFamilienmitglieder betrifft», erklärte der Jurist. «Unter Brüdernwäre es erlaubt und auch, wenn Geschwister Oral- oder Analverkehrhaben.» Aus Gründen der Gleichbehandlung müsse der Inzest-Paragrafentweder geändert oder ganz gekippt werden.
Das Festhalten am deutschen Inzestverbot liegt seiner Einschätzungnach an einer konservativen Denkweise. «Die früh aufgeklärten Länderwie die Benelux-Staaten und Frankreich kennen dieses Inzestverbotschon seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr», sagte Siebenhüner. «Dortist es nur zivilrechtlich untersagt.»
Psychologisch sei die Scheu vor dem Thema zwar verständlich,betonte er. «Jemanden drei Jahre lang ins Gefängnis zu stecken, istaus meiner Sicht aber deutlich überzogen.»