Everhard Holtmann Everhard Holtmann: In der Vertrauenskrise
BERLIN/MZ. - Geht der drastische FDP-Mitgliederschwundauf das Konto von Parteichef Guido Westerwelle?
Holtmann: Man kann das nicht ausschließlichauf eine persönliche Verantwortung zuspitzen.Aber so wie die FDP zuletzt überdurchschnittlichviele Mitglieder hat gewinnen können, so istauch der jetzige rapide Abfall ein Ausdruckkurzfristiger Unzufriedenheit mit dem Zustandder Partei. Dabei sind die Führungspersonenein Faktor.
Würde eine Ablösung Westerwelles das Problemlösen?
Holtmann: Sicherlich nicht das Problemder Mitgliederzahlen. Uns ist aus der Parteienforschungnicht bekannt, dass der Austausch von Führungspersonenhier zu Effekten führt. So hat sich die rascheAbfolge von SPD-Vorsitzenden weder positivnoch negativ auf die Mitgliederzahlen ausgewirkt.
Wo liegt dann die Ursache der FDP-Misere?
Holtmann: Sie befindet sich in einerVertrauenskrise. Die FDP ist mit einem sehrklaren Steuerversprechen in die letzte Bundestagswahlgezogen. Davon musste sie sich in der Koalitionschnell verabschieden. Das hat zu tiefer Verunsicherungund Verärgerung in großen Teilen der FDP-Wählerschaftbeigetragen.
CDU und SPD schrumpfen im Übrigen kontinuierlich.Naht das Ende der alten Parteidemokratie?
Holtmann: Der Parteienstaat befindetsich europaweit in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess.Die s>Bindungen zwischen den Volksparteienund ihren Traditionsmilieus lockern sich,weil die Milieus selbst sich auflösen. Zudemist es sehr viel schwieriger geworden, derBevölkerung die Leistungskraft der Parteiendemokratieerfolgreich zu vermitteln. Denn einerseitssind die Erwartungen der Bevölkerung an diePolitik eher größer geworden. Andererseitswerden die Handlungsspielräume der nationalenPolitik durch globale Entwicklungen eher kleiner- Stichwort: Finanzkrise. Dabei war ja dasKrisenmanagement in Deutschland durchaus erfolgreich.Vor allem für die großen Parteien, die eineVielzahl von sozialen Interessen ausgleichenund eine größere Zahl von Politikfeldern zueinem einheitlichen Konzept zusammenbindenmüssen, stellen sich die Herausforderungenin einem sehr viel größeren Maße als für kleinereParteien, die sehr viel stärker Klientel-Interessenvertreten können. All das erklärt, dass esden großen Parteien nicht gelingt, die negativeMitgliederentwicklung umzukehren. Die Überalterungder großen Parteien kommt verschärfend hinzu.
Allein die Grünen wachsen. Ist das mehrals eine spekulative Blase?
Holtmann: Die Grünen profitieren vonihrer Oppositionsrolle. Sie können Positionenentsprechend schärfen. Außerdem profilierendie Grünen sich nicht wie die FDP im letztenBundestagswahlkampf als faktische Ein-Themen-Partei.Sie verbreitern ihr Themenfeld über das Ökologischehinaus etwa auf die Finanz- und die Bildungspolitik.Auch hier können sie punkten.