Europäische Union Europäische Union: EU-Kommission empfiehlt Beitrittsgespräche mit Türkei

Brüssel/Straßburg/Berlin/dpa. - Warten auf Europa: Nach vierJahrzehnten bekommt die Türkei die Chance auf einen Beitritt zurEuropäischen Union. Unter strengen Auflagen empfahl die EU-Kommissionam Mittwoch in Brüssel Beitrittsverhandlungen mit dembevölkerungsstarken muslimischen Land an der Schnittstelle zwischenEuropa und Asien.
Bundeskanzler Gerhard Schröder und zahlreiche andere EU-Staats-und Regierungschefs begrüßten die Entscheidung. Die türkischeRegierung nannte das Brüsseler Votum historisch. Die CDU/CSU inDeutschland und viele konservative Abgeordnete im EuropäischenParlament äußerten sich kritisch.
Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen nun am 17. Dezember aufihrem Gipfel über den Beginn der Gespräche entscheiden. Schröder istzuversichtlich, dass die Runde der Empfehlung zustimmen wird. «Diesist ein sehr seriöser, guter Bericht», sagte Schröder auf seinerAsienreise im indischen Neu Delhi. Es bestehe kein Grund zur Angstvor einem türkischen EU-Beitritt.
EU-Kommissionspräsident Romano Prodi machte vor demEuropaparlament in Brüssel klar, Verhandlungen führten nichtautomatisch zum Beitritt. «Das Ergebnis ist nicht von vornhereinklar.» Gemeinsam mit Erweiterungskommissar Günter Verheugenbegründeten sie die Empfehlung mit dem rasanten Reformprozess, fürden vor allem der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoganverantwortlich zeichnet.
Angesichts noch immer zahlreicher Fälle von Folter machteVerheugen deutlich, dass die EU die Gespräche jederzeit blockierenkönne, sollte die Türkei in ihren Reformanstrengungen nachlassen. DieTürkei werde weiter regelmäßig überprüft. Die Kommission empfiehlt,den Zuzug von möglicherweise Millionen türkischer Arbeitnehmer durchlangfristige oder sogar dauerhafte Schutzklauseln zu beschränken. «Esgibt von der türkischen Seite dagegen keine Einwände», sagteVerheugen.
Eine erste Schätzung, wonach eine Vollmitgliedschaft der Türkei2025 die EU bis zu 28 Milliarden Euro kosten könnte, ließHaushaltskommissarin Michaele Schreyer nach eigenen Angaben aus demBericht entfernen, weil diese unrealistisch sei. Der nunverabschiedete Bericht nennt keine Gesamtbelastungen für den EU-Haushalt mehr.
Die damalige EWG und die Türkei hatten im September 1963 einAssoziierungsabkommen unterzeichnet. Es stellt den Türken einespätere Vollmitgliedschaft in Aussicht. Im April 1987 beantragte dieTürkei die Aufnahme in die EG, die heutige EU.
Erdogan sagte vor dem Europarat in Straßburg: «Wir sindzuversichtlich, dass der positive Tenor der Kommission auch dempolitischen Willen der Staats- und Regierungschefs der EUentspricht.» Er hoffe auf einen Verhandlungsbeginn bis Juni 2005.
Die Kommission machte keine zeitlichen Vorgaben. Das überlässt sieden Staats- und Regierungschefs. Die Kommission geht davon aus, dassdie Verhandlungen mindestens 15 Jahre dauern.
Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac, in dessenkonservativem Lager die Empfehlung umstritten ist, verwies darauf, esgehe noch nicht um den Beitritt. Großbritanniens Außenminister JackStraw sagte: «Die Erweiterung ist das Erfolgreichste an der EU-Außenpolitik.» Auch Griechenland, das eine spannungsreiche Beziehungzur Türkei hat, unterstützt Verhandlungen. Skeptisch reagierteÖsterreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der erklärte: «UnserWeg: Die Tür nicht zuschlagen, aber verhandeln mit offenem Ziel».
In Berlin will die Union, die gegen eine Vollmitgliedschaft derTürkei ist, ein Bundestagsvotum dazu erzwingen. CDU und CSU setztenunterschiedliche Akzente. Die CSU lehnte die Brüsseler Empfehlung ab.Die CDU unterstrich, dass das Ergebnis der Verhandlungen nicht vonvornherein feststehe. Die FDP begrüßte die Empfehlung, «wenn dieVerhandlungen ergebnisoffen sind». Die Grünen sehen ein historischesSignal. Die deutsche Wirtschaft reagierte positiv auf das Brüssel-Votum.

