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EU-Verfassung EU-Verfassung: Staatschefs beschlossen das Grundgesetz für Europa

19.06.2004, 14:42
Kernpunkte der neuen EU-Verfassung (Grafik: dpa)
Kernpunkte der neuen EU-Verfassung (Grafik: dpa) dpa

Brüssel/dpa. - Für 455 Millionen Bürger der Europäischen Uniongarantiert künftig eine gemeinsame Verfassung die gleichenGrundrechte. Diese historische Entscheidung trafen die EU-Staats- undRegierungschefs in der Nacht zum Samstag in Brüssel. Das «GrundgesetzEuropas» soll das Fundament der am 1. Mai um zehn Staaten erweitertenUnion sein. Ob der epochale Vertragstext jedoch wie geplant 2007 inKraft treten wird, ist ungewiss. Skepsis und Desinteresse gegenüberdem europäischen Einigungsgedanken - wie bei der jüngsten Europawahl- könnten bei den anstehenden Parlaments- und Volksabstimmungen inden 25 Mitgliedstaaten zu Blockaden führen.

Wermutstropfen der zweitägigen Beratungen war der Streit über dieNachfolge von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, der im Oktoberaus dem Amt scheidet. Belgiens liberaler Regierungschef GuyVerhofstadt und sein konservativer Gegenspieler, EU-AußenkommissarChris Patten, waren beide nicht mehrheitsfähig. Die irischeRatspräsidentschaft konnte keinen alternativen Kandidaten mehrpräsentieren. Die Gipfelrunde vertagte die Entscheidung und willmöglichst noch im Juni auf einem Sondergipfel einen Kandidaten küren.

Mit der Verfassung sollen Entscheidungen demokratischer und fürdie Bürger verständlicher werden. Die Verfassung soll garantieren,dass die 2007 auf 27 Mitglieder - und später vermutlich noch weiter -wachsende EU politisch handlungsfähig bleibt.

Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach von einer «unglaublichwichtigen Zäsur». Europa sei einiger und politisch führbarergeworden. Nun könne die EU ihre gewachsene Rolle in der Weltwahrnehmen.

Der amtierende EU-Ratspräsident, Irlands Regierungschef BertieAhern, dessen Verhandlungsführung von allen Seiten gelobt wurde,sagte: «Die Verfassung, auf die wir uns heute geeinigt haben, ist einMeilenstein in der Geschichte der EU.»

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac sagte: «Heute istein historischer Tag, ein wichtiger Tag für Europa.» Er ließ offen,ob seine Landsleute über den Vertrag abstimmen werden oder nur dasParlament.

Der britische Premierminister Tony Blair zeigte sich mit denErgebnissen zufrieden: «Wir haben genau bekommen, was wir wollten.»Blair hatte vor dem Treffen angekündigt, auf den Vetorechten in derAußen-, Sicherheits-, Steuer- und Sozialpolitik zu beharren. Diepositive Einschätzung Blairs teilen seine Landsleute offensichtlichnicht: Bei einer Volksabstimmung, wie vom Regierungschef versprochen,würde nach einer Umfrage nur jeder Vierte der Verfassung zustimmen.

Unter dem Eindruck der katastrophalen Wahlbeteiligung bei denWahlen zum Europäischen Parlament wollten die «Chefs» nicht einzweites Mal scheitern. Beim Gipfel im vergangenen Dezember hatten vorallem Polen und Spanien mit starren Positionen über die künftigeMachtverteilung eine Einigung blockiert.

Um dieses Mal zu Kompromissen zu kommen, nahmen die Regierungenzahlreiche Änderungen an dem vor einem Jahr vorgelegten Entwurf desVerfassungskonvents vor. Ehrgeizige Vorschläge zur Stärkung der Rolleder EU wurden dabei teilweise deutlich abgeschwächt. So wurden dieMöglichkeiten, Mehrheitsentscheidungen durch eine kleine Zahl vonMitgliedstaaten zu blockieren, weitgehend abgesichert. In zentralenGebieten wie der Steuerpolitik oder der Außen- und Sicherheitspolitikbleibt Einstimmigkeit vorgeschrieben. Auf der anderen Seite erhältdie bislang unverbindliche Charta der Grundrechte Gesetzesrang. Mitder Verfassung wird die Möglichkeit europaweiter Volksbegehreneingeführt.

Lange gestritten wurde um das künftige Abstimmungsprinzip der sogenannten doppelten Mehrheit. Demnach werden für einen Beschluss imMinisterrat künftig 55 Prozent, mindestens aber 15 der EU-Länderbenötigt, die wiederum mindestens 65 Prozent der Bevölkerungrepräsentieren müssen.

Als großen Fortschritt für die erweiterte EU begrüßten Parteienund Wirtschaft in Deutschland die Einigung. Kirchen und Union - wieauch der Vatikan - kritisierten aber das Fehlen eines Gottesbezugs imkünftigen «Grundgesetz Europas».