EU-Referendum in Irland gescheitert
Dublin/Brüssel/dpa. - Die Iren haben mit ihrem Nein zum Lissabon-Vertrag eine tiefgreifende Reform der Europäischen Union vorerst gestoppt. Die Volksabstimmung über den Vertrag ergab nach der Auszählung eine eindeutige Ablehnung von 53,4 Prozent. Für den Vertrag stimmten 46,6 Prozent.
Irland hatte als einziger der 27 EU-Staaten die Bürger um ihre Meinung gefragt. Insgesamt 862 415 Iren stimmten mit Nein, 752 451 mit Ja. Aus den europäischen Hauptstädten kamen angesichts der aufziehenden schweren politischen Krise Trotzreaktionen und Durchhalteparolen. Das Treffen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs am kommenden Donnerstag und Freitag (19./20. Juni) wird zum Krisengipfel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Vertrag maßgeblich mit ausgehandelt hatte, verlangte ebenso wie Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy, dass die Ratifizierung in den restlichen acht Mitgliedstaaten weitergehen müsse. Diese Meinung teilten auch EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und der EU-Ratspräsident, der slowenischen Premier Janez Jansa.
Schon 2005 hatten Franzosen und Niederländer den Vorläufer des Vertrages - die Verfassung - abgelehnt und damit überfällige Reformen verhindert.
Für Sarkozy bedeutet das irische Nein eine besondere Herausforderung, da er im Juli den Ratsvorsitz übernimmt und die angeschlagene EU innen zusammenhalten und nach außen vertreten muss. Schon beim kommenden EU-Gipfel muss er dem amtierenden slowenischen Vorsitz helfen, eine gemeinsame Antwort auf die schwere Krise zu finden. Merkel wird am Donnerstag vor dem EU-Gipfel eine Regierungserklärung abgeben, wie ihr Sprecher Ulrich Wilhelm sagte.
Es war letztlich nur eine Minderheit der drei Millionen irischen Wahlberechtigten, die über die politische Zukunft der Europäischen Union mit ihren fast 500 Millionen Bürgern entschieden hatte. Die Wahlbeteiligung lag am Donnerstag bei etwa 45 Prozent.
Irlands Regierungschef Brian Cowen räumte das Scheitern des Vertrages und damit auch eine Niederlage vor den Wählern ein. Die großen Parteien hatten die Bürger geschlossen aufgefordert, mit Ja zu stimmen. Die Reformgegner trumpften vor allem in ländlichen Gebieten auf, aber auch in städtischen Arbeitervierteln. In Wahlbezirken in Dublin mit mittelständischer Einwohnerschaft zeichneten sich dagegen Gewinne für die Befürworter ab.
Irland, einst ein Armenhaus in Europa, gehört zu größten Profiteuren der EU-Mitgliedschaft, die dem Land noch immer Milliarden von Euro aus den Brüsseler Subventionstöpfen beschert. Die Iren hatten bereits 2001 den Vertrag von Nizza abgelehnt, der nach ihrer Zustimmung im zweiten Anlauf nun weiter die gültige Rechtsgrundlage für die EU ist.
Der Reformvertrag von Lissabon war im vergangenen Dezember nach schwierigen Verhandlungen - vor allem unter deutscher und portugiesischer Präsidentschaft - unterzeichnet worden. Er sollte Anfang 2009 in Kraft treten.
In dem Vertrag gibt es mehrere Neuerungen: ein neues Abstimmungsverfahren im Ministerrat mit häufigeren Mehrheitsentscheidungen, eine Stärkung der nationalen Parlamente, die Schaffung eines EU-«Außenministers» mit eigenem diplomatischem Dienst sowie die Schaffung eines Präsidenten des Europäischen Rates. Solange der Nizza-Vertrag weiter gilt, kann sich die EU nicht mehr erweitern, da ihr maximal 27 Staaten angehören dürfen. Damit ist der für 2009 angestrebte Beitritt Kroatiens in Gefahr.
Barroso rief dazu auf, den Ratifizierungsprozess fortzusetzen. Alle 27 Mitgliedstaaten - auch Irland - müssten nun gemeinsam Verantwortung übernehmen, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Jansa sagte, das Ergebnis sei bedauerlich, aber der demokratische Wille der Iren müsse respektiert werden. Er werde nun mit seinem irischen Kollegen über die Lage beraten.
Führende Europapolitiker von CDU und SPD warnten vor einer neuen tiefen Krise der Europäischen Union (EU). Der Ausgang des Referendums zeigt nach Ansicht von SPD-Chef Kurt Beck, dass die Menschen ein soziales Europa wollen. Die Grünen werteten das Ergebnis als «schallende Ohrfeige für die ewige Regierungshinterzimmerpolitik». Europa muss nach Einschätzung von CSU-Chef Erwin Huber «den Reformweg fortsetzen».
Der Vorsitzende der Sozialisten im Europaparlament, Martin Schulz (SPD), verlangte von den Staats- und Regierungschefs beim Gipfel ein Bekenntnis zur EU. «Wir brauchen eine klare Richtungsentscheidung in der EU», sagte er der Deutschen Presse-Agentur dpa.
Spanien will trotz des irischen Neins das Abkommen ratifizieren, wie Vizeregierungschefin María Teresa Fernández de la Vega in Madrid sagte. Auch die Niederlande werden die Ratifizierung fortsetzen, wie Ministerpräsident Jan Peter Balkenende versicherte. Dass nach dem Abgeordnetenhaus auch der Senat am 8. Juli zustimmt, gilt als Formsache.
Auch die schwedische Regierung will den Vertrag verabschieden. Der polnische Regierungschef Donald Tusk setzt weiter darauf, dass der Vertrag in Kraft treten kann. Der finnische Außenminister Alexander Stubb sagte, nun müsse eine «kreative Lösung» her. Der dänische Premier Anders Fogh Rasmussen zeigte sich zurückhaltend und sagte, er respektiere das Votum.