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EU-Erweiterung EU-Erweiterung: Deutsche sind skeptisch vor dem Beitritt

29.10.2003, 07:10
Lauschige Atmosphäre in Zoppot. Im Vergleich zu anderen Nicht-Euro-Ländern bekommen deutsche Urlauber im Polen am meisten für ihr Geld. (Foto: dpa)
Lauschige Atmosphäre in Zoppot. Im Vergleich zu anderen Nicht-Euro-Ländern bekommen deutsche Urlauber im Polen am meisten für ihr Geld. (Foto: dpa) gms

Hamburg/dpa. - Noch ist ein Großteil der Menschen in Deutschland gegen den im Mai 2004 geplanten Beitritt von zehn Staaten zur Europäischen Union. «Die Deutschen sind skeptisch gegenüber der Osterweiterung», sagt die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle. Viele haben sich allerdings auch noch nicht näher mit den Möglichkeiten und Herausforderungen befasst, die auf sie zukommen. An der deutschen Ostgrenze, wo sich der Blick automatisch auch nach Tschechien oder Polen richtet, ist grundsätzliches Unbehagen inzwischen vielfach einem zupackenden Realismus gewichen.

Mit immerhin 39 Prozent Ablehnung gegen die Erweiterung gehört Deutschland bei der bislang letzten Umfrage der EU hierzu zu den skeptischsten Staaten der Union. Mehr als 60 Prozent der Deutschen meinen zwar, dass der Beitritt mehr Frieden, Sicherheit und kulturellen Reichtum bringt. Jeder zweite Befragte des Eurobarometers vom Frühjahr fürchtet aber einen Anstieg der Arbeitslosigkeit, mehr als zwei Drittel wollen neue Kosten nicht ausschließen. Viele haben auch Angst vor mehr Kriminalität durch fallende Grenzen.

Elisabeth Noelle, Gründerin des Instituts für Demoskopie Allensbach am Bodensee, analysiert die Einstellungen zur EU seit Jahren. Die gegenwärtige schwierige Wirtschaftslage, sagt sie, befördere Ängste vor weiteren Belastungen. Die Bevölkerung nehme das wirtschaftliche Gefälle zwischen den bisherigen und den neuen EU- Mitgliedern wahr. «Und diese Wahrnehmung dämpft dann das Zusammengehörigkeitsgefühl.» Zwar argumentiert die EU, dass Deutschland langfristig von der Osterweiterung profitiert. Doch die Forscherin warnt, diese vor allem wirtschaftliche Argumentation könne «ganz leicht in die Frage münden, ob solche möglichen Vorteile die greifbareren Nachteile überhaupt wert sind».

An Deutschlands Ostgrenze sorgte allzu großes Unbehagen angesichts der näher rückenden Nachbarn schon für manche hässlichen Schlagzeilen. So eskalierte Mitte der 90er Jahre der Versuch einer Bäckerin aus der Grenzstadt Slubice, in Frankfurt/Oder Brötchen günstig zu verkaufen, zum «Brötchenkrieg». Neben freudiger Kundschaft gab es Kritik von Frankfurter Bäckern und wüste Beschimpfungen von Rechtsradikalen.

«Seit dem "Brötchenkrieg" hat es ein deutliches Umdenken gegeben», meint Oberbürgermeister Martin Patzelt heute. «Früher gab es viel Verweigerung, heute sagt etwa unsere Handwerkerschaft: Durch die Osterweiterung stoßen wir auf Schwierigkeiten, aber wir müssen uns vorbereiten.» Mal zögernd, mal hemdsärmelig machen sich die Frankfurter daran, Kontakte zu knüpfen, Finanzierungen für Projekte jenseits der Oder zu planen oder polnische Mitarbeiter zu suchen, die wissen, wie man ihre Landsleute als Kunden erreicht.

«Frankfurt bekommt 180 Grad in seinem Umfeld dazu», sagt Patzelt. Das will er wie seine Amtskollegen in anderen Grenzstädten nutzen - wirtschaftlich, kulturell. Doch vor zu großen Visionen müssen sich die Stadtchefs hüten. Im brandenburgischen Grenzstädtchen Guben wurde mit Bürgermeister Gottfried Hain ein glühender Verfechter des Zusammenwachsens mit dem polnischen Gubin zur «Europa-Stadt» vor zwei Jahren einfach abgewählt.

Meinungsforscherin Noelle fordert von der Politik jetzt, «die gemeinsamen kulturellen Wurzeln und die gemeinsamen Werte herauszustellen». In Allensbacher Umfragen sei - neben den Ängsten - die Überzeugung zu erkennen, «dass möglichst alle europäischen Länder auch Mitglied der Europäischen Union sein sollten».

Woher kommen diese Widersprüche? Die 86-jährigen Forscherin sagt: «Bis heute haben sich die meisten noch nicht allzuviele Gedanken über die Osterweiterung gemacht.» Oder die Länder gar besucht. «Wer Prag, Budapest oder Krakau aus eigener Anschauung kennt, wird die Osterweitung vermutlich mit ganz anderen Augen sehen als die Daheimgebliebenen.»

Die deutschen Reiseunternehmen zumindest haben neue Ziele in Osteuropa fest im Blick. «Reisen werden einfacher, wenn Grenzkontrollen wegfallen und in den Ländern irgendwann der Euro kommt», sagt Christian Boergen, Sprecher des Deutschen Reisebüro und Reiseveranstalter Verbands. Vermehrt probieren Bade-Urlauber bei günstigen Preisen bereits neue Hotels in Rumänien und Bulgarien statt in Spanien. Viele Deutsche ziehe es auch zu Wellness-Reisen nach Ungarn oder Bustouren nach Polen, sagt Boergen. Einen richtigen Osteuropa-Boom erwartet die Branche allerdings auch nach dem Beitritt voerst nicht. «Von Massentourismus kann man hier nicht sprechen.»