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Erinnerung Erinnerung: Zu Besuch bei der Stasi

Von Jutta Schütz 14.01.2012, 16:29

Berlin/dpa. - Mehrere tausend Menschen haben sich am Samstag bei einem Bürgertag ein Bild von der denkmalgerecht sanierten ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg gemacht. Das Areal an der Normannenstraße war zu DDR-Zeiten für Jahrzehnte Dienstsitz von Stasi-Chef Erich Mielke. Die Sanierungskosten betrugen elf Millionen Euro. Parallel wurden gemeinsame Ausstellungen der Stasiunterlagenbehörde (BStU) und der Antistalinistischen Aktion gestaltet.

Der frühere Chef der Stasiunterlagenbehörde Joachim Gauck bezeichnete den jetzt als Museum genutzten Komplex als eine „Apotheke gegen Nostalgie“.

Die Besucher erhielten Einblicke in das Dienstzimmer Mielkes und in die Archiv-Räume der BStU. Mitarbeiter demonstrierten die Restaurierung von Akten, die Ende 1989 von Stasi-Kräften zerrissen worden waren. In Labors wurden die Entsäuerung und Trocknung beschädigter Akten vorgeführt.

Zwtl.: Ehemalige Bürgerrechtler berichten

Bei Diskussionsveranstaltungen gaben Bürgerrechtler über ihre Schicksale Auskunft, darunter Ulrike Poppe und Vera Lengsfeld. Lengsfeld forderte eine umfassende Aufklärung über die Tätigkeiten westdeutscher Bürger für die Stasi. Zugleich machte Lengsfeld „erhebliche Defizite“ beim Geschichtsunterricht in Schulen aus. „Die Defizite liegen in den Lehrplänen - vor allem in den ostdeutschen Ländern.“

Die beiden bisherigen Chefs der BStU, Gauck und Marianne Birthler, sowie der amtierende Leiter Roland Jahn schilderten die Anfänge der Einrichtung. Einhellig sprachen sie sich für einen weiteren - gesetzlich geregelten - Zugang zu den Akten aus, wie bislang erprobt.

Zwtl.: Dissens zwischen Gauck und Jahn

Unterschiedliche Ansichten äußerten Gauck, Jahn und Birthler über die im Dezember beschlossene Versetzung in der Behörde verbliebener Stasi-Leute. Jahn verteidigte den Schritt als „guten Weg“. Er habe Respekt vor deren Arbeit. „Aber ich muss auch die Empfindungen der Opfer respektieren.“ Im Übrigen arbeiteten die Betroffenen nun anderswo zu gleichen sozialen Konditionen.

Dem widersprach Gauck unter Buhrufen und Pfiffen der Zuschauer. Jahn irre. „Denn selbst wenn er alle diese Leute draußen hätte, wären die Traumata der Opfer noch immer existent“, sagte Gauck. Die jetzigen „Sanktionen“ gegen die Ex-Stasi-Leute überschritten die Grenzen seines Verstehens. Er sei skeptisch und halte die Versetzungen für nicht verhältnismäßig. Die Leute seien übernommen worden, weil sie bereits 1990 den damaligen Demokratiebewegungen geholfen hätten, Unterlagen schnell zu finden. Insofern unterstützen sie, wenn schon nicht die Gefühle, so doch die Interessen der einstigen Opfer.

Zwtl.: Birthler sieht zweiten Fehler

Birthler bezeichnete die Personalien als „Hypothek“. Sie räumte ein, dass sie den Fakt „immer für schwierig“ gehalten habe. Einige der Ex-Stasi-Leute hätten dazugelernt, andere seien weiter verbohrt.

„Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es ein Fehler war, diese Leute weiter zu beschäftigen. Allerdings hätte dieser Fehler nicht durch einen zweiten Fehler wie Entlassung geändert werden sollen“, sagte Birthler. Vielmehr habe eine „Verlockung“ gefehlt, anderswo zu arbeiten.

Am 2. Januar 1992 hatten erstmals DDR-Bürger Einsicht in ihre Stasi-Akten nehmen dürfen. Jahn war damals als Reporter des ARD-Magazins „Kontraste“ zugegen. Seither stellten laut Jahn bundesweit rund zwei Millionen Menschen Anträge auf Akteneinsicht.

Die DDR-Staatssicherheit zählte 1989 etwa 91.000 hauptamtliche Mitarbeiter. Darüber hinaus waren 180.000 Informelle Mitarbeiter (IM) für das Ministerium für Staatssicherheit tätig, davon 3.000 in Westdeutschland.