Erich Honecker Erich Honecker: Herrscher in Hauslatschen
Halle/MZ. - Dann gibt es ein Schnäpschen, Cognac am liebsten, und es wird ein wenig geplaudert. Heute kommt der Chef sehr spät. Erich Honecker ist allein, aber aufgeräumter Stimmung. "Uli, Uli, rief er", erinnert sich Ulrike Hainke, "hast du das gesehen?"
Hat sie nicht, die Haushälterin des ersten Mannes im Land. "Schade, schade", sprudelt der Staats- und Parteichef über vor Begeisterung, "es war so eine tolle Stimmung und die Leute haben gejubelt!" Eine runde Party zum Republikgeburtstag sei das gewesen. "Uli, das hättest du erleben sollen!"
Ulrike Hainke, eine kleine Frau mit flinker Zunge und fröhlich blitzenden Augen, ist in diesem Herbst 1989 schon fast ein Vierteljahrhundert Hausangestellte im Politbürodorf Waldsiedlung. Jetzt schüttelt sie zum ersten Mal innerlich den Kopf. "Du armer Mann, habe ich gedacht", sagt sie zwei Jahrzehnte später, noch einmal zurückgekehrt zu Honeckers Haus Nummer 11 der Siedlung, die in der DDR nur "Wandlitz" heißt. "Wenn du wüsstest, wie es da draußen kriselt."
Honecker habe es nicht gewusst, da ist die 69-Jährige bis heute sicher. "Und sagen durften wir ja nichts", beschreibt sie. Aufgabe der Hauswirtschaftsabteilung in der Waldsiedlung, die zum Ministerium für Staatssicherheit gehört, sei es gewesen, zu sein "wie das Hemd überm Hintern", erinnert sich Ulrike Hainke an die Formulierung, die in den regelmäßigen Schulungen immer wieder fiel.
"Wir sollten da sein, aber man sollte uns nicht bemerken". 64 Mitarbeiter gehören zur UA2 der Abteilung V, die für die 23 Funktionärshaushalte zuständig ist. Um eine Stelle hier bewirbt sich niemand. "Man wird gefragt", erinnert sich Ulrike Hainke an ihre Einstellung. "Aber ich putze doch nicht bei fremden Leuten", habe sie zuerst empört geantwortet. "Schließlich hatte ich einen Abschluss als Apothekenangestellte und einen als Buchhalterin." Das Ministerium aber hat Argumente: Die Bezahlung ist traumhaft, die Aufgabe spannend. "Ich sagte mir also, so eine Chance muss man nutzen."
Vor ihrer Premiere als Putzfrau im angeblichen "Wildforschungsgebiet" (MfS) aber hat Ulrike Hainke dann doch eine Höllenangst. "Es war furchtbar", beschreibt sie ihre ersten Momente im Haus von Politbüromitglied Erich Mückenberger. Statt Saubermachen zu dürfen, muss sie sich mit an den Frühstückstisch setzen. "Ich war so aufgeregt, ich konnte kaum essen", sagt Ulrike Hainke.
Doch die Nähe zur Macht macht die burschikose Brünette nicht lange verlegen, Ulrike Hainke stammt aus Weischlitz bei Plauen, Mückenberger aus Chemnitz. Das Sächsische verbindet. Wenig später schon wird sie im Haus von Politbüromitglied Herbert Warnke und dessen Frau Lisa eingesetzt, zu denen sich schnell ein "ganz familiäres Verhältnis" aufbaut. "Wir haben uns prima verstanden", beschreibt Ulrike Hainke, "es wurde geschnattert, auch mal getrunken, im Urlaub habe ich den Pudel genommen und wenn die Lisa Gäste aus der Sowjetunion hatte, hat sie uns zu Hause besucht."
Es sind die frühen Jahre in der Politbürosiedlung, in denen noch Kinder zwischen den uniformen zweistöckigen Häusern toben. "Es gab fröhliche Runden, wo man zusammensaß und Witze riss", erzählt Ulrike Hainke, die bald auch zur Arbeit bei Mielke, Stoph, Mittag und Honecker eingeteilt wird. In den Häusern muss nicht nur geputzt werden, nein, zu den Aufgaben der Angestellten gehört das Einkaufen, das Kochen und die Hausaufgabenhilfe für die Kinder.
So rückt man einander näher, auch menschlich. "Ich bin mit allen gut klargekommen", sagt sie, "nur mit dem Stoph, da wurde keiner warm." Ganz anders bei den Honeckers. Nach der Beerdigung von Herbert Warnke sitzt Ulrike Hainke mit Witwe Lisa und Margot Honecker zusammen. "Wir haben schön einen gezwitschert." Von da an ist die erste Frau der Republik für sie "Margot", so wie Joachim Herrmann, der mächtige Propagandachef der DDR, nur Joachim heißt. "Gesagt hat man das aber nur, wenn keiner in der Nähe war", erklärt Ulrike Hainke eine ungeschriebene Wandlitz-Regel.
So banal ist das Leben in der belle étage der DDR. Zu Feiertagen verschenkt Margot Honecker kleine Präsente an ihre drei Hausangestellten. "Immer selbst hübsch eingepackt." Dauert der Dienst länger, weil der Chef spät nach Hause kommt, fährt seine Staatslimousine die Hausangestellte heim. "Mein Bus war ja dann weg."
Der Mann, der das Schicksal von Millionen bestimmt, ist daheim ein stiller Typ, der immer freundlich bleibt. "Honeckers lebten sehr bescheiden", erzählt Ulrike Hainke, "die hatten eigentlich nie Sonderwünsche." Die Familie habe kaum im später berüchtigten Sonderladen eingekauft, Margot Honecker nicht einmal Parfüm benutzt. Gegessen wurde am liebsten einfach: "Kartoffelpuffer, Klopse oder Eintopf", zählt Hainke auf. Den Leibkoch, der den SED-Chef angeblich mit exquisitem Wildbret verwöhnte, habe es nie gegeben. "Wenn wir Grüne Klöße gemacht haben, war das ja schon ein Feiertagsessen."
Auch bei der Wohnungseinrichtung sei das Paar anspruchslos gewesen. "Die Möbel, die hier standen, als sie einzogen, waren noch drin, als sie auszogen." Fast 30 Jahre lebte das Herrscherpaar der DDR möbliert in dem Haus, das heute Habichtsweg 5 heißt. "Dabei war die Original-Küche eine Katastrophe", klagt Ulrike Hainke, "völlig verbaut, man hat sich ständig blaue Flecke geholt." Im Unterschied zu den Nachbarn, die ihre Küchen später mit Möbeln aus dem Westen modernisierten, hätten Honeckers und Mielkes "an dem alten Zeug" festgehalten. "Der Mittag dagegen hatte dauernd was Neues."
Gemeinsam ist dem Generalsekretär und seinem Wirtschaftsexperten aber neben der Jagdleidenschaft auch der Glaube an eine Wundermaschine aus der Werkstatt des Erfinders Manfred von Ardenne. "Morgens kam der Erich Honecker in Hausschlappen die Treppe runter, das Haar verwuschelt und der Blick noch nicht so ganz klar", schildert Ulrike Hainke, "aber sobald er seine Sauerstoff-Therapie gemacht hatte, war er wie ein neuer Mensch."
Auch der hat allerdings nicht die Kraft, den Untergang der DDR aufzuhalten. "Schon lange vor dem Ende wurde es ja immer frostiger hier", sagt Ulrike Hainke, "es gab kaum noch Kontakte der Bewohner untereinander, keine Feste mehr und freitags ist jeder für sich in sein Außenobjekt verschwunden."
Ihr Mann habe damals schon immer zu ihr gesagt, "ihr lebt ja in Illusionen", sie selbst habe das aber lange nicht glauben wollen. "Weil ich eben an die DDR geglaubt habe." Das war, gesteht sie, als Haushälterin bei Erich Honecker leichter als anderswo: "Man hat viel verdient, man konnte hier im Laden fast alles kaufen und man hat gesehen, die führenden Genossen, das sind ganz normale Leute", denkt Ulrike Hainke heute, wo sie die Rechnung bezahlt. Weil sie als ehemalige MfS-Angestellte nur 800 Euro Rente bekommt, putzt die 69-Jährige inzwischen in Privathaushalten. Drei Jahre hat sie sparen müssen, ehe sie letztes Jahr zum Urlaub nach Norwegen fahren konnte. Dorthin hat es ihr Ex-Chef Erich Honecker nie geschafft.