Erfindung Erfindung: Die Pille wird 50
Halle/MZ. - Die Feministin Alice Schwarzer würde Djerassi für die Pille ein Denkmal setzen, doch auch Millionen unbekannter Frauen dürften dem Erfinder dankbar sein. Ebenso nicht wenige Männer.
Was einst als Meilenstein der Gleichberechtigung gefeiert wurde, ist heute in Deutschland Verhütungsmittel Nummer Eins. Inzwischen sind über 140 hormonelle Kontrazeptiva - also hormonelle Verhütungsmittel - auf dem Markt. "Ob Pillen, Spritzen, Pflaster, Implantate oder Ringe - letztlich unterscheiden sie sich nur in Zusammensetzung, Dosierung und Verabreichung", sagt die Reproduktions-Endokrinologin Petra Kaltwaßer vom Universitäts-Klinikum Halle-Kröllwitz. Weltweit greifen etwa 120 Millionen Frauen täglich zur Pille, vor allem in Nord- und Mitteleuropa, wo sie von 40 bis 60 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter eingenommen wird. Groß nachdenken werden die meisten von ihnen dabei nicht - wozu auch? Mit der Pille zu verhüten, ist Selbstverständlichkeit geworden.
Nach der Zulassung in den USA erhielten 1961 auch deutsche Frauen Zugang zu der neuen Methode. "Anovlar" hieß die erste Pille der Bundesrepublik. "In der DDR wurde sie erstmalig 1963 / 64 eingesetzt", erinnert sich der emeritierte Professor Kurt Rothe, damals 33-jähriger Assistenzarzt an der Universitäts-Frauenklinik Leipzig. 1965 verordnete er die ersten Pillen. "Das waren importierte Präparate. Bekommen haben sie nur Frauen mit mindestens vier Kindern, wenn eine weitere Schwangerschaft abgebrochen worden war", erzählt der heute 78-Jährige, von 1983 bis 1998 Chef der halleschen Universitäts-Frauenklinik. "Die Auswahl war für Klinik und verschreibende Ärzte schwierig - wir hätten gern allen, die das wünschten, die Pille gegeben."
Doch darauf musste nicht mehr lange gewartet werden, denn nur wenig später brachte Jenapharm "Ovosiston" auf den Markt, die erste DDR-Pille. "Sie war schon niedriger in der Hormonkonzentration und hatte dadurch geringere Nebenwirkungen", sagt Rothe. Noch heute weiß er um die Erleichterung sowohl des Verschreibenden als auch der Frauen, als die Pille großzügiger verordnet werden konnte. Rothe gehört noch zu der Ärzte-Generation, die kriminelle Schwangerschaftsabbrüche erleben musste. "Pro Jahr hatten wir in der Klinik ein bis zwei Todesfälle, wenn Frauen nach einem unsachgemäßen Eingriff bei uns eingeliefert wurden", erzählt er. "Sehr belastend war, dass es bis dahin keine sichere Verhütung gab. Mit der Pille wurde das anders."
Eine so emotional geführte Debatte um Ethik und Moral wie bei Einführung der Pille in Westdeutschland gab es in der DDR übrigens nicht. "Die Zahl derer, die ethische Bedenken hatten, war eher gering", erinnert sich Kurt Rothe. "Ein größerer Anteil Mediziner aber befürchtete, dass es zu hormonellen Schäden kommen könnte, oder dass die Frauen auch nach Absetzen der Pille nicht mehr schwanger würden."
Im Westen Deutschlands schlugen dagegen die Wogen hoch. Die katholische Kirche lehnt jegliche künstliche Verhütung bis heute ab. Im Sommer 1968 hatte Papst Paul VI. in seinem Lehrschreiben "Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens" Verhütung verboten. Er ging dafür als "Pillen-Paul" in die Geschichte ein. Und zum 40. Jahrestag der "Pillen-Enzyklika" bekräftigte Papst Benedikt XVI. die Ablehnung künstlicher Empfängnisverhütung sogar noch einmal.
Die Frauen im Osten nahmen die neue Verhütungsmöglichkeit vorbehaltlos an. Dabei spielte nach Rothes Meinung die Tatsache eine Rolle, dass die Pille ausschließlich auf Rezept erhältlich war. Ihre Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit waren nie in Frage gestellt, weil sie wie ein Medikament gehandhabt wurde und nicht wie Verhütungsmittel bisher in Sanitätsgeschäften und Drogerien erhältlich war.
Die Sicherheit der neuen Methode hebt auch Oberärztin Kaltwaßer hervor. "Allein der Umstand, sich unter Kontrolle zu haben, ist eine riesige Revolution. Und eine Chance für die Frauen auf angstfreie Sexualität", betont sie. Bis heute ist die Pille das sicherste auf dem Markt befindliche Verhütungsmittel. "Die Fälle, in denen sie wirklich versagt, sind äußerst selten", sagt die Medizinerin, "meist sind Einnahmefehler die Ursache einer ungewollten Schwangerschaft."
Das in sie gesetzte Vertrauen hat die Pille allemal gerechtfertigt. Neben der Verhütung werden auch therapeutische Möglichkeiten genutzt, die sich z. B. für Haut- und Haarprobleme, Regelbeschwerden oder gutartige Brusterkrankungen herausgestellt haben. In zahlreichen Studien wurden die Folgen von Langzeiteinnahmen untersucht. Oft sind die Ergebnisse widersprüchlich, beispielsweise in Bezug auf das Krebsrisiko durch die Pille. "Es gibt zudem Erkenntnisse, die früher unbekannt waren, heute aber Anlass zur Wachsamkeit sind. Zum Beispiel was den Einfluss auf Thrombosen betrifft", sagt Petra Kaltwaßer. Doch in einem sind sich Mediziner und Frauen einig: Die positiven Wirkungen der Pille überwiegen.