Enthüllungsjournalist im MZ-Gespräch Enthüllungsjournalist im MZ-Gespräch: Die Mörder des Mossad

Berlin - Ronen Bergman ist Enthüllungsjournalist. Vor ein paar Wochen ist sein Buch „Der Schattenkrieg“ erschienen, ein fast 900 Seiten dicker Wälzer, der erzählt, wie der Mossad, Israels Geheimdienst, in den letzten 70 Jahren mehr als 3 000 Menschen tötete. In den USA und in Deutschland ist das Buch jetzt erschienen, in Israel nicht. Die Militärzensur hat es gesperrt. Mit Bergman sprach Anja Reich.
Herr Bergman, hat sich für Sie etwas verändert, seit Sie sich mit dem Mossad beschäftigen?
Ronen Bergman: Sie meinen, ob ich als Sicherheitsrisiko angesehen werde?
Als was auch immer. Ihr Buch liest sich wie eine Auflistung von Staatsgeheimnissen.
Ronen Bergman: Wenn man es auf mich abgesehen hat, um an meine Quellen heranzukommen zum Beispiel, wird man sicher darauf achten, dass ich davon nichts mitbekomme. Ich hoffe aber, dass niemand erst auf die Idee kommt. Israel ist eine Demokratie und sollte nicht gegen Journalisten vorgehen.
Welches Bild vom Mossad wurde Ihnen als Kind vermittelt?
Ronen Bergman: Dass er eine geheime, legendäre Einheit ist, die bemerkenswerte Dinge tut und uns Israelis beschützt. Dazu hörten wir dann abenteuerliche Geschichten.
Was für Geschichten?
Ronen Bergman: Die von der Operation „Frühling der Jugend“ zum Beispiel, mit der der Mossad auf das Münchner Attentat auf israelische Athleten reagierte. Als Frauen verkleidete Mossad-Kommandeure spürten PLO-Führer in Beirut auf und brachten sie zur Strecke. Es gibt einige solcher Geschichten, mein Buch ist ja auch nicht das erste, das sich mit dem Geheimdienst beschäftigt. Man weiß allerdings nie so richtig, was stimmt und was Legende ist. In einem Buch steht zum Beispiel, dass Monica Lewinsky eine Mossad-Agentin war, die auf Bill Clinton angesetzt wurde, weil der nicht proisraelisch genug war.
Interessante Vorstellung …
Ronen Bergman: Der Mossad hätte sich vermutlich gewünscht, solche Möglichkeiten zu haben. Jeder, der sich mit dem Mossad auskennt, weiß, dass fast alles, was bisher über ihn veröffentlicht wurde, fake news sind. Haben Sie den Film „München“ von Steven Spielberg gesehen? Alles daran ist falsch, mal abgesehen von der Tatsache, dass israelische Athleten 1972 in München umgebracht wurden und Palästinenser das Attentat verübten. Spielberg ist das Opfer eines Fälschers geworden, der behauptete, Chef der Auftragskiller-Unit gewesen zu sein, in Wirklichkeit war dieser Mann nie beim Mossad.
Woher wissen wir, dass Ihre Recherchen stimmen?
Ronen Bergman: Wenn man mit so vielen Geheimdienstoffizieren zu tun hat wie ich, also mit Menschen, die sehr gut darin sind, Informationen zu manipulieren, muss man in der Tat aufpassen, dass du nicht selbst manipuliert wirst. Ich habe durch meine Arbeit als Enthüllungsjournalist inzwischen einen ganz guten Instinkt dafür entwickelt, wer lügt und wer nicht. Außerdem habe ich für mein Buch tausende Dokumente gesichtet und sehr viele verschiedene Leute interviewt, auch zu den gleichen Themen, das macht es schwer, Lügen zu koordinieren. In vielen Fällen habe ich, und das schreibe ich auch, herausgefunden, dass Dinge nicht übereinstimmen.
Hat es Sie überrascht, dass so viele ehemalige Geheimdienstmitarbeiter bereit waren, mit Ihnen zu sprechen? Gibt es in Israel sowas wie Glasnost, ein gesellschaftliches Klima, das vielleicht auch damit zu tun hat, dass viele unzufrieden mit der Politik im Land sind?
Ronen Bergman: Ja und nein. Die Bereitschaft zu reden steigt, aber Glasnost ist es nicht. Glasnost kommt aus der Sowjetunion, einem kommunistischen Staat, der plötzlich eine Demokratie wurde. Das kann man mit Israel nicht vergleichen. Israelis reden sehr offen über alles, nur eben nicht über diese Themen. Im Vergleich zu, sagen wir, vor 40 Jahren, hat sich aber einiges verändert. Damals dachte man, wenn man den Stabschef kritisiert, gibt man damit dem Feind eine Information in die Hand, die er für einen Angriff nutzen wird. Aber Kritik ist ja gar keine Information, sondern nur eine Meinung. Trotzdem muss ich mich immer noch mindestens einmal in der Woche, manchmal täglich, mit den Zensoren vom Militär auseinandersetzen.
Die werfen Ihnen vor, Ihr Land zu betrügen. Trifft Sie das?
Ronen Bergman: Nein. Denn man darf nicht vergessen, dass unsere wichtigsten Stärken keine Geheimoperationen, keine Militärtechnologien, nicht Mut oder Tapferkeit sind. Die wahre Stärke Israels beruht auf der Tatsache, dass wir eine liberale Demokratie im Nahen Osten sind. Und das heißt, eine freie Presse zu haben und starken investigativen Journalismus. Das ist umso wichtiger, als dass der israelische Verteidigungsapparat so gut wie gar nichts über die Aktivitäten der Geheimdienste weiß. Kein Land der Welt hat einen so großen Geheimdienst wie Israel. Und nur ein paar wenige sind damit beauftragt, ihn zu kontrollieren. Deshalb ist es unsere heilige Pflicht als Journalisten, darüber zu berichten.
Wie waren die Reaktionen auf Ihre Recherchen zu den Versuchen des Mossad, PLO-Chef Jassir Arafat umzubringen?
Ronen Bergman: In Israel war das mehrere Tage lang die Spitzenmeldung. Es gab ja schon immer die Vermutung, dass versucht wurde, ihn umzubringen. Aber niemand hatte jemals so konkret darüber geschrieben wie ich.
Aber auch Sie lassen am Ende offen, ob der Mossad es tatsächlich geschafft hat.
Ronen Bergman: Weil ich nicht weiß, ob sie ihn umgebracht haben, und selbst wenn ich es wüsste, könnte ich es nicht sagen.
Warum nicht?
Ronen Bergman: Wegen der Zensur.
Was würde passieren, wenn Sie es sagen würden?
Ronen Bergman: Was passieren würde? Nun, Präsident Ariel Scharon musste Präsident George W. Bush damals versprechen, Arafat nicht zu töten. Das heißt, wenn Israel es trotzdem getan hat, dürfte das höchstens in geheimsten Kreisen bekannt werden, denn sonst würden die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und den USA gefährdet werden.
Andere mysteriöse Todesfälle konnten Sie aber lösen. Zum Beispiel den an Wadi Haddad, der als Drahtzieher der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ galt. Bisher hieß es, Haddad sei an Leukämie gestorben oder an einer vergifteten Praline.
Ronen Bergman: Haddad wurde mit Zahnpasta vergiftet. Ein Mossad-Agent hatte es geschafft, in seine Wohnung vorzudringen, die Zahnpastatube ausgetauscht, und jedes Mal wenn Haddad sich die Zähne putzte, gelangte eine winzige Menge Gift in seinen Körper. Ihm ging es immer schlechter, niemand wusste warum. Yassir Arafat bat schließlich die DDR um Hilfe. Wadi Haddad wurde nach Ost-Berlin geflogen. Die Ärzte dort versuchten alles, um ihn zu retten. Aber es war zu spät.
Und Professor Otto Prokop von der Berliner Humboldt-Universität untersuchte den Leichnam, doch selbst er fand die eigentliche Todesursache nicht heraus.
Ronen Bergman: Ja, nachweisen konnte er es nicht, äußerte aber immerhin den Verdacht, Waddad sei vergiftet worden. Prokop gilt in Israel als Koryphäe. Der Chef des forensischen Instituts in Israel, Professor Chen Kugel, war völlig aus dem Häuschen, als ich ihn besuchte und ihm eine Original-Autopsie von Prokop zeigte. Er hatte im Studium mit dessen Forensik-Lehrbuch gelernt.
Ein Teil Ihres Buches spielt in München, wo Heinz Krug lebte, ein deutscher Ingenieur, der mit den Ägyptern an einem Raketenprogramm gearbeitet hat und 1962 spurlos verschwand. Erst durch Ihre Recherchen hat Krugs Familie erfahren, dass er vom Mossad entführt, getötet und die Leiche über dem Mittelmeer abgeworfen wurde.
Ronen Bergman: Ja, Krugs Kinder sind ohne ihren Vater aufgewachsen und ohne zu wissen, was passiert war. Das ist schrecklich, und das hat mir sehr leidgetan. Ich habe die Familie neulich in ihrem Haus in Bayern besucht. Sie schreiben jetzt selbst ein Buch darüber.
Wusste die Familie denn, dass Krug für ein Rüstungsprogramm gearbeitet hat?
Ronen Bergman: Ihre Version ist, dass sie von seiner Arbeit für Ägypten wussten, aber nicht, dass diese Arbeit mit militärischen Zielen zu tun hatte, sondern mit der Luftfahrt. Ich habe meine Zweifel daran.
Weil Krug bereits im Zweiten Weltkrieg an der Entwicklung der sogenannten Wunderwaffe für die Luftschlacht um England beteiligt war?
Ronen Bergman: Ja, in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Wie auch andere deutsche Ingenieure, die am ägyptischen Raketenprogramm beteiligt waren.
Heißt das, sie waren selber Nazis?
Ronen Bergman: Ich würde diese Ingenieure nicht als Nazis bezeichnen, nur weil sie für sie geforscht haben. Ich gehe Schuldzuweisungen bewusst aus dem Weg, denke aber, dass diese Männer sehr wohl wussten, was sie da für Ägypten entwickelt haben, für ein Land also, dessen Ziel es war, Israel auszulöschen.
Ihre Mutter war eine Jüdin aus Polen. Kürzlich haben Sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz dem polnischen Premier von ihr erzählt …
Ronen Bergman: Ich fahre jedes Jahr nach München zur Sicherheitskonferenz. Diesmal kam ich gerade von einer Lesereise in den USA und hatte turbulente Wochen hinter mir. Im Flugzeug dachte ich, jetzt ist Schluss mit Drama, jetzt brauche ich ein bisschen Ruhe. Aber dann saß ich in der Konferenz, und vorne auf der Bühne saß der polnische Ministerpräsident neben dem österreichischen und sprach über alles Mögliche, nur nicht über das eine Thema, das alle interessierte: das neue Holocaustgesetz.
Nach dem es verboten ist, Kritik am Verhalten von Polen im Zweiten Weltkrieg zu üben?
Ronen Bergman: Genau. Als die Fragerunde begann, stand ich auf und wollte eigentlich nur eine allgemeine Frage stellen. Was das Gesetz bedeutet, was es bewirken soll. Plötzlich dachte ich an meine Mutter, daran, was sie über den Holocaust erzählt hat, dass sie sich nur retten konnte, weil sie zufällig hörte, wie Nachbarn planten, die Juden im Ort an die Gestapo zu verraten. Und dann konnte ich nicht anders und fragte, ob ich in Zukunft auch bestraft werde, wenn ich die Geschichte meiner Mutter und die meiner Angehörigen erzählen werde, die im Holocaust ermordet wurden.
Wie viele Ihrer Verwandten haben den Holocaust nicht überlebt?
Ronen Bergman: Viele. Mein Großvater alleine hatte zwölf Geschwister, und nur vier haben überlebt. Mein Großvater mütterlicherseits wurde umgebracht und im Schnee begraben. Nach dem Krieg nahm sich meine Großmutter einen anderen Mann, der ebenfalls seine Familie in Auschwitz verloren hatte. Mit ihm ging sie nach Israel und ließ ihre Kinder, auch meine Mutter, in dem Glauben, er sei der richtige Vater. Es dauerte lange, bis sie die Wahrheit herausfand. Über diese Sachen wurde nicht gesprochen, auch meine Mutter redete immer nur darüber, wie es ihr gelungen war, Familienmitglieder zu warnen. Darauf war sie sehr stolz.
Meist steht man als Journalist ja im Hintergrund. Ist es Zufall, dass Sie nun selbst Schlagzeilen machen, erst mit dem Buch, und dann mit der Frage an den polnischen Premierminister?
Ronen Bergman: Ja, das ist Zufall. Wenn ich das Buch nicht geschrieben hätte, wäre ich ja trotzdem nach München geflogen und hätte dieselbe Frage gestellt. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
Biografie von Ronen Bergman
Ronen Bergman wurde 1972 in Kiryat Bialik, Israel, als Sohn von Holocaustüberlebenden geboren. Er studierte Jura an der Universität von Haifa und arbeitete für den israelischen Generalstaatsanwalt, bevor er in Cambridge mit einer Arbeit über den Mossad promovierte. Derzeit arbeitet er als Chefkorrespondent für Militär- und Geheimdienstthemen bei der israelischen Tageszeitung „Yedioth Ahronoth“. Bergman hat mehrere Bücher veröffentlicht. Sein jüngstes, „Der Schattenkrieg: Israel und die geheimen Tötungskommandos des Mossad“ beschreibt die Hintergründe von rund 3 000 Attentaten. An dem Buch hat er acht Jahre lang gearbeitet. Ronen Bergman lebt in Tel Aviv. (mz)