Eizellen-Einfrieren "Social Freezing" Eizellen-Einfrieren "Social Freezing": "Bei alten Männern fragt auch keiner"

Halle - „Social Freezing“ muss mit vielen Fragezeichen versehen werden, sagt Prof. Dr. Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Martin-Luther-Universität. Mit ihm sprach Bärbel Böttcher.
Herr Professor Steger, was halten Sie von dem Angebot, das Apple und Facebook ihren Mitarbeiterinnen unterbreitet haben?
Steger: Hinter dem Angebot der beiden Wirtschaftsunternehmen steckt der Gedanke, Frauen mehr Freiheit zu gewähren. Und aus ethischer Perspektive betrachtet ist das grundsätzlich etwas Positives. In dem speziellen Fall geht es um die selbstbestimmte Entscheidung der Frau, zu welchem Zeitpunkt sie Mutter werden will. Selbstbestimmung der Frau, ein hohes Gut, wird hier durch eine medizinische Technik möglich gemacht und auch finanziert. Allerdings wurde diese Technik nicht für eine wunscherfüllende Medizin entwickelt, sondern für den klinischen Fall vorgesehen, dass krebskranke Menschen zu einem gewissen Zeitpunkt Vorsorge für später treffen können. Das sollte bei der Beurteilung berücksichtigt werden.
Ist denn generell etwas dagegen einzuwenden, dass eine Frau ihre Eizellen einfrieren lässt?
Steger: Aus medizin-ethischer Sicht finde ich kein Argument, das dagegen spricht. Es handelt sich ja nicht um Embryos, sondern um Eizellen. Die Frage des Schutzes ungeborenen Lebens oder der Menschenwürde stellt sich hier nicht. Aber: Es muss sich um die selbstbestimmte Entscheidung einer Frau handeln, die umfassend über den Vorgang aufgeklärt ist und eingewilligt hat. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.
Am Zentrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Universitätsklinikums Halle werden jährlich etwa 200 Kryokonservierungen vorgenommen. Einen Fall von „Social Freezing“ gab es noch nicht.
Am häufigsten werden Spermien von Männern eingefroren, die sich einer Tumorbehandlung unterziehen müssen. Sie können dann zur künstlichen Befruchtung von Eizellen eingesetzt werden. Dafür wurde das Verfahren in den 60er Jahren auch entwickelt.
Eingefroren werden zudem befruchtete Eizellen im sogenannten Vorkernstadium. Das heißt, das Spermium ist schon in die Eizelle eingedrungen. Beide sind aber noch nicht miteinander verschmolzen.
Der dritte Anwendungsfall ist das Einfrieren von Hodengewebe. Damit besteht bei Patienten, deren Hoden entfernt werden müssen, die Möglichkeit, später Spermien aus diesem Gewebe zu isolieren und zur künstlichen Befruchtung von Eizellen einzusetzen.
Erst mit dem Verfahren der Vitrifikation, entwickelt in den späten 80er Jahren, war es möglich, auch Eizellen so einzufrieren, dass sie nach dem Wiederauftauen mit guten Erfolgschancen befruchtet werden können. Bei der Vitrifikation wird die Temperatur sehr schnell gesenkt. Dem Medium wird ein Kälteschutzmittel zugefügt, das eine Eiskristallbildung verhindert. Die Zelle wird dann in speziellen Behältern direkt in den minus 196 Grad kalten, flüssigen Stickstoff getaucht. Im Unterschied dazu wird beim Slow-Freezing die Temperatur in langsamen Schritten runtergefahren.
Möglich ist auch das Einfrieren von Eierstockgewebe von Tumorpatientinnen. Nach der Heilung kann dieses retransplantiert werden. Die Frau hat dann wieder eine natürliche Hormonquelle. Damit eröffnet sich die Chance, den Kinderwunsch noch zu erfüllen. Allerdings muss vor der Retransplantation das Gewebe genau auf Tumorzellen untersucht werden.
Die Krankenkassen zahlen für das Einfrieren in der Regel nicht. Die Mitarbeiter des Zentrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie raten aber, in jedem Einzelfall die Möglichkeit der Finanzierung durch die Kassen vor der Behandlung abzuklären. Der Einfrierprozess von Spermien bedingt einmalige Kosten von 350, der von Eizellen 500 Euro. Die Lagergebühren betragen derzeit 90 Euro pro Halbjahr.
Und wie sieht die andere Seite aus?
Steger: Auf der anderen Seite stehen sozial-ethische Fragen. Frauen bekommen von ihrem Arbeitgeber die Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen, die das Innerste ihres Körpers betrifft. Dadurch, dass er für diese Entscheidung bezahlt, nimmt er aber auch Einfluss. Und das sollte schon kritisch betrachtet werden. Denn damit könnte ein Stein ins Rollen gebracht werden. Wird es vielleicht künftig zur sozialen Norm, dass zuerst die berufliche Karriere kommt, und erst danach die Erfüllung des Kinderwunsches? Welcher Druck wird aufgebaut - vom Arbeitgeber, von gleichaltrigen Bezugspersonen, von Kollegen? Welchem Druck setzt sich die Frau selbst aus?
Der Frau könnte es also schwer gemacht werden, nein zu sagen?
Steger: Es ist schwer, einem solchen Druck von Außen zu widerstehen. Wie selbstbestimmt ist die Entscheidung der Frau dann wirklich noch? Wird die späte Schwangerschaft vielleicht das sozial Erwünschte? Und wird Frauen, die sich dem doch widersetzen eines Tages vorgeworfen, selbst schuld zu sein, wenn sie nicht in Spitzenpositionen gelangen?
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Florian Steger zur Familiengründung als "technischen Akt" steht.
Späte Schwangerschaften ziehen ältere Mütter nach sich. Ist das wünschenswert?
Steger: Wie gesagt, es handelt sich um eine hochindividuelle Entscheidung der Frau. Deshalb sollte man mit der Bewertung vorsichtig sein. Problematisch wird es erst, wenn sich die Gesellschaft einmischt. Allerdings ist es in der Tat fraglich, ob ein Baby von einer 50-jährigen Mutter eine gute Idee ist - vor allem aus Sicht des Kindes. Wobei - bei 65-jährigen oder noch älteren Vätern wird das nie kritisch diskutiert. Das hat sehr viel mit dem Rollenbild der Frau zu tun. Noch schwerer wiegt in diesem Zusammenhang aber etwas anderes.
Nämlich?
Steger: Es ist gar nicht so einfach, bei einer im Sinne der Reproduktionsmedizin älteren Frau eine erfolgreiche Schwangerschaft herbeizuführen. Medizinisch gibt es da viele Unsicherheiten. Vor diesem Hintergrund könnte die Frage der Leihmutterschaft ins Spiel gebracht werden. In Deutschland ist das rechtlich zwar nicht möglich. Es gehört aber zu dieser Debatte dazu. Durch eine Leihmutterschaft könnte die Biologie der eigentlichen Mutter ausgetrickst werden. Die Mutter ist älter geworden, die Eizelle aber nicht.
Könnte das „Social Freezing“ Unternehmen dazu verführen, andere Schritte, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen, nicht mehr zu gehen?
Steger: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ein familienorientierter Betrieb bietet heute beispielsweise Teilzeitmodelle an oder unterbreitet Kita-Angebote. Wenn dann noch das „Social Freezing“ dazu kommt, ist es gut. Eine Entwicklung, die das „Social Freezing“ an die Stelle des anderen setzt, würde ich nicht als günstig ansehen. Gleichstellungspolitik darf am Ende nicht heißen: Wir bezahlen dir das Einfrieren deiner Eizellen und später eine Befruchtung.
Eine solche Herangehensweise würde auch die Männer ein Stück weit aus ihrer Verantwortung entlassen.
Steger: Ja. Allerdings sollten wir uns bei dieser Diskussion vergegenwärtigen, dass auch das wieder die Sache der Frau ist. Vielleicht will sie ja gar keinen Mann. Vielleicht beschafft sie sich irgendwo Samen und lässt damit ihre Eizellen befruchten. Die Familienkonzepte haben sich vollkommen geändert. Und die Fortpflanzungsmedizin macht gerade eine enorme Entwicklung durch.
Familiengründung als rein technischer Akt - ist das zu begrüßen?
Steger: Sicherlich nicht. Aber wir sollten für die verschiedenen partnerschaftlichen Modelle offen sein. Oftmals geht es gar nicht mehr um Frau und Mann, sondern um gleichgeschlechtliche Paare, die sich auf diese Weise einen Kinderwunsch erfüllen. Menschen, die stark am traditionellen Familienbild festhalten, fühlen sich von solchen Konzepten enorm bedroht. Und das sind sehr viele. Aber letztlich, und auch das ist wichtig, sollte einmal die Perspektive des Kindes eingenommen werden.
Das heißt?
Steger: Das Kind hat Rechte und eine Schutzbedürftigkeit. Es stellt sich die Frage, ob das Kind biologisch die gleichen Startbedingungen hat wie ein auf natürlichem Weg Gezeugtes. Ob es ihm mit einer älteren Mutter gut geht. Möglicherweise ist kein Vater verfügbar. Zu fragen wäre, ob sich die beiden Konzerne um all das Gedanken gemacht haben. Auf alle Fälle bekommen sie sehr viel mediale Aufmerksamkeit wegen einer Maßnahme, über die man sich trefflich streiten kann.
Und wie lautet nun ihr Fazit? Ist eine Gesellschaft erstrebenswert, in der das „Social Freezing“ selbstverständlich ist?
Steger: Für den einzelnen, der sich damit selbst verwirklicht, ja. Wenn „Social Freezing“ aber zu einer Regel wird, an der man nicht mehr vorbeikommt, dann ist es für die Gesellschaft nicht erstrebenswert. Die Gemeinschaft, jedenfalls die demokratisch verfasste, braucht sehr viel Individualität. (mz)