Einzelschicksal Einzelschicksal: Der Spion, der in der Kälte saß
Magdeburg/MZ. - Die Männer, die an diesem Junitag 1979 aus dem Pkw "Wolga" in der Magdeburger Albert-Vater-Straße sprangen, hatten nur eine Frage: "Sind Sie Eberhard Fätkenheuer?" Fätkenheuer, der gerade das Studentenwohnheim verlassen und sich auf einen Abend mit seiner Bekannten gefreut hatte, nickte kurz. "Dann sind Sie hiermit vorläufig festgenommen". Und noch ehe er sich versehen hatte, saß Fätkenheuer in dem "Wolga", der innen keine Türgriffe hatte. Auf dem Armaturenbrett war ein kleiner Zettel befestigt - sein Name, sein Geburtsdatum und ein Strafrechtsparagraf. Und so wusste der damals 35-Jährige: Die DDR-Staatssicherheit hatte ihn erwischt. Jetzt war alles vorbei. Vier Jahre Spionage, vier Jahre Verstecken, vier Jahre Lüge.
Fast 30 Jahre später sitzt der heute 64-Jährige im Garten seines West-Berliner Reihenendhauses. Die Sonne scheint. Und wenn man den Mann, der inzwischen als Fahrerlaubnisprüfer bei der Dekra arbeitet, nach all den langen Jahren der Haft fragt, ob es das alles wert war, dann zögert er einen Moment. "Die Antwort hat sich mit den Jahren verändert", sagt er. Am Anfang sei er berauscht gewesen. Dann frage er sich wieder: "Wurde ich nicht einfach nur verheizt?" Aber stolz, ja, stolz sei er noch immer.
Seine Geschichte als Spion des amerikanischen Geheimdienstes "Military Intelligence" ist eine Geschichte der Zufälle. Sie beginnt vielleicht damit, dass Fätkenheuer 1965 vom Lehrerstudium an der Berliner Humboldt-Universität exmatrikuliert wird, weil er politische Witze reißt. Und sie verläuft über den ersten Auto-Diagnosebetrieb der DDR, in dem er schließlich arbeitet. Fätkenheuer arrangiert sich, es ist nicht sein Land, in dem er lebt. Und so hat der Österreicher, den er zufällig bei einer Prag-Reise kennenlernt und der ihn schließlich für die Amerikaner anwirbt, leichtes Spiel. Sie werden Freunde, sie treffen sich immer öfter. 1975 stellt der Österreicher Karl die entscheidende Frage. Fätkenheuer sagt zu.
Von nun an gibt es für den jungen Mann ein zweites Leben. Es besteht aus einem präparierten Radio, aus
Zahlenkolonnen und aus Geheimpapier. "Ich habe Informationen über die sowjetischen Truppen geliefert", sagt Fätkenheuer, Deckname "Helmut Prantl". Manchmal sind es scheinbar unwichtige Informationen. Haben die Russen, die er sieht, kurze Haare, heißt das: Sie sind gerade neu angekommen. Sieht er Reifenspuren und Verkehrsposten, sind offenbar Manöver im Gange.
Der Ostdeutsche bekommt ein bisschen Geld. "Davon habe ich den Polterabend und eine Nähmaschine bezahlt." Noch glaubt er, unentdeckt zu sein. Aber der DDR-Geheimdienst ist ihm längst auf der Spur. Man hat die Briefe an "Tante Paula" abgefangen, die er überall in der DDR aufgibt. Darin gibt es einen Hinweis auf eine Ungarnreise. Mit einem immensen Aufwand prüft die DDR-Spionageabwehr Tausende von Visa-Anträgen Richtung Ungarn.
13 Jahre Haft lautet das Urteil, das das Militärobergericht Berlin gegen Fätkenheuer später verhängt. Sechs sitzt er in der Haft ab, wo es kalt und einsam ist, ehe er 1985 im Zuge eines großen Agentenaustausches die DDR über die Glienicker Brücke verlassen darf. Seine Familie kommt ein paar Tage später nach. Warum es sechs lange Jahre mit dem Austausch dauert, hat Fätkenheuer erst viel später erfahren. Der zuständige CIA-Mann in Washington rechnet für ihn und andere in der DDR längst verhaftete Spione weiter Kosten ab, als seien sie noch aktiv.
Dass der Berliner vergeblich auf die Hilfe seines "Arbeitgebers" - formal wird er als Angehöriger der Amerikanischen Streitkräfte geführt - hofft, weiß in den USA zunächst niemand. Noch einmal, 1986, trifft Fätkenheuer CIA-Leute, die ihm bei einem konspirativen Treffen in West-Berlin penibel genau seine aufgelisteten Verdienstausfälle erstatten. Danach ist Ruhe.
Fätkenheuer will seine Geschichte dennoch weiter erzählen, trotzig und ein wenig stolz. Er hat sie aufgeschrieben und gerade bei der "Edition Ost" veröffentlicht, jetzt sucht er einen Verleger in Amerika. Er hat das Manuskript teuer übersetzen und bereits ein Cover fertigen lassen. Und einen Titel hat er auch schon. Eberhard Fätkenheuer: "The forgotten spy" - der vergessene Spion.