1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Einsatz im Kriegsgebiet: Einsatz im Kriegsgebiet: Kindersoldaten schießen häufig mit Waffen aus Deutschland

Einsatz im Kriegsgebiet Einsatz im Kriegsgebiet: Kindersoldaten schießen häufig mit Waffen aus Deutschland

Von Jennifer Wagner 09.02.2017, 15:15
Ein Graffiti in Berlin zeigt einen Jungen mit Panzerfaust. (Symbolbild)
Ein Graffiti in Berlin zeigt einen Jungen mit Panzerfaust. (Symbolbild) imago/imagobroker

Berlin - Kindersoldaten: Das Wort löst viele Emotionen aus – Sorge, Wut, Traurigkeit. Michael Davies weiß jedoch, dass dieses Thema „für viele wie ein Film ist“, man könne sich nicht so richtig etwas darunter vorstellen. Der 38-jährige Davies spricht mit fester Stimme, langsam und überlegt formuliert er seine Sätze. Er weiß nämlich genau, wovon er berichtet.

Davies war selbst ein Kindersoldat in seiner Heimat Sierra Leone – bis er vor rund 15 Jahren geflohen ist. Er weiß, dass bereits Kinder im Alter von sechs oder sieben Jahren – sobald sie eine Waffe halten können – rekrutiert werden, um an der Front zu kämpfen. Mittlerweile engagiert sich Davies für das Deutsche Bündnis Kindersoldaten, das in Berlin anlässlich des am 12. Februar stattfindenden Aktionstags gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten eine Studie vorgestellt hat.  

Deutschland liefert in viele Konfliktregionen

Die Ergebnisse sind erschreckend: Weltweit gibt es immer noch rund 250.000 Kinder, die in mindestens 20 Ländern zu Kämpfen gezwungen werden. Und dabei verwenden sie oftmals Kleinwaffen aus Deutschland. Maschinenpistolen oder Gewehre sind laut Ralf Willinger, Kinderrechtsexperte von „terre des hommes“ und Sprecher des Deutschen Bündnis Kindersoldaten, die tödlichsten Waffen. 90 Prozent der Menschen, die in Kriegen und Konflikten getötet werden, würden mit diesen Waffen umgebracht. „Die Studie belegt, dass Deutschland Kleinwaffen in viele Konfliktregionen liefert – auch in solche, in denen Kindersoldaten eingesetzt werden, beispielsweise in den Nahen Osten, Indien, Pakistan oder die Philippinen“, sagt Willinger. „Deutschland ist folglich mitverantwortlich für die Eskalation von bewaffneten Konflikten und das Leid vieler Kinder in diesen Ländern.“

Ein kompletter Stopp des Exports von Kleinwaffen und Munition sei demnach dringend nötig, ebenso wie ein Rüstungsexportgesetz mit verbindlichen Kriterien.

Kriegswaffen über Umwege aus Deutschland

Der ehemalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat im vergangenen Jahr noch Genehmigungen für Kleinwaffenexporte in Höhe von rund 47 Millionen Euro bewilligt – 47 Prozent mehr als im Vorjahr, wie Frank Mischo von der Kindernothilfe betont. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums geht der Anstieg „fast vollständig auf höhere Genehmigungswerte für EU-/Nato- und Nato-gleichgestellte Länder zurück“. Doch genau darin liegt laut des Bündnisses Kindersoldaten ein Denkfehler: Deutsche Waffen gelangen nämlich auch über Umwege in Kriegsgebiete.

So zählen etwa die deutschen Pistolen Walther P22 und P99 sowie die Sig Sauer SP 2022 in Kolumbien zu den beliebtesten Pistolen, die P99 war vor einigen Jahren sogar die Standardwaffen der kolumbianischen Streitkräfte. Dem gegenüber sage die Bundesregierung, dass es seit 1993 keine Exportgenehmigung für diese Waffen nach Kolumbien gebe. Da die Waffen erst Ende der 1990er Jahre auf den Markt kamen, dürften sie also eigentlich nicht im Land sein.

Lizenzfertigung ist ein großes Problem

Doch die Walther-Pistolen seien nicht nur über das Internet zu kaufen. Das Beispiel verdeutliche nämlich, „wie problematisch Waffenexporte in Nato-Länder wie die USA, Großbritannien oder die Türkei sein können“, sagt Ralf Willinger. Aus diesen Ländern würden häufig Waffen in Kriegsgebiete weiter gegeben, in die Deutschland nicht direkt liefert. Eine weitere problematische Ebene ist laut Andreas Dieterich von Brot für die Welt die Lizenzfertigung, womit die Waffen auch im Ausland produziert werden können. „Wir haben Technik weitergegeben“, sagt  Dieterich. „In anderen Ländern werden nach deutscher Blaupause diese Waffen gefördert und was danach mit ihnen passiert, liegt nicht mehr so wirklich in unserer Hand.“ Der Endverbleib müsse viel stärker kontrolliert werden, damit Kinder, wie Michael Davies eines war, nicht mehr mit deutschen Waffen und Munition kämpfen.

Bundeswehr sucht Nachwuchs

Kritik gibt es jedoch auch an der deutschen Politik gegenüber den eigenen Streitkräften: Die  Bundeswehr intensiviert seit Jahren die Nachwuchswerbung. Dadurch würden auch immer mehr Minderjährige den Dienst an der Waffe lernen, kritisiert Frank Mischo von der Kindernothilfe. Die Anzahl der Diensteintritte 17-Jähriger sei von 689 im Jahr 2011 auf mehr als 1900 im vergangenen Jahr gestiegen. Nur Großbritannien würde noch mehr Minderjährige rekrutieren, 2016 waren es rund 2300.

Deutschland solle international eine Vorbildrolle einnehmen, sagt Mischo: „Es ist nahezu unmöglich, Regierungen und Rebellengruppen bei Demobilisierungen von Kindersoldaten zu erklären, wieso in Myanmar oder im Südsudan auch 16- oder 17-Jährige aus kinderrechtlichen Gründen nicht im Militär bleiben sollten, wenn Staaten wie die Großbritannien und Deutschland dies nicht beachten.“