Einsatz am Hindukusch Einsatz am Hindukusch: Bundeswehr übergibt Feldlager Kundus an Afghanen

Kundus/rtr - Nach zehn Jahren verlässt die Bundeswehr ihren gefährlichsten Einsatzort im nordafghanischen Kundus und beendet damit weitgehend den Kampfeinsatz am Hindukusch. „Kundus, das ist für uns der Ort, an dem die Bundeswehr zum ersten Mal gekämpft hat, lernen musste zu kämpfen“, sagte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere am Sonntagmorgen im Feldlager Kundus, in das er gemeinsamen mit Außenminister Guido Westerwelle zu einer Zeremonie zur Übergabe des Camps an die afghanischen Sicherheitskräfte gereist war. „Das war eine Zäsur - nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für die deutsche Gesellschaft“.
22. Dezember 2001: Der Bundestag stimmt der Entsendung von bis zu 1200 Soldaten im Rahmen der Internationalen Schutztruppe Isaf zu. Sie sollen helfen, das Land nach dem Sturz der Taliban zu stabilisieren. Erstmals stehen damit Bundeswehrsoldaten vor einem Kampfeinsatz außerhalb Europas.
1. September 2004: Die Bundeswehr beginnt offiziell ihren Einsatz in Feisabad, der Hauptstadt der entlegenen nordostafghanischen Provinz Badachschan.
1. Juni 2006: Deutschland übernimmt das Isaf-Kommando für Nordafghanistan. Regionales Hauptquartier wird das Camp Marmal, das größte Feldlager der Bundeswehr außerhalb Deutschlands.
19. Mai 2007: Bei einem Taliban-Selbstmordanschlag auf dem Markt in Kundus-Stadt werden drei deutsche Soldaten getötet. Der Anschlag gilt als Wendepunkt in der bis dahin relativ sicheren Provinz.
4. September 2009: Bei einem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff auf zwei gekaperte Tanklastzüge in Kundus sterben Dutzende Menschen, darunter viele Zivilisten. Im Zuge der Aufarbeitung eines der verheerendsten Luftschläge des Afghanistan-Kriegs verlieren ein Minister, ein Staatssekretär und der Generalinspekteur der Bundeswehr ihre Jobs.
Karfreitag, 4. April 2010: Bei den bis dahin schwersten Gefechten in der Geschichte der Bundeswehr werden drei deutsche Soldaten in einem Hinterhalt der Taliban in der Provinz Kundus getötet.
28. Mai 2011: Bei einem Anschlag auf den Sitz des Gouverneurs der Provinz Talokan wird zum ersten Mal ein deutscher General verwundet.
31. Dezember 2014: Der Isaf-Kampfeinsatz soll auslaufen. Ein kleinerer Nato-Einsatz zur Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte ist geplant.
Auch wenn die Bundeswehr die Provinz nun verlasse, werde sie diese doch niemals vergessen, betonte der Minister die große symbolische Bedeutung der Region für die deutschen Truppen. „Kundus hat die Bundeswehr geprägt wie kaum ein anderer Ort - hier wurde aufgebaut und gekämpft, geweint und getröstet, getötet und gefallen“, erklärte de Maiziere. „Kundus wird für immer Teil unseres gemeinsamen Gedächtnisses bleiben“. In Kundus wurden 18 deutsche Soldaten bei Anschlägen und Gefechten getötet, mehr als an jedem anderen Ort seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Insgesamt starben in Afghanistan 35 Bundeswehr-Soldaten durch Feindeinwirkung, 19 weitere kamen durch Unfälle und Selbstmorde ums Leben.
Minister de Maiziere mahnt Afghanen
De Maiziere nahm die afghanische Polizisten und Soldaten in die Pflicht, auf denen nun endgültig die volle Verantwortung für die Sicherheit in der Unruhe-Region lastet. „Wir hoffen und erwarten, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Sicherheit in und um Kundus bewahren und notfalls wiederherstellen“, mahnte der Minister. „Die Verantwortung, die wir an Sie, unsere afghanischen Partner, übergeben, ist groß“. Deutschland wisse, was dies bedeute, habe großen Respekt vor der Tapferkeit und Standhaftigkeit der afghanischen Soldaten und Polizisten.
In das Bundeswehr-Lager soll künftig ein Bataillon afghanischer Soldaten sowie Bereitschaftspolizei einziehen. Die Sicherheitslage in der Unruhe-Provinz hatte sich zuletzt verschlechtert, mehrere prominente Politiker wurden in den vergangenen Wochen von den radikal-islamischen Taliban ermordet. Auch die Angriffe auf kleinere Posten der afghanischen Sicherheitskräfte häufen sich. Viele Afghanen befürchten eine weitere Verschärfung der Lage, wenn die Bundeswehr aus Kundus abgezogen ist.
Millionen für Wiederaufbau zugesichert
Westerwelle versicherte, Deutschland werde Afghanistan auch nach dem Abzug aus Kundus nicht im Stich lassen. „Unsere Arbeit für eine gute Zukunft Afghanistans endet nicht hier“, erklärte er. „Wir setzen unser ziviles Engagement für Afghanistan fort“. Deutschland hat Afghanistan bis 2016 bis zu 430 Millionen Euro jährlich für den Wiederaufbau versprochen.
Die Übergabe des Feldlagers ist der letzte große Meilenstein auf dem Weg zum Abzug aus Afghanistan. Zugleich markiert sie das weitgehende Ende des deutschen Kampfeinsatzes am Hindukusch: Nach der Räumung Camps in Kundus im Laufe des Oktober wird die Bundeswehr nur noch eine kleine Reserve an Kampftruppen für Notfälle im 200 Kilometer entfernten Hauptquartier in Masar-i-Scharif vorhalten. Der deutsche Einsatz wird sich damit grundlegend verändern.
Die Nato will ihren Kampfeinsatz am Hindukusch bis Ende 2014 abschließen. Danach soll nur noch eine wesentlich kleinere Beratermission die afghanischen Sicherheitskräfte unterstützen. De Maiziere geht davon aus, dass nach 2014 noch 600 bis 800 deutsche Soldaten am Hindukusch im Einsatz sind. Voraussetzung für diesen Folge-Einsatz ist allerdings ein Truppenstatut. Die Verhandlungen darüber zwischen der Führungsnation USA und der afghanischen Regierung stocken jedoch seit langem, so dass auch ein vollständiger Abzug der ausländischen Truppen nicht ausgeschlossen ist. Ohne die USA und ihre gewaltige Militärmaschinerie gilt ein Einsatz am Hindukusch als nicht machbar. Vor einigen Jahren waren die USA bereits komplett aus dem Irak abgezogen, nachdem dort die Verhandlungen über ein Truppenstatut gescheitert waren.