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Einmal noch die große Weltbühne Einmal noch die große Weltbühne: Schäuble verabschiedet sich als Finanzminister

Von Markus Decker 10.10.2017, 15:43
Halbherzig gegen die Geldwäsche: Finanzminister Wolfgang Schäuble
Halbherzig gegen die Geldwäsche: Finanzminister Wolfgang Schäuble dpa

Berlin - Einmal noch die große Weltbühne. Einmal noch als Mr. Europa den Amerikanern und Chinesen, Brasilianern und Japanern die komplizierte EU und die noch  undurchdringlichere Währungsunion erklären. Zum 15. Mal fliegt Wolfgang Schäuble (CDU) an diesem Mittwoch als Bundesfinanzminister zu einer Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach Washington. Es wird das letzte Mal sein. Es gibt gerade viele letzte Runden für den 75-Jährigen.

Zumindest nah dran am Traum

Am 24. September wird er eine neue Rolle übernehmen. Schäuble, der gerne Bundeskanzler geworden wäre oder Bundespräsident, dessen Träume an Helmut Kohls Ehrgeiz scheiterten und an Angela Merkels Rücksicht auf die FDP, wird nun zumindest das zweite Amt im Staat übernehmen.

In der konstituierenden Sitzung des neuen Deutschen Bundestags wird er zum Bundestagspräsidenten gewählt werden. Rauer als bisher wird es im Parlament werden. Das ist die Erwartung, weil die AfD nun auch dabei ist und mit ihr Vertreter, die durch rassistische und anti-demokratische Äußerungen von sich reden gemacht haben. Aus den Landesparlamenten wird berichtet, die AfD versuche immer wieder den Parlamentsbetrieb aufzuhalten.

Der Bundestagspräsident könnte einer der wichtigsten Jobs der Wahlperiode werden. Der bisherige Amtsinhaber Norbert Lammert hat nicht mehr kandidiert. Auf der Suche nach einem Ersatz mit Autorität, Kenntnis von juristischen und anderen Parlamentstricks , ist die Union, die als stärkste Fraktion den Präsidentenposten besetzen kann, auf Schäuble gestoßen, den dienstältesten Abgeordneten mit 45 Jahren im Parlament, und Jahrzehnten in der Regierung, auch als Kanzleramts- und Innenminister, gewöhnt an Krisensitzungen und Verhandlungen, der den Einheitsvertrag ausgehandelt hat und seine Parlamentskollegen einst vom Umzug von Bonn nach Berlin überzeugte.

Schäuble ist die einzige sinnvolle Option der Union

Recht viel mehr Namen sind der Union dann auch nicht mehr eingefallen, das gehört auch zur Wahrheit. Und ohnehin scheint es so, als würde die Union künftig nicht mehr den Finanzminister stellen – zu groß ist das Interesse der FDP. Und in der Union drängen andere, Jüngere auf Ministerposten.

„Isch over“, hat Schäuble auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise mal gesagt und damit in badisch geprägtem Englisch versucht, den Druck auf die Griechen zu erhöhen.

Nun hat ihn der Satz eingeholt: „Isch over“ im Finanzministerium, von dem aus er in Europa die Bühne dominierte. Es ist keine Frage: In seinen acht Jahren als Bundesfinanzminister ist Wolfgang Schäuble international eine Marke geworden.

In Brüssel wurde sogar Eurogruppen-Chef Jereon Dijsselbloem, der harte Holländer, am Anfang dieser Woche rührselig, als Schäuble dort zum letzten Mal in den Sitzungssaal kam. Es gab eine Euro-Note mit Schäuble-Porträt als Abschiedsgeschenk und Dijsselbloem beteuerte, Schäubles Dominanz in der Eurogruppe habe nichts mit der Dominanz, der hohen Wirtschaftskraft Deutschlands zu tun, sagte er bei deren letzten Sitzung mit dem Senior mit dem spöttischen Blick. Und er sprach von Weisheit, von Erfahrung und einer starken  europäischen Überzeugung.

Vor der Wahl zeigte Schäuble sich aktiv

„Acht Jahre sind genug“, behauptete Schäuble am Rande der Sitzung. Vermutlich hätte er nach der Bundestagswahl am liebsten einfach  weitergemacht. Aktiv wie selten zuvor erlebten ihn seine Begleiter in den Monaten vor der Bundestagswahl. Manche meinen, als Finanzminister mit dem großen Einfluss auf Europa habe er nach so vielen politischen Stationen seine Rolle gefunden.

Er könne sich nicht vorstellen, dass Schäuble künftig zu den großen Europa-Debatten schweigen werde, sagt ein enger Vertrauter. Mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron legte sich  Schäuble in seinen letzten Tagen im alten Amt noch einmal an. Das Nein zu einer stärken Vergemeinschaftung in der Währungsunion hinterließ er als eine Art Vermächtnis.

In der Heimat übergibt er den Nachfolgern die Schwarze Null, den ausgeglichenen Haushalt. Da spielten glückliche Umstände, die starke Konjunktur, der gute Arbeitsmarkt, die niedrigen Zinsen eine große Rolle. Aber Schäuble wird als der Finanzminister in die bundesdeutsche Gesichte eingehen,  in dessen Amtszeit das Leben auf Pump nach Jahrzehnten aufhörte. Ansonsten bleibt wenig  – keine große Steuerreform, ein mühseliges Herumdoktern an der Erbschaftsteuer, ein typischer Kompromiss beim Länderfinanzausgleich. Innenpolitisch blieb er als Finanzminister blass. Umso mehr lebte er auf, wenn es um die Zukunft Europas ging. Aber über die werden bald andere entscheiden.

Schäuble kann sein Gesicht wechseln wie kaum ein Zweiter

Diese acht Jahre im Finanzministerium offenbarten aber auch einen Mann, der sein Gesicht wechseln kann kaum wie ein Zweiter. Einer der gelassen, souverän und charmant sein kann. Vertraute wollen auch eine gewisse Altersmilde ausgemacht haben. Doch es gibt auch einen anderen, den harten, galligen, rücksichtslosen Schäuble, dessen Bösartigkeit ihn beinahe sein Amt gekostet hätte.

Es war ein milder Herbsttag vor sieben Jahren, als ein hochrangiger Beamter irgendwo im Westen der Republik mit dem Zug durch die Provinz fuhr. Doch auch dort auf der Flucht vor Berlin und dem  Regierungsviertel sah er in den Zeitungen sein Bild, das er nie dort sehen wollte. Es war der Pressesprecher des Bundesfinanzministeriums, Michael Offer, den Schäuble auf einer Pressekonferenz wegen fehlender Unterlagen höhnisch lächelnd vorgeführt hatte. Offer wurde zum Prototyp des Untergebenen, den sein Vorgesetzter öffentlich demütigt und herabwürdigt.

Schäuble hatte bis dahin vor allem in der Union den Ruf eines zuweilen mehr als bissigen Chefs.  Nun führte er das auch öffentlich vor. 

Schäuble hatte ambitionierte Ziele

War es Frust, die Anforderungen des Amtes in dieser Zeit nicht gewachsenen zu sein, weil die Behinderung ihren Tribut verlangt? Waren es Nebenwirklungen von Medikamenten? Sie müssten wissen, dass sie „einen Krüppel“ in Verantwortung nähmen, hatte er in seiner zynischen Art seinen Leuten gesagt.

Im Jahr 1990, dem Einheitsjahr, hatte ihn ein Mann auf einer Wahlkampfveranstaltung niedergeschossen. Schäuble überlebte und ist seither querschnittsgelähmt. Er hat damals nicht mit der Politik aufgehört, von heute aus betrachtet hatte er damals nicht mal die Hälfte seines politischen Lebens hinter sich.

„Klar kann ein Krüppel Kanzler“, hat er einige Jahre später selbstbewusst in einem Stern-Interview gesagt. Aber Kohl ließ ihn nicht vor, die CDU verlor die Wahl und Schäuble den Parteivorsitz, weil auch er in die CDU-Spendenaffäre verstrickt schien.

Es übernahm: Angela Merkel. Für die ist er in den letzten Jahren zu einem potenziellen Konkurrenten geworden. Merkel stand in der Kritik, Schäuble war in den Umfragen plötzlich beliebt. Er stichelte von der Seitenlinie und hatte es danach natürlich nie so gemeint. Merkel hielt an ihm fest, sehr fest. Für sie war Schäuble auch ein Stabilitätsgarant in der Union, die Besänftigung für ihre Kritiker auf dem konservativen Flügel, die den Mann aus Baden-Württemberg als einen der Ihren betrachteten.

Merkel und Schäuble prägt bis heute eine starke Verbindung

Die Verbindung von Merkel und Schäuble zeigte sich besonders deutlich in dessen erstem Jahr als Finanzminister. Es ging im gesundheitlich schlecht. Er liegt im Krankenhaus und wenn er dort nicht liegt, wirkt er müde, abgemagert, entkräftet. Die Finanzkrise bringt das Land ins Schlingern, aber der Finanzminister musste sich bei wichtigen Sitzungen von Thomas de Maizière oder Wirtschaftsminister Rainer Brüderle von der FDP vertreten lassen. In der CDU debattierte man über seinen Nachfolger, in der Hauptstadt laufen damals die Wetten, wann er hinschmeißen würde.  Und Schäuble dachte wohl auch über Rücktritt nach.

Merkel erwiderte, er solle sich alle Zeit nehmen die er brauche. Auch sie braucht ihn, in der CDU und weil sie das Finanzministerium nicht an die kraftstrotzende und vom Steuersenkungs-Virus befallene FDP geben will.

Beim G 20-Gipfel im südkoreanischen Seoul holen Merkel damals Meldungen aus der Heimat ein. Sie wolle ihr Kabinett umbilden und Schäuble entlassen, berichteten Zeitungen in Deutschland. Merkel verlässt ihren Frühstückstisch, eilt von sich aus auf die deutschen Journalisten zu. Wer das denn erfunden habe, fragt sie. „Kabinettsumbildung – davon müsste ich ja wohl wissen.“ 

Später lässt sie bei der Pressekonferenz mit Schäuble das offizielle Dementi folgen – der bedankte  sich mit einem gequälten Lächeln und – beim Fest zu seinem 70. Geburtstag – „für Ihr großes Vertrauen und die Großzügigkeit, die Sie als Regierungschefin aufbringen, mich zu ertragen“.

Nun also wird Schäuble doch noch sein eigener Chef

Diesen Rückhalt in seinen schwersten Momenten wird Schäuble Merkel wohl nicht vergessen, auch wenn es in den Jahren danach immer wieder Gelegenheit für Zerwürfnisse gibt, über die Griechenland- und die Europolitik. Mühsam hat er lernen müssen, dass andere in der Rangordnung vor ihm bleiben werden.

Merkel sei die Chefin, sagte Schäuble gerne bei solchen Gelegenheiten und lächelte. Es war ein ironisches, auch ein bitteres Lächeln. Das Verhältnis zu seinem früheren Chef Helmut Kohl, dem er zuvor loyal zugearbeitet hatte, war nach verlorener Wahl und Spendenaffäre zerrüttet. Zu Kohls Trauerfeier in diesem Jahr kam Schäuble nicht.

Nun also wird Schäuble doch noch sein eigener Chef. Schon sein Vorgänger Norbert Lammert hat die Regierung stets zu mehr Rücksichtnahme auf das Parlament gemahnt.

Eine letzte große Runde in Washington

Bevor er sich mit Zwischenrufen, Sitzordnungen und Geschäftsordnungsanträgen beschäftigt, wird Schäuble nun In Washington nochmal über deutsche Exportüberschüsse diskutieren, über Griechenland und den Euro-Rettungsfonds. So viele Gesprächsanfragen in Washington gebe es, dass man nicht alle Wünsche habe erfüllen können, heißt es im Bundesfinanzministerium.

Mit Christine Lagarde, der Chefin des Internationalen Währungsfonds, wird er auf jeden Fall zusammenkommen. „Wolfgang, my friend“, so spricht die elegante Französin über den bissigen Badener. So herzlich wird es bei Schäuble selten.