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Ein Pieks als Heilsbringer? Ein Pieks als Heilsbringer?: Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Corona-Impfung

02.12.2020, 08:44
Eine Spritze mit dem Impfstoff von Moderna wird vorbereitet.
Eine Spritze mit dem Impfstoff von Moderna wird vorbereitet. AP

Berlin - Die Hoffnung liegt derzeit auf der Zulassung eines Impfstoffes, um die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Die ersten Anträge dafür haben die Pharmaunternehmen Moderna sowie Biontech und Pfizer eingereicht (siehe „Impfstoffe warten auf Genehmigung“).

Doch wie lange wird es noch dauern, bis die Beschränkungen restlos fallen können, bis ein normales Leben wieder möglich sein kann? Das hängt stark davon ab, wie schnell eine Herdenimmunität erreicht werden kann. Die wichtigsten Fragen dazu beantworten Saskia Bücker und Tim Szent-Ivanyi.

Warum sind Prognosen, wann der Alltag wieder normal läuft, so schwer zu treffen?

Voraussagen, wann ein normales Leben wieder möglich ist, sind schwierig, weil es nach wie vor zu viele Unbekannte gibt. Mindestens drei Nadelöhre gilt es zu berücksichtigen: Gibt es genug Impfstoff? Gibt es ausreichende Impfkapazitäten? Und schließlich: Wie viele Menschen sind überhaupt bereit, sich impfen zu lassen?

Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich am ehesten Hochrechnungen darüber anstellen, wie lange es mit den geplanten Impfkapazitäten dauern wird, die angestrebte Herdenimmunität in Deutschland zu erreichen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Bevölkerung vor einer weiteren Verbreitung des Coronavirus geschützt ist, wenn 65 Prozent der Bevölkerung - das wären etwa 54 Millionen Menschen - immun sind, sei es durch eine Impfung oder eine überstandene Infektion. Letzteres soll unberücksichtigt bleiben, weil es darüber wegen einer gewissen Dunkelziffer keine verlässlichen Zahlen gibt.

Wann könnte es eine Herdenimmunität durch Impfungen geben?

Das lässt sich bisher nur abschätzen. Die geplante Massenimpfung ist Ländersache. Detaillierte Pläne liegen allerdings erst aus wenigen Ländern öffentlich vor, etwa aus Berlin und Baden-Württemberg. Die Größenordnungen dürften sich aber für ganz Deutschland verallgemeinern lassen.

Beispiel Berlin: Der Stadtstaat plant sechs Impfzentren mit einer Kapazität von insgesamt rund 20.000 Impfungen am Tag. Die Stadt geht dabei davon aus, dass in einem ersten Schwung insgesamt 450.000 Menschen geimpft werden sollen: medizinisches Personal, Risikogruppen sowie Personen mit wichtigen hoheitlichen Aufgaben, also etwa Polizisten. Da der Biontech-Impfstoff zwei Mal im Abstand von genau 21 Tagen gegeben werden muss, ergibt sich daraus die notwendige Impfkapazität pro Tag. Geht man nun davon aus, dass ab Anfang Januar geimpft werden kann und diese Geschwindigkeit beibehalten wird, würde die Herdenimmunität in Berlin mit seinen 2,4 Millionen Menschen Ende August erreicht.

Baden-Württemberg plant mit bis zu zwölf großen und 44 kleineren Impfzentren, die zusammen eine Tageskapazität von etwa 45.000 Impfungen haben. Mit diesen Werten würde Baden-Württemberg die Herdenimmunität bis Mitte/Ende November schaffen.

Diese Modellrechnungen lassen allerdings unberücksichtigt, dass es neben den Impfzentren überall auch noch mobile Teams geben soll, die zum Beispiel in Pflegeheimen impfen. Zudem sollen die Impfzentren nach den bisherigen Planungen irgendwann im Jahresverlauf durch Impfungen bei den niedergelassenen Ärzten ergänzt werden. Steht ausreichend Impfstoff zur Verfügung, dürfte es damit zu einer Beschleunigung kommen: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat daran erinnert, dass die niedergelassenen Ärzte jedes Jahr in nur wenigen Wochen 20 Millionen Grippeschutz-Impfungen schaffen.

Rein technisch scheint es also machbar, dass die Herdenimmunität in ganz Deutschland noch im kommenden Jahr erreicht wird. Vorausgesetzt, es gibt ausreichend Impfstoff und die Impfbereitschaft ist hoch.

Wann und wo gibt es erste Impfungen in Deutschland?

Die Unternehmen Biontech und Pfizer sowie Moderna haben angekündigt, ihre Impfstoffe direkt innerhalb weniger Stunden ausliefern zu können, sobald die EU-Zulassungsbehörden grünes Licht geben. Auch Gesundheitsminister Spahn hält es für möglich, dass ein Impfstoff noch in diesem Jahr zugelassen wird. „Unser Ziel ist es, dass bereits im Januar die ersten Risikogruppen und Pflegebeschäftigen geimpft sind“, sagte Spahn am Dienstag im Deutschlandfunk.

In allen Bundesländern werden für das ambitionierte Vorhaben der Massenimpfungen unter Zeitdruck bereits große regionale Impfzentren aufgebaut. Die Länder haben dem Bund bislang rund 30 Anlieferstellen genannt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung ist damit beauftragt worden, „standardisierte Module“ zu entwickeln, damit Patienten telefonisch und digital Termine vereinbaren können. Die Vorbereitungen laufen also auf Hochtouren.

Die Impfzentren sollen nach den Vorstellungen des Bundes ab Mitte Dezember einsatzbereit sein. Ihr großer Vorteil: Sie können den hohen logistischen Anforderungen gerechter werden als die Arztpraxen. Der Impfstoff von Biontech etwa werde in Boxen geliefert und könne in diesen mit Trockeneis bis zu 30 Tage im jeweiligen Impfzentrum gekühlt werden oder bis zu fünf Tage in einem handelsüblichen Kühlschrank. Gefrierschränke würden erst wichtig, wenn es um eine längere Lagerung gehe, teilte das Unternehmen am Dienstag mit.

Die Impfstrategie sieht zudem vor, dass ab Frühsommer auch Impfungen in Hausarztpraxen angeboten werden könnten.

Wer wird zuerst geimpft?

Eine Impfpflicht werde es nicht geben, hat die Bundesregierung mehrfach betont. Aber auch beim Prinzip der Freiwilligkeit können nicht alle, die wollen, gleichzeitig geimpft werden. Die EU hat zwar Verträge mit Moderna, Biontech/Pfizer und AstraZeneca geschlossen. Zu Beginn werden aber nicht ausreichend Impfstoff-Dosen zur Verfügung stehen. Es müssen also Prioritäten gesetzt werden - was Aufgabe der Ständigen Impfkommission (Stiko) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Ethikrat und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina ist.

Das Gremium erarbeitet eine Empfehlung für die Bundesregierung, wer zuerst Anspruch auf eine Impfung haben soll. Fest steht bereits: Priorität haben in Deutschland Gesundheitspersonal und Gruppen mit signifikant erhöhtem Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankung, also vor allem Ältere und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen. Zur Gewichtung einzelner Risikofaktoren sind laut Ethikkommission feingliedrige Modellierungen in Arbeit, wofür aber noch ausführliche Daten zu den einzelnen Impfstoffen fehlen. Die Details der Reihenfolge stehen also noch aus. Diese Fein-Priorisierung hängt nicht zuletzt von zwei Faktoren ab, die laut Stiko erst nach der Zulassung geklärt werden können: Welches Vakzin ist in Deutschland zuerst und in welchem Umfang verfügbar? Und für welche Gruppen ist es wie verträglich?

Wie wirksam sind die Impfstoffe?

Die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna haben laut Zwischenergebnissen der Hersteller eine hohe Wirksamkeit, also einen hohen Schutz vor der Krankheit Covid-19. Nach der Gabe von zwei Dosen liegt dieser nach vorläufigen Daten bei rund 95 Prozent. Der von AstraZeneca entwickelte Impfstoff liegt - je nach Verabreichung und Dosierung - bei einer Effektivität von 90 beziehungsweise 62 Prozent. Wissenschaftler sprechen von grundsätzlich sehr ermutigenden Daten. „Ich rechne fest damit, dass die Impfstoffe funktionieren“, sagte Impfstoffforscher Erik Leif Sander von der Berliner Charité. Über die hoch angegebene Effektivität sei er positiv überrascht und auch erleichtert.

Offen ist aber, ob die Impfstoffe den Krankheitsverlauf abmildern - oder eine Ansteckung mit Sars-CoV-2 grundsätzlich verhindern. Ebenso ist nicht bisher klar, wie lange der Impfschutz anhält.

Wie sicher sind die Impfstoffe?

Die Impfstoffe von Biontech und Pfizer sowie Moderna setzen auf eine zuvor noch nie am Menschen angewandte mRNA-Technologe. Impfstoffforscher Sanders zufolge ist das aber ein sehr sicheres Prinzip. Berichtete Nebenwirkungen, die zwar recht häufig auftreten, fielen bislang sehr leicht aus: Gliederschmerzen, Kopfschmerzen, leichte Abgeschlagenheit. „Im Prinzip verläuft die Impfung dann wie ein leichter Virusinfekt, der nach ein, zwei Tagen wieder vorbei ist.“ AstraZenecas Serum ist ein Vektorimpfstoff und beruht auf einer schon lange angewandten Impftechnologie. Auch dabei wurden laut Hersteller grippeähnliche Nebenwirkungen ohne ernsthafte Komplikationen im Zusammenhang mit dem Impfstoff beobachtet. Eva Hummers, Mitglied der Ständigen Impfkommission, machte am Montag in der Talkshow „Hart aber Fair“ aber auch klar: „Unproblematisch ist sie nicht, denn wir wissen noch nichts über die Langzeitfolgen.“ Es gebe viele Fragen, die auf Basis der bisherigen Studien noch nicht sicher beantwortet werden könnten.

Ist die Bereitschaft zur Immunisierung hoch genug?

Wann eine Herdenimmunität erreicht werden kann, hängt nicht nur davon ab, wie viele Impfdosen zur Verfügung stehen, sondern auch, wie hoch die Impfbereitschaft ist. Nach Ansicht von Experten der Weltgesundheitsorganisation ist eine Durchimpfungsrate von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung für eine wirkungsvolle Bekämpfung der Corona-Pandemie nötig. Dafür wäre die Bereitschaft derzeit wohl zu gering, zeigt eine Umfrage der Universität Hamburg mit 7.000 Befragten in ganz Europa: Nur rund 57 Prozent der Befragten aus Deutschland gab im November an, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Rund jeder Fünfte lehnte eine Impfung ab. Wer gegen eine Impfung war, äußerte meist Sorge vor möglichen Nebenwirkungen. (mz)

Eine Spritze mit dem Impfstoff von Moderna wird vorbereitet.
Eine Spritze mit dem Impfstoff von Moderna wird vorbereitet.
dpa