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"Es klingt so platt" Ein Einzelfall: Einstige RAF-Terroristin Silke Maier-Witt entschuldigt sich bei Jörg Schleyer

Von Markus Decker 28.11.2017, 15:50
Hanns Martin Schleyer war Gefangener der RAF.
Hanns Martin Schleyer war Gefangener der RAF. AFP

Am Montag sendeten die Tagesthemen der ARD einen nur zweieinhalbminütigen und doch sehr bemerkenswerten Film. Darin sieht man den jüngsten Sohn des einstigen und von der Roten Armee Fraktion (RAF) 1977 hingerichteten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, Jörg Schleyer.

Er ist inzwischen 63 Jahre alt. Neben ihm spazierend und später in einer Seilbahn sitzend sieht man Silke Maier-Witt, die frühere RAF-Terroristin. „Es klingt so platt“, sagt die 67-Jährige, die mit einer kleinen Rente nicht zuletzt aus finanziellen Gründen im mazedonischen Skopje lebt. „Aber ich möchte erst einmal um Verzeihung bitten.“ Um Verzeihung für den Mord.

RAF entführte Hanns Martin Schleyer

Die RAF hatte Schleyer im so genannten Deutschen Herbst in ihre Gewalt gebracht und seine Begleiter erschossen. Sie versuchte so, führende RAF-Mitglieder aus der Haft in Stuttgart-Stammheim freizupressen. Weil die sozial-liberale Bundesregierung unter dem damaligen Kanzler Helmut Schmidt (SPD) hart blieb, woran auch die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ mit 91 Passagieren an Bord nichts änderte, musste Jörg Schleyers Vater sterben. Maier-Witt rief am 18. Oktober 1977 bei der Deutschen Presseagentur in Paris an und teilte mit, dass er nach 43 Tagen Gefangenschaft exekutiert worden sei. Aus all dem ergeben sich nun Fragen.

Kommt die Entschuldigung zu spät?

Die erste Frage lautet: Ist die Entschuldigung glaubwürdig und kommt sie nicht ohnehin viel zu spät?  Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), zu jener Zeit Parlamentarischer Staatssekretär, sagte dieser Zeitung dazu: „Eine Entschuldigung kommt nie zu spät. Und Frau Maier-Witt hat zwar an der Schleyer-Entführung mitgewirkt. Aber sie ist da reingezogen worden und war eine Randfigur. Ich würde ihr die Entschuldigung abnehmen.“ Vor der Entführung hatte die heute harmlos wirkende Frau Fahrwege des Arbeitgeberpräsidenten ausgekundschaftet und während der Entführung die Tonbänder der sogenannten RAF-Verhöre mit der Geisel Schleyer abgeschrieben.

Antworten zum Tod von Schleyer Senior

In dem ARD-Film fragt Jörg Schleyer: „Wie ist mein Vater gestorben?“ Daraufhin erwidert Silke Maier-Witt: „Er ist hingerichtet worden.“ Später hört man ihn sagen: „Die Frage, die uns als Familie am meisten beschäftigt, ist, wer hat damals geschossen und warum.“ Schließlich hätten die Gesinnungsgenossen in Stuttgart-Stammheim zuvor Selbstmord begangen. Sie antwortet darauf nur mit einem vieldeutig-nichtssagenden: „Hm.“

Jörg Schleyer wirft zudem eine zweite Frage auf: nämlich ob der Staat selbst alles zur Aufklärung getan habe. In dem Zusammenhang bittet er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um die Freigabe bisher unter Verschluss gehaltener Akten. Denn bei der Entscheidung über mindestens acht Gnadengesuche von RAF-Mördern in den vergangenen Jahren müsse das Präsidialamt Einsicht in Aktenauszüge der Bundesanwaltschaft, des Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes zu den Morden bekommen haben, glaubt Schleyer. Dieses Wissen dürfe den Hinterbliebenen der Opfer nach 40 Jahren nicht weiter verwehrt werden. Steinmeier selbst hatte zum 40. Jahrestag der Ermordung Schleyers Mitte Oktober ehemalige RAF-Terroristen eindringlich aufgefordert, ihr Schweigen zu brechen.

Nichts verbergen

Ex-Innenminister Baum kommentiert Jörg Schleyers Bitte mit den Worten: „Was sich veröffentlichen lässt, das sollte man auch veröffentlichen. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als habe der Staat etwas zu verbergen.“ Er gehe aber davon aus, dass alles Wesentliche bekannt sei.

Die innenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, sieht sich grundsätzlich bestätigt. „Es ist völlig unverständlich, dass die Familie Schleyer nach vierzig Jahren weiterhin keine Möglichkeit hat, die einschlägigen Akten von BND und Verfassungsschutz einzusehen“, sagte sie dieser Zeitung. „Es fehlt in Deutschland eine Kultur der Nachvollziehbarkeit geheimdienstlichen Handelns. Das hat sich auch im NSU-Komplex allzu deutlich gezeigt.“ Damit werde in Kauf genommen, dass der öffentlichen Debatte wichtige Erkenntnisstränge entzogen würden, beklagt Mihalic. Und es berge immer die Gefahr, dass Geheimdienste ausschließlich nach eigenen Maßstäben agierten, weil sie ja nicht fürchten müssten, dass ihr Handeln grundsätzlich in Frage gestellt werde.

„Die nehmen ihr Wissen mit ins Grab“

Baum steht übrigens mit Silke Maier-Witt in Kontakt und tritt am Donnerstag mit Jörg Schleyer bei Markus Lanz im ZDF auf. Daran, dass noch lebende RAF-Mitglieder ihre Kenntnisse über weiter unaufgeklärte Taten preisgeben werden, glaubt er nicht. „Die nehmen ihr Wissen mit ins Grab.“

Silke Maier-Witt war Mitglied der RAF.
Silke Maier-Witt war Mitglied der RAF.
AFP