Druck auf SPD-Abweichler in Hessen wächst
Wiesbaden/dpa. - Der innerparteiliche Druck auf die hessischen SPD-Abweichler wächst. Der Vorstand des SPD-Bezirks Hessen-Nord legte der Abgeordneten Silke Tesch nahe, nach ihrem Nein zur rot-grünen Regierungsübernahme mit Hilfe der Linken aus der Partei auszutreten.
Der Bezirk bereite zudem Maßnahmen vor, um Tesch von allen Parteirechten zu entbinden, sagte Bezirksgeschäftsführer Wilfried Böttner am Donnerstag in Kassel. Auch den SPD-Abweichlern Jürgen Walter und Carmen Everts sollen die Parteirechte vorerst entzogen werden. Die Hessen-SPD rüstet sich unterdessen für den kommenden Wahlkampf. Ihr designierter Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel will dabei erneut für eine Wende zu erneuerbaren Energien werben.
Tesch hatte vergangene Woche zusammen mit drei anderen SPD- Landtagsabgeordneten die rot-grüne Regierungsübernahme gestoppt, weil sie Bedenken gegen die Unterstützung durch die Linkspartei hatte. Landeschefin Andrea Ypsilanti hatte daraufhin ihren Verzicht auf die Spitzenkandidatur für die Wahl erklärt, die voraussichtlich am 18. Januar stattfindet. Der hessische Landtag entscheidet am kommenden Mittwoch (19.11.) über seine Auflösung.
«Der SPD-Bezirksvorstand Hessen-Nord erwartet, dass das Mitglied unseres Bezirks, Silke Tesch, die Konsequenzen aus ihrem unverantwortlichen Verhalten zieht und die SPD verlässt», zitierte Bezirksgeschäftsführer Böttner aus dem Beschluss, der Tesch per Einschreiben zugestellt worden sei. Zudem soll ein Parteiordnungsverfahren eingeleitet werden, an dessen Ende ein Ausschluss stehen könnte.
Auch die Parteirechte von Walter und Everts sollen nach dem Willen des Parteibezirks Hessen-Süd ruhen. Die Betroffenen haben damit nach Angaben eines Sprechers kein Stimm- und Antragsrecht mehr. Außerdem können sie sich nicht wählen lassen und an keiner Wahl mehr teilnehmen. Everts war im SPD-Unterbezirk Groß-Gerau bereits nicht mehr als Direktkandidatin für die Landtagswahl nominiert worden.
Der Sprecher des Bezirks sagte in Wiesbaden, der Vorstand habe schon am 7. November ein Parteiordnungsverfahren auf der Basis von Forderungen aus 13 Ortsvereinen und Unterbezirken beschlossen. Wegen der besonderen Schwere der Vorwürfe habe der Bezirk zudem Sofortmaßnahmen beschlossen, die am Tag der Zustellung in Kraft treten. Die Mitteilungen dürften am Donnerstag eingetroffen sein. Nach Darstellung des Sprechers wird sich demnächst eine Schiedskommission des Bezirks mit den Vorwürfen beschäftigen, dabei sei eine ausführliche Anhörung der Betroffenen vorgesehen.
Die vierte SPD-Abweichlerin, Dagmar Metzger, hatte sich bereits vor mehreren Monaten gegen eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgesprochen. Sie stand deshalb zuletzt nicht mehr so in der Schusslinie wie ihre drei Abgeordneten-Kollegen. Auch bei ihr ist allerdings die erneute Nominierung als Landtagskandidatin fraglich.
In einem Interview der «Wetzlarer Neuen Zeitung» sagte Tesch, sie wolle nicht aus der Partei austreten und könne sich vorstellen, noch einmal zur Landtagswahl als SPD-Kandidatin anzutreten. «Wenn der Unterbezirk den Wahlkreis noch einmal direkt holen will, wäre es ihm sicher zu empfehlen, mich noch einmal aufzustellen.»
Schäfer-Gümbel sagte in Wiesbaden, die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate hätten in der Partei wie beim Wähler Verletzungen hinterlassen. Eine seiner Aufgaben als Spitzenkandidat sei es, «die Emotionalität etwas zurückzunehmen». Er verteidigte indes den Brief, mit dem die Fraktion die vier Abweichler von den letzten Sitzungen ausgeladen hatte. Die Situation sei für die anderen Abgeordneten noch zu belastend gewesen, um die vier Kollegen anzuhören.
Im Wahlkampf will Schäfer-Gümbel neben Bildung und der Energiewende das Thema Wirtschaft und Arbeit vorantreiben. Nach seinen eigenen Worten stellt er derzeit im Schnellverfahren Themen und Personal zusammen, um nach der Landtagsauflösung kommende Woche mit dem Wahlkampf beginnen zu können. Es sei noch nicht entschieden, ob er wie Ypsilanti im letzten Wahlkampf ein Schattenkabinett ernennen oder sich mit einem «Kompetenzteam» umgeben werde.
Der SPD-Energieexperte Hermann Scheer ist nicht mehr als Ministerkandidat vorgesehen. An dessen Konzept zu erneuerbaren Energien will Schäfer-Gümbel aber festhalten. Scheer sagte der «Süddeutschen Zeitung»: «Die verzerrende und entstellende Diskussion, als wolle ich unbedingt zur Verwirklichung eines Lebenstraums noch einmal Minister werden, habe ich satt.»