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Drama in Moskau Drama in Moskau: Geiselnehmer drohen ultimativ mit Erschießungen

25.10.2002, 05:44
Margarita Petrova, Großmutter einer der Geiseln
Margarita Petrova, Großmutter einer der Geiseln EPA

Moskau/dpa. - Kurz zuvor hatte der Leiter des russischen InlandsgeheimdienstesFSB, Nikolai Patruschew, die Tschetschenen zur Freilassung allerGeiseln aufgefordert. In diesem Fall könne «das Leben (derGeiselnehmer) garantiert werden», meldete die Agentur Itar-Tass.Präsident Wladimir Putin nannte die Lage «äußerst schwierig». Derzeitgebe es nur «eine einzige Aufgabe». «Diese Aufgabe ist der Schutz derMenschen, die sich weiterhin in dem Theatergebäude befinden».

Bis Freitagnachmittag kamen weitere 15 Geiseln frei, darunter auchacht Kinder, doch für die große Mehrheit der in einem Musical-Theatergefangen gehaltenen Menschen blieb die Lage dramatisch. Der alsäußerst brutal geltende Anführer der Geiselnehmer, Mowsar Barajew,ließ am Morgen mehrfach Termine zur Freilassung der etwa 75Ausländer, darunter auch mindestens zwei Deutsche, verstreichen.

Russlands ehemaliger Regierungschef Jewgeni Primakow nahmGespräche mit den tschetschenischen Rebellen auf. Primakow betrat amfrühen Abend das Theatergebäude, um über das Schicksal der Geiseln zuverhandeln, wie die Agentur Interfax berichtete. Die russischeStaatsführung ging offiziell nicht auf die Forderung ein, die Truppenaus der abtrünnigen Teilrepublik Tschetschenien abzuziehen und denKrieg im Kaukasus zu beenden. Parlamentsabgeordnete bezeichneten dieRebellen-Forderung nach Abzug der Streitkräfte als «unerfüllbar».

Die russischen Behörden halten den im Untergrund lebendentschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow für den Drahtzieher desTerrorakts. «Nach unseren Informationen führt er die Terroristen»,sagte der russische Vize-Innenminister Wladimir Wasiljew. Versuche,mit Maschadow Kontakt aufzunehmen, seien aber bislang ohne Erfolggeblieben. Ilias Achmadow, «Außenminister» der international nichtanerkannten Republik Tschetschenien wies die Vorwürfe zurück. DieRegierung Maschadow habe «absolut nichts mit dieser Geiselnahme zutun», sagte er der französischen Zeitung «Le Monde» (Samstagausgabe).Der gewählte Präsident der Kaukasus-Republik lebt seit dem Einmarschder russischen Truppen in Tschetschenien 1999 im Untergrund.

Die etwa 50 schwer bewaffneten Tschetschenen - unter ihnen auchFrauen - hielten sich am Freitagabend weiter in dem Musical-Theaterverschanzt. Bis dahin hatten sie insgesamt etwa 50 Menschenfreigelassen. Beim Eindringen des Terrorkommandos am Mittwochabendwar eine 26-jährige Russin unter unklaren Umständen getötet worden.

Mehrere Geiseln warnten am Freitagmittag in einem überMobiltelefone übermittelten Appell an die Öffentlichkeit eindringlichvor einer Erstürmung des Gebäudes durch die Polizei. «Im Saal haltenständig 15 Rebellen mit Sprengsätzen am Körper Wache», hieß es.

Vor der dritten Nacht in Geiselhaft herrschten in dem Gebäudekatastrophale Zustände. Die erschöpften Menschen durften den Saalnicht verlassen, Bewaffnete blockierten die Ausgänge. Ihre Notdurftmussten die Geiseln über dem Orchestergraben verrichten.

Erst nach langwierigen Verhandlungen stimmten die Rebellen derVersorgung der Geiseln mit Nahrungsmitteln zu. Eine Journalistin, diedies zusammen mit dem Arzt Leonid Roschal ausgehandelt hatte, begannam Nachmittag damit, frisches Wasser und Lebensmittel in das Gebäudezu bringen. Bis dahin hatten die Geiseln nur Schokolade und Wasseraus den Beständen des Theater-Buffets erhalten.

Wie viele Deutsche unter den Eingeschlossenen sind, ist unklar.Das Außenministerium in Berlin hat nur gesicherte Kenntnis von zweideutschen Geiseln, einer Frau aus Bayern und einem Mann aus Baden-Württemberg. Beide sind nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtesgesund. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass weitereDeutsche unter den Geiseln seien, sagte der Leiter des deutschenKrisenstabes, Staatssekretär Gunter Pleuger, in Berlin.

Das russische Presseministerium schloss am Freitag den privatenFernsehsender «Moskowija» wegen seiner Berichterstattung über dasGeiseldrama. Als Grund wurden «grobe Verstöße gegen die Gesetzgebungzum Kampf gegen den Terrorismus» genannt. Zugleich wurde die Web-Sitedes unabhängigen Radiosenders «Echo Moskwy» kurzzeitig gesperrt, aufder ein Interview mit den Geiselnehmern veröffentlicht worden war.

Befreite Kinder in Moskau
Befreite Kinder in Moskau
EPA
Einige der Geiselnehmer präsentieren sich im russischen TV-Sender NTV
Einige der Geiselnehmer präsentieren sich im russischen TV-Sender NTV
NTV
Infokarte mit Kurzchronologie zum Tschetschenien-Konflikt (Grafik: dpa)
Infokarte mit Kurzchronologie zum Tschetschenien-Konflikt (Grafik: dpa)
dpa