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Urteil in Leipzig Dieselfahrverbot: Bundesverwaltungsgericht macht Weg in Leipzig frei

Von Thorsten Knuf 27.02.2018, 15:00
In Städten könnte es bald Fahrverbote für Diesel geben.
In Städten könnte es bald Fahrverbote für Diesel geben. Getty Images Europe

Leipzig - Rund 15 Millionen Diesel-Pkw sind auf deutschen Straßen unterwegs – doch nach Lage der Dinge wird der größte Teil von ihnen in Zukunft nicht mehr immer und überall fahren dürfen: Das Bundesverwaltungsgericht hat am Dienstag Diesel-Fahrverbote in Städten für grundsätzlich zulässig erklärt.

Zunächst müssen jetzt die Städte Stuttgart und Düsseldorf ihre Luftreinhaltepläne entsprechend nachbessern und auf Verhältnismäßigkeit überprüfen. Weitere Kommunen dürften schon bald von anderen Gerichten zu vergleichbaren Schritten gezwungen werden. In rund 70 deutschen Kommunen werden die zulässigen Grenzwerte für die Belastung der Luft mit giftigen Stickoxiden regelmäßig überschritten – neben Stuttgart und Düsseldorf gehören dazu unter anderem auch Berlin, Frankfurt am Main, Köln und München.

Kein generelles und flächendeckendes Fahrverbot 

Zu rechnen ist aber nicht mit generellen und flächendeckenden Fahrverboten für schmutzige Diesel-Fahrzeuge. Aber doch mit zeitlich und/oder örtlich begrenzten Einschränkungen, wenn sich die Luftqualität auf andere Weise nicht verbessern lässt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte am Dienstag, das Urteil betreffe nur „einzelne Städte, in denen noch mehr gehandelt werden muss“.

Der Präsident des Stadtwerke-Verbandes VKU, der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), sagte dieser Zeitung: „Fahrverbote bleiben die Ultima Ratio.“ Die Kommunen hätten noch zahlreiche andere Instrumente zur Hand, um die Luft sauberer zu machen – etwa den Ausbau des Nahverkehrs, Tempolimits, eine intelligente Verkehrslenkung oder die Förderung von Carsharing und Elektromobilität.

Bundesregierung, Länder und Kommunen wollen Fahrverbote vermeiden

Das Gerichtsurteil war von Politikern, Umweltschützern, der Autobranche und vielen Autofahrern mit großer Spannung erwartet worden. Bundesregierung, Länder und Kommunen wollen Fahrverbote eigentlich um jeden Preis vermeiden. Jedes Jahr verlieren in Deutschland mehrere Tausend Menschen vorzeitig ihr Leben, weil sie dauerhaft überhöhten Stickoxid-Konzentrationen ausgesetzt sind. Der Schadstoff kann Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Schädigungen des Atemsystems verursachen.

Der Vorsitzende Richter am Bundesverwaltungsgericht, Andreas Korbmacher, gestand der Stadt Stuttgart am Dienstag zu, mögliche Fahrverbote phasenweise einzuführen. Zunächst dürften Diesel-Pkw betroffen sein, die nur die Abgasnorm Euro 4 oder schlechter erfüllen. Nach einer Übergangsfrist könnten ab dem 1. September 2019 auch Euro-5-Fahrzeuge gesperrt werden. Es müsse auch Ausnahmeregelungen geben, etwa für Handwerker. Düsseldorf wiederum müsse Fahrverbote ernsthaft prüfen, wenn sich die Luftqualität anders nicht verbessern lasse. Die Landesbehörden hätten es in der Hand, einen „Flickenteppich“ zu verhindern.

Keine Hoffnung für alte Diesel-Fahrzeuge auf Entschädigung

Besitzer von alten Diesel-Fahrzeugen können sich keine Hoffnung auf finanzielle Entschädigung machen, wenn sie mit ihren Autos nicht mehr uneingeschränkt fahren dürfen. „Gewisse Wertverluste sind hinzunehmen“, betonte Korbmacher. Besitzer von modernen Euro-6-Dieselautos sowie von Benzinern müssen nicht damit rechnen, von Fahrverboten betroffen zu sein.

Das Bundesverwaltungsgericht beendete mit seinem Urteil Verfahren, die auf Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zurückgingen. Auf Antrag des Verbands hatten die örtlichen Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Düsseldorf in der Vergangenheit entschieden, dass die beiden Kommunen Fahrverbote in ihre Luftreinhaltepläne aufnehmen müssen.

Dagegen wehrten sich die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mithilfe einer so genannten Sprungrevision. Sie argumentierten, dass das geltende Recht den Ländern und Kommunen gar nicht gestatte, einseitige Fahrverbote zu verhängen. Das wiesen die Bundesrichter nun zurück. DUH-Chef Jürgen Resch sagte am Dienstag: „Wir erleben hier ein Debakel für die Regierungspolitik der großen Koalition, die sich einseitig auf die Seite der Autoindustrie geschlagen hat.“ Resch forderte bundesweite Regelungen, um den Kommunen zu helfen.

In der Debatte ist bereits seit geraumer Zeit die Einführung einer Blauen Plakette für Diesel-Fahrzeuge, die der Abgasnorm Euro 6 entsprechen sowie für Benziner ab der Norm Euro 3. Gegen die Einführung sperrt sich bislang aber die Bundesregierung. Die Blaue Plakette würde es der örtlichen Verkehrsüberwachung sowie der Polizei im Falle von Fahrverboten ermöglichen, schnell diejenigen Autos zu identifizieren, die tatsächlich auf den betroffenen Strecken unterwegs sein dürfen.

Regierung arbeitet an Änderung der Straßenverkehrsordnung

Am Wochenende war bekannt geworden, dass die Bundesregierung an einer Änderung der Straßenverkehrsordnung arbeitet. Sie will die Kommunen ermächtigen, „streckenbezogene Verkehrsverbote“ zu erlassen.

Möglich wäre auch die technische Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen, die trotz anderslautender Versprechen der Hersteller die einschlägigen Emissions-Vorschriften nicht erfüllen. Das beträfe vor allem den VW-Konzern, der über Jahre hinweg die Abgasreinigungssysteme von Millionen Diesel-Pkw systematisch manipulierte. Bislang wehrt sich die Branche mit tatkräftiger Unterstützung der Politik aber erfolgreich dagegen, kostspielige Nachrüstungen auf eigenen Rechnung vornehmen zu müssen. Auch die Auseinandersetzung über dieses Thema dürfte nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erneut an Schärfe gewinnen.