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Die Stärke der Schwachen Die Stärke der Schwachen: Brause, Wein und Power-Drink aus dem Kolping-Werk Hettstedt

Von Steffen Höhne 21.07.2018, 10:00
Dominik Schade arbeitet im Weinberg des Berufsbildungswerkes. Bei Kolping in Hettstedt lernt er im Gartenbau-Bereich.
Dominik Schade arbeitet im Weinberg des Berufsbildungswerkes. Bei Kolping in Hettstedt lernt er im Gartenbau-Bereich. Kolping

Halle (Saale) - Eine Hauswirtschafterin ist eine Allrounderin. Kochen, Backen, Nähen, Waschen, Bügeln, Pflege, Service, PC-Arbeit und viel mehr lernt Nicole Zimmer in ihrer Lehre beim Kolping-Berufsbildungswerk in Hettstedt. Ungewöhnlich ist, dass die 21-Jährige auch Produkte mit entwickelt.

Zusammen mit anderen Jugendlichen hat sie geholfen, eine neue Cola zu kreieren. „Na ja, eigentlich habe ich verschiedene Varianten nur auf den Geschmack getestet“, sagt die junge Frau bescheiden. Es sei darum gegangen, eine schmackhafte, zuckerreduzierte Variante herzustellen.

Heute wird das Produkt in Hettstedt in verschiedenen Läden verkauft. Doch nicht nur das: Auch Apfelschorle, Wasser, Wein und seit diesem Jahr ein Power-Drink werden vermarktet. Die Einrichtung, in der lernbehinderte und psychisch beeinträchtigte Jugendliche einen Beruf erlernen, ist nun auch eine Art kreative Getränke-Firma geworden, wie man sie eigentlich nur aus Berlin, Hamburg oder Leipzig kennt.

Kleiner Firmenverbund

Das Mansfelder Land mit der Stadt Hettstedt landet bei bundesweiten Vergleichen oft auf den hinteren Rängen: Hohe Arbeitslosigkeit, geringe Wirtschaftskraft, die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Mit dem Zusammenbruch des Bergbaus nach der Wende zogen viele Menschen weg. Die Wirtschaft in der ländlichen Region erholt sich - aber nur langsam. Auch das 1991 gegründete Kolping-Berufsbildungswerk spürt die Entwicklung.

„Unter anderem durch den Bevölkerungsrückgang konnten wir ab 2006 nicht mehr all unsere Plätze belegen“, sagt Geschäftsführer Markus Feußner. Die katholische Einrichtung bildet Jugendliche mit Lernschwächen oder psychischen Krankheiten wie Depressionen und Borderline in 28 Berufen aus. In kleinen Wohngruppen leben die Azubis zusammen - 258 Plätze gibt es.

Um bestehen zu können, weitete Kolping zunächst die vorhandenen wirtschaftlichen Aktivitäten aus. Die Großküche liefert heute 3.000 Essen unter anderem an Schulen und Kindergärten aus. Die Wäscherei reinigt auch für Altenheime. „Beim Catering haben wir zugekaufte Getränke ausgeschenkt“, sagt Feußner.

Das Kolpingwerk ist ein internationaler katholischer Sozialverband mit Sitz in Köln. Das Kolpingwerk begann 1847 als katholische Gemeinschaft für wandernde Handwerksgesellen, es wurde benannt nach seinem Gründer Adolph Kolping. 

Heute engagieren sich das Kolpingwerk und die örtlichen Kolpingsfamilien unter anderem in der Jugend- und Erwachsenenbildung. Es gibt in Deutschland 234.000 Mitglieder - weltweit sind es 450.000 in rund 60 Ländern. Insgesamt gibt es hierzulande 52 Berufsbildungswerke der Organisation, neun davon in Ostdeutschland.

Das Kolpingwerk in Hettstedt wurde 1991 gegründet. Bis zur Fertigstellung im Jahr 1997 wurden etwa 50 Millionen Euro investiert. Die Einrichtung verfügt unter anderem über eine eigene Bäckerei, Wäscherei und Gärtnerei. Die Bildungseinrichtung beschäftigt direkt 150 Mitarbeiter, werden die Tochterfirmen hinzugezählt, sind es etwa 250 Mitarbeiter.

Bei der Herstellung des neuen Power-Drinks „K-Active“ wird mit einem Kolping-Projekt in Tansania kooperiert. Im Norden des afrikanischen Landes wird die Pflanzung der Moringa- und Baobab-Bäume als Entwicklungsprojekt unterstützt.

Die Früchte der Bäume enthalten viele Proteine, Vitamine und Mineralstoffe. Die Produkte werden noch vor Ort verarbeitet und dann nach Deutschland geliefert.

Mit dem Kauf jeder Viertelliter-Flasche „K-Active“ wird auch das afrikanische Projekt unterstützt. Abgefüllt wurden in diesem Jahr die ersten 15.000 Flaschen - wie bereits die „Kola“ - im sächsischen Brauhaus Hartmannsdorf. Das Kolpingwerk sucht nun auch Vertriebspartner über den Landkreis Mansfeld-Südharz hinaus.

Weitere Informationen unter: www.kbbwhettstedt.de  

Das wollte der Geschäftsführer ändern und dachte an einen eigenen Saft. Doch die Jugendlichen waren der Meinung, eine eigene Cola werde dringender benötigt. Prämissen wurden aufgestellt: ein Getränk mit weniger Kalorien, weniger Koffein und mehr Zitrone sowie einem eigens entworfenen Etikett herzustellen. Für die Rezeptur nahm man Kontakt mit der Hochschule Anhalt auf. Bei 50 Verkostungen diskutierten die Jugendlichen über Inhaltsstoffe, Geschmack und Flaschendesign. Herausgekommen ist die Kolping-Kola. Produziert wird aber nicht selbst. Abgefüllt wird das Getränk seit zwei Jahren in einer kleinen Brauerei im sächsischen Hartmannsdorf.

„Jeder in Hettstedt kann die Getränke nun kaufen“, freut sich Azubi Zimmer. Beliefert wird bisher der umliegende Handel. Für Ausbilderin Nicole Reichelt steht im Vordergrund, dass solche Erfahrungen das Selbstvertrauen stärken. „Die Jugendlichen, die zu uns kommen, wissen ganz genau, wo ihre Schwächen liegen“, sagt die Ausbilderin. „Wir zeigen ihnen, wo ihre Stärken sind.“ Die Kola war nur der Beginn einer kleinen Getränke-Offensive. Es folgten Apfelschorle und Wein.

Das liegt nah, denn bei Kolping werden viele landwirtschaftliche Berufe ausgebildet. Gleich am Eingang des Berufsbildungswerks reihen sich mehrere Gewächshäuser aneinander. Als Feußner, dessen Frau Eva Feußner als Staatssekretärin im Bildungsministerium Sachsen-Anhalt arbeitet, das Angebot bekam, am Süßen See Steillagen für den Weinbau zu erhalten, sagte er sofort zu. Jetzt im Juli sind Lehrlinge häufiger im Weinberg. Sie schneiden Triebe, jäten Unkraut und dünnen das Blattwerk aus. „Bei uns heißt es, vor der Ernte sind wir um jede Rebe 17-mal gelaufen“, sagt Feußner. Die Trauben werden dann an Winzer der Region wie das Weingut Born in Höhnstedt geliefert, die den Wein für die Marke Kolping herstellen.

Auf das neueste Getränk mit dem Namen „K-Active“ ist Feußner besonders stolz. In diesem Jahr haben die Hettstedter einen Power-Drink herausgebracht. „Fruchtig“, sagt die Auszubildende Sara Pommerening. „Gesund“, sagt Feußner. Das Getränk mit Koffein besteht auch aus Teilen der Moringapflanze und des Baobab-Baums (Affenbrotbaum). Die Früchte der beiden Bäume sind reich an Protein, Vitaminen und Mineralstoffen. „Das steigert die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit“, sagt Feußner und sei damit genau richtig für seine Auszubildenden. Es handelt sich um eine deutsch-afrikanische Koproduktion (siehe: „Kolping weltweit aktiv“). „Der Getränkemix ist neu, ich hoffe, wir können das auch überregional vermarkten“, so Feußner.

Ist der Geschäftsführer dabei, ein Getränkekombinat aufzubauen? Feußner lacht. „Wir müssen auf jeden Fall kostendeckend arbeiten.“ Doch Getränke sind nur das Mittel, um den Standort langfristig zu sichern. Wenn Ausbilderin Reichelt gefragt wird, was das Besondere an ihrer Arbeit ist, sagt sie: „Wir sind hier immer auch ein wenig Elternersatz.“ Die Jugendlichen, die meist von Förderschulen kommen, benötigten mehr Zuwendung. „Jede Gruppe soll wie eine große Familie agieren“, sagt sie. Das umzusetzen, ist für das Kolping-Werk nicht einfach. Eine eigene Berufsschule gibt es nicht mehr. „Wir versuchen, nun eine Schule in freier Trägerschaft aufzubauen“, sagt Feußner. Der Hettstedter Kolping-Chef unterstützt den Ansatz der Inklusion. Das heißt, lernschwache Jugendliche gehen in normale Berufsschulklassen. „Doch unsere Erfahrung zeigt, dass unsere Jugendlichen auch einen geschützten Raum benötigen, um sich gut zu entwickeln“, sagt Ausbilderin Reichelt.

Reif für den Arbeitsmarkt

Während Werkstätten langfristig mit behinderten Menschen arbeiten, will Kolping lernschwachen Jugendlichen den Weg in den Arbeitsmarkt erleichtern. In der Hälfte der Fälle gelingt das nach eigenen Angaben auch. So hat die Hauswirtschafts-Auszubildende Nicole Zimmer vor allem Spaß beim Servieren gehabt. In einem Pilotprojekt hat sie im McDonald’s-Restaurant in Eisleben ein Praktikum absolviert. „Dort habe ich nun auch eine Stelle bekommen“, sagt die 21-Jährige. Die 22-Jährige Sara Pommerening hat einen Arbeitsplatz in der Kolping-Wäscherei erhalten. „Ich werde die Ausbildung vermissen“, sagt sie.
Beide wollen auch künftig für „ihre“ Getränke werben. Ob McDonald’s in Eisleben auch „Kola“ ausschenken soll? „Warum denn nicht“, sagt Zimmer. Auch Feußner hofft, dass viele Händler in Sachsen-Anhalt auf die Getränke aufmerksam werden. Das Kolping-Werk profitiert dreifach: Durch Kola & Co. sollen neue Einnahmen sprudeln. Die Ausbildung wird interessanter und damit das Bildungswerk für neue Lehrlinge attraktiver. Und: Es wird auch gezeigt, dass kreative Produkte nicht immer aus Großstädten kommen müssen. (mz)

„K-Active“ wird mit einem Kolping-Projekt in Tansania kooperiert. 
„K-Active“ wird mit einem Kolping-Projekt in Tansania kooperiert. 
Höhne
Markus Feußner steht im eigenen Verkaufsladen in Hettstedt.
Markus Feußner steht im eigenen Verkaufsladen in Hettstedt.
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