Die Linke Die Linke: André Brie über seinen Unfall und das Leben danach
Berlin/MZ. - Herr Brie, wie geht es Ihnen?
Brie: Physisch sehr gut. Ich bin jede Woche bei Therapeutinnen, um weiter zu arbeiten. Es geht vorwärts.
Wo liegt Ihr Hauptproblem?
Brie: Im Garten und am Computer zu arbeiten, das läuft alles gut. Das Problem ist mein Wortschatz.
Schwierig für einen Intellektuellen.
Brie: Sprache ist mir wichtig, weil ich ja viel geschrieben und erst vor einem halben Jahr ein Buch veröffentlicht habe. Ich möchte den Reichtum und die Schönheit von Sprache wieder umfassend zurück gewinnen. Ich beantworte zurzeit die Briefe, die in den letzten vier Monaten hier eingegangen sind. Es ärgert mich, wenn ich dem einen mit denselben Worten antworten muss wie dem anderen.
Haben Sie von dem Sturz eigentlich was mitbekommen?
Brie: Von den ersten drei Wochen weiß ich gar nichts. Ich hatte auch keinerlei Schmerzen, obwohl die Verletzungen sehr umfangreich waren.
Es waren sechs Schädelbrüche.
Brie: Ja. Außerdem waren Rippen, Schulter und Lunge verletzt. Später habe ich intensiv das Krankenhaus erlebt - mit sehr vielen Diskussionen über Politik. Kein einziger, den ich getroffen habe, war in irgendeiner Partei. Aber sie haben sich alle für Politik interessiert. Es war ein völlig anderes Erleben, als ich es gewöhnt bin. Denn die wollten praktische Antworten haben. Und das ist mir in den vielen Monaten auch selbst wichtig geworden. Das werde ich nicht vergessen.
Ist damit auch eine Selbstkritik angesichts Ihres früheren Zugangs zur Politik verbunden?
Brie: Das hätte ich vor einigen Monaten geleugnet. Aber nach diesem Erleben muss ich zugeben, dass mein Herangehen viel enger und ideologischer war und ich diesmal wirklich auf die praktische Seite von Politik gestoßen wurde und auf das Erleben von Kranken, die mich oft genug angesprochen haben. Die wollen nicht Losungen, sondern Lösungen.
Seit Ihrem Sturz ist viel passiert. Die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gingen verloren. Zudem hat es auf dem Göttinger Parteitag gekracht. Haben Sie das mitgekriegt?
Brie: Ich habe das sehr intensiv verfolgt. Dabei bin ich darauf gestoßen, wie sehr bei uns persönliche Auseinandersetzungen oder die alleinige Orientierung auf große Worte geherrscht haben und wie wenig das vielfach mit den Problemen von Menschen zu tun hatte. Dass bei einer Wahlniederlage von Dietmar Bartsch "Ihr habt den Krieg verloren" gesungen wurde, war mir unverständlich. Ich hatte zum Teil das Empfinden, dass hier rechte Kultur regiert. Ich glaube jedenfalls schon, dass ich anders aus dem Krankenhaus heraus gekommen bin, als ich hinein kam - auch hinsichtlich dessen, was ich von meiner eigenen Partei erwarte.
Sie sind nochmal sensibler und nochmal kritischer geworden.
Brie: Sowohl als auch, ja. Und die Probleme der Partei sind natürlich weiterhin existent.
Welche meinen Sie?
Brie: Wir brauchen eine andere Kultur, miteinander, aber auch mit anderen Parteien. Ich habe zum Beispiel menschlich unglaublich tolle Briefe von Politikern aus FDP, Grünen, CDU und SPD bekommen. So sollte auch die Linke mit anderen Parteien und mit sich selbst umgehen. Das Zweite ist, eine Politik zu entwickeln, die die Menschen einbezieht.
Nun ist die Parteispitze der Linken neu gewählt. Sind Sie zufrieden? Sie stehen doch Dietmar Bartsch recht nahe.
Brie: Ich bedauere zwar, dass Dietmar Bartsch nicht gewählt worden ist. Denn er ist einer der kompetentesten, die wir haben. Aber die zustande gekommene Lösung ist viel besser, als ich befürchtet hatte.
Was war Ihre Befürchtung? Dass Herr Lafontaine es wird? Oder Frau Wagenknecht?
Brie: Sahra Wagenknecht ist eine der klügsten, fleißigsten und belesensten, die wir in der Partei haben. Sie wird ihren Weg genauso weiter gehen wie Dietmar Bartsch.
Wollen Sie wieder ins Geschehen eingreifen? Behalten Sie Ihr Landtagsmandat?
Brie: Ja, natürlich. Ich werde mich auch parteipolitisch stärker nach außen organisieren, als ich das in der letzten Zeit gemacht habe. Kraft habe ich genug mitbekommen. Die Stellung der Partei ist ja noch nicht gesichert. Das wird uns viel abverlangen - sowohl was unsere eigene Kultur betrifft als auch die praktischen Probleme von Menschen.