Deutschland Deutschland: NS-Filmproduktion lief bis Mitte April 1945

Berlin/dpa. - Am 14. April 1945 steht der 52-jährige SchauspielerHeinrich George, Generalintendant des Berliner Schiller-Theaters, zumletzten Mal vor einer Kamera. Zwei Tage später müssen dieDreharbeiten zum letzten Film des Dritten Reiches mit dembezeichnenden Titel «Das Leben geht weiter» abgebrochen werden. Imgrößten Filmstudio Europas, das von den Bomben weitgehend verschontblieb, gehen in Potsdam-Babelsberg die Lichter aus. Auch für HeinzRühmann und seine Frau Hertha Feiler wird es eng bei den Dreharbeitenin den Tempelhofer Studios für die Komödie «Sag die Wahrheit». Diebrutale Wahrheit war, dass die Rote Armee bereits 50 Kilometer vorBerlin stand.
In jenen dramatischen Tagen vor 60 Jahren hält NS-Propagandaminister Joseph Goebbels in Berlin seine letzte Rede anseine Mitarbeiter, bei der er noch einmal zu seiner pathetischenMelodramatik mit zynischem Unterton findet, bevor er am 1. Mai imFührerbunker mit Frau und Kindern Selbstmord begeht: «Meine Herren,in hundert Jahren wird man in einem schönen Farbfilm dieschrecklichen Tage zeigen, die wir durchleben. Möchten Sie nicht indiesem Film eine Rolle spielen? Halten Sie jetzt durch, damit dieZuschauer in hundert Jahren nicht johlen und pfeifen, wenn Sie aufder Leinwand erscheinen.»
Am 20. April, an Hitlers Geburtstag, ließ Goebbels alle nochlaufenden Filmarbeiten im Reich einstellen. Bis dahin lief unter zumTeil abenteuerlichen und lebensbedrohlichen Umständen die NS-Filmindustrie trotz vieler materieller Einschränkungen - dasRohfilmmaterial wurde langsam knapp - immer noch auf Hochtouren.Viele der großen Ufa-Stars standen bis zuletzt vor der Kamera, nichtzuletzt auch in der Hoffnung, dadurch einem Kriegseinsatz zuentgehen. Die Autoren Holger Theuerkauf («Goebbels' Filmerbe»,Ullstein) und Hans-Christoph Blumenberg («Das Leben geht weiter»,Rowohlt) berichten ausführlich und detailreich über die hektischenAktivitäten der NS-Filmindustrie in den verschiedenen Studios wieBabelsberg, Bavaria, Tempelhof, Johannisthal und Prag. Hans Albersdrehte bis zum 27. März in Prag den Thriller «Shiva und dieGalgenblume», und Heinrich George und Karl Schönböck standen fürWolfgang Staudte in dem Kriminalfilm «Frau über Bord» in Johannisthalvor der Kamera. Carl Raddatz dreht für Alfred Weidenmann bis zum 11.April in Babelsberg noch «Die Schenke zur ewigen Liebe».
Helmut Käutner filmt an der Glienicker Brücke am Berliner Wannseedie Kahnschiffer-Romanze «Unter den Brücken» mit Raddatz, GustavKnuth und Hannelore Schroth, immer pausierend, wenn dieBomberverbände am Himmel Kurs auf die nahe Reichshauptstadt nehmen.Für manche Kritiker ist dieser Film «der letzte Beitrag, den die Ufavor ihrem unrühmlichen Ende zur internationalen Filmkunst leistete».
Es ist das erklärte Ziel der NS-Propaganda, den Film im «Endkampf»massiv als Unterhaltungs- und Ablenkungs-«waffe» einzusetzen, jeschlimmer die Auswirkungen des Bombenkrieges auf die Zivilbevölkerungwurden. Goebbels setzt jetzt voll auf die illusionierende Wirkung desKinos, nachdem bereits im September 1944 sämtliche Theatergeschlossen und 270 Bühnen in Filmtheater umgewandelt wurden.Ausdrücklich sollten jetzt auch keine ausgesprochenen Propagandafilmemehr produziert werden wie zuletzt noch Veit Harlans Durchhalte-Epos«Kolberg» mit Heinrich George, das am 30. Januar 1945 in Berlinuraufgeführt und dessen Filmkopien über der eingeschlossenenAtlantikfestung La Rochelle abgeworfen wurden.
Fast 100 Filme sind bis Kriegsende nicht mehr fertig geworden odernicht mehr in die Kinos gelangt, weil der «Oberzensor» Goebbels dieseoder jene Bedenken hatte, wie zum Beispiel im Fall «Große FreiheitNr. 7» mit dem populären Hans Albers, bei dem angeblich dasMatrosenbild nicht mehr «deutsch genug» war und der daher erst nachdem Krieg in die Kinos kam. Ein besonderes Kapitel spielt in derKino-Dämmerung des Dritten Reiches der Streifen «Das Leben gehtweiter» von Wolfgang Liebeneiner mit der ersten Riege der Ufa-Stars,neben George unter anderem Gustav Knuth, Hilde Krahl, Marianne Hoppe,Will Dohm (der Vater von Gaby Dohm), Paul Henckels und Viktor deKowa, der mit 60 000 Reichsmark die höchste Gage erhielt.
Die Dreharbeiten waren am 20. November 1944 begonnen worden undder Film wurde zu zwei Dritteln noch fertig gestellt bis zumerzwungenen Stopp. Da half auch nicht mehr das kurzzeitige Ausweichenauf einen Fliegerhorst in der Lüneburger Heide. Der Film unter demganz besonderen Patronat von Propagandaminister Goebbels sollte einFamilienschicksal im zerbombten Berlin darstellen und den unbeugsamenÜberlebens- und Kampfeswillen des deutschen Volkes, trotz allenLeids, demonstrieren.
Die Fertigstellung war für den 30. Juni 1945 geplant. GanzeStraßenzüge, Plätze und Bahnhöfe von Berlin wurden dafür auf demAteliergelände in Babelsberg nachgebaut. Aber die Realität holte dieScheinwelt des Kinos ein. Am 24. April besetzt die Rote Armee dasFilmgelände, auf dem später mit der staatlichen DDR-FilmgesellschaftDefa ein neues Kapitel Filmgeschichte beginnen sollte - und das heuteauch Hollywood-Produktionen anlockt.