Deutsche Bahn Deutsche Bahn: Erschreckender Bericht zum ICE-Unfall bei Fulda

Berlin/ddp. - Jetzt auch noch einvernichtender Bericht des Regierungspräsidiums Kassel zumZusammenstoß des ICE 885 mit einer Schafherde im Landrückentunnel beiFulda. Das Fazit des neunseitigen Papiers, das auch die Sicherheitder Schnellfahrstrecke Hannover - Würzburg unter die Lupe nimmt: DasKatastrophenmanagement der DB AG war ein Desaster. Die Kommunikationklappte nicht, eine Leitstelle der Bahn schickte den erstenDB-Notfallmanager an einen falschen Einsatzort, das Ausmaß desUnglücks mit 19 Verletzten wurde teilweise «heruntergespielt».
Noch schlimmer: Der Lokführer eines DB-Rettungszuges sei nachAussage eines Feuerwehrführers angetrunken («nicht nüchtern»)gewesen, ein zweiter Lokführer habe die Technik des Rettungszugsnicht bedienen können. Die Helfer hätten deshalb erstBetriebsunterlagen lesen müssen. Besonders sensibel dürfte für dasBahnmanagement die Einschätzung sein, dass die ICE-Strecke zwischenHannover und Würzburg nicht sicher ist.
Der ICE war am Abend des 26. April in der Nähe von Fulda in eineSchafherde gerast, entgleist und im elf Kilometer langenLandrückentunnel zum Stehen gekommen. Bahnchef Hartmut Mehdorn sagtespäter, das Krisenmanagement der Bahn habe hervorragend funktioniert.Trotz des Zusammenstoßes des Zuges mit einer Schafherde bleibe erdabei: «Die Tunnel sind sicher.» Das Ergebnis des Kasseler Berichtsklingt anders.
Bei Unfällen auf ICE-Strecken spielen die Notfallleitstellen derDB eine Schlüsselrolle. Sie sollen Rettungskräfte alarmieren und zumEinsatzort lenken. Ausgerechnet hier macht der Bericht umfassendesVersagen aus. Es habe sich gezeigt, dass die Leistungsfähigkeitdieser Stellen «sehr begrenzt» sei. Der Notfallmanager der DB AG, derRettungseinsätze organisieren soll, habe falsche Einsatzkoordinatenerhalten und sei deshalb später als möglich am Unfallort erschienen.Wichtige Informationen seien nicht oder nur unzureichend an dieFeuerwehr weitergegeben worden.
Die Münchener Leitstelle der DB AG hätte «offensichtlich inUnkenntnis der wirklichen Lage« den Einsatz eines Rettungszuges ausWürzburg »behindert». Dabei seien diese Spezialzüge lautKonzernrichtlinie bei einem »gefährlichen Einsatz im Tunnel« einesZuges «unverzüglich» einzusetzen. Die Leitstelle habe das Ausmaß desUnglücks «heruntergespielt». Der Grund: Laut Bericht wurdenoffensichtlich «falsche Informationen» verwendet, die am Unglücksortanwesende Notfallmanager der Bahn AG weitergaben.
Der Bericht listet zahlreiche grundsätzliche Mängel auf, die imErnstfall für Unfallopfer lebensgefährlich sein können. So könne dieFeuerwehr im Ernstfall die Türen zu den Rettungsstollen desLandrückentunnels nicht öffnen: Die Bahn AG lehne die Herausgabe derSchlüssel ab. Die Zugänge seien nur von innen zu öffnen. Die Folge:Personen, die den Ausgang nicht aus eigener Kraft erreichen, könne«nicht geholfen werden».
Die Atemschutzgeräte der Feuerwehr seien für Einsätze anGleisanlagen nicht ausreichend. Es sei erforderlich, den Wehrenspezielle Geräte mit längerer Einsatzdauer in entsprechender Zahl zurVerfügung zu stellen. An den Tunneleingängen gebe es keineLöschwasseranschlüsse. Für den wichtigen ersten Zugriff hätten dieFeuerwehrmänner nur das Wasser aus den Tanks ihrer Fahrzeuge. Diessei «nicht ausreichend». Das Heranführen zusätzlichen Wassers ausgrößeren Entfernungen binde Personal und koste Zeit.
Weiter heißt es in dem Papier, der Unfall wäre «wahrscheinlichvermeidbar gewesen», wenn der Bahntunnel, wie es bei Straßentunnelngängig sei, per Kamera überwacht worden wäre.
Insgesamt sei die schnelle und unverzügliche Information undAlarmierung der Rettungskräfte «mangelhaft» gewesen, die Präventionhabe nicht funktioniert. Die «ständige Versicherung» vonBahnvertretern, dass die Sicherheit auf der Strecke Hannover -Würzburg gegeben sei, habe sich als «nicht richtig» erwiesen. Dortfehlten «zwingend erforderliche technische Ausstattungen, die heuteStand der Technik« seien.
Der FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich forderte vor diesemHintergrund »eine neue Sicherheitsphilosophie bei der Bahn«. DieBundesregierung scheine sich der Brisanz dieser Frage nicht bewusstzu sein. Friedrich: »Obwohl es seit Mai eine Berichtsanforderung fürden Verkehrsausschuss gibt, hat die Regierung lediglich im Juni einennichtssagenden ,Zwischenbericht' vorgelegt.« Der Grünen-PolitikerWinfried Hermann sprach von einem »alarmierenden und schockierendenBericht". Er zeige, dass die Bahn zu wenig für die Sicherheit tue.Sie müsse die Mängel schnellstmöglich abstellen, ihr Personal besserschulen und die Prävention verbessern.

