Deutsch-türkische Beziehungen Deutsch-türkische Beziehungen: Gabriel: "Deutschland darf sich nicht erpressen lassen"

Berlin - Trotz neuer Provokationen aus Ankara bemüht sich die Bundesregierung, den Streit mit der Türkei nicht weiter eskalieren zu lassen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ließen ihre Sprecher am Montag auffällig zurückhaltend auf den angedrohten Bruch des Flüchtlingsabkommens und die Einbestellung des deutschen Gesandten ins türkische Außenamt reagieren. Der Kanzlerin sei der Gesprächsfaden zur Türkei wichtig, sagte Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Man gehe „davon aus, dass die Türkei die von ihr eingegangenen Verpflichtungen erfüllt“.
Türkei pocht auf Visafreiheit
Am Wochenende hatte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ angekündigt, dass die Türkei das mit der EU geschlossene Abkommen zur Rücknahme illegaler Flüchtlinge nicht mehr erfüllen wolle, wenn bis zum Oktober die Visumspflicht für türkische Bürger nicht aufgehoben worden sei. Nachdem die deutsche Seite dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Zuschaltung zur Großdemonstration in Köln über eine Videoleinwand verweigert hatte, wurde am Montag der deutsche Gesandte einbestellt. Der türkische Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus warf Berlin eine Doppelmoral vor. Das Verbot der Videobotschaft entspreche „keiner Rationalität“.
Die Türkei sei „seit Jahrhunderten ein guter und wichtiger Partner“, betonte hingegen der deutsche Außenamts-Sprecher Martin Schäfer versöhnlich. Die Einlassungen von Cavusoglu zur Visa-Liberalisierung mochte er nicht als Drohung, sondern lediglich als „kräftigen Ausdruck der türkischen Verhandlungsposition“ werten. Zur Einbestellung des deutschen Gesandten sagte Schäfer: „Es ist tagtäglich vorkommende Realität, dass der Vertreter eines Gastlandes ins Außenministerium gebeten wird.“ Bei seinem Zusatz, dadurch ergebe sich „eine schöne Gelegenheit für einen Austausch“ zu den deutsch-türkische Beziehungen konnte er freilich den sarkastischen Unterton kaum unterdrücken.
„Deutschland darf sich nicht erpressen lassen!“
Bloß nicht provozieren lassen. Kein Öl ins gefährlich lodernde Feuer am Bosporus gießen – das ist die offizielle Maxime der Bundesregierung. Mit einigem geografischen Abstand von Berlin wurde SPD-Chef Sigmar Gabriel zu Beginn seiner Sommerreise in Rostock freilich deutlicher: „In keinem Fall darf sich Deutschland oder Europa erpressen lassen!“, forderte er.
Wie Gabriel, so betonte auch der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, es liege an der Türkei, ob es eine Visafreiheit geben könne oder nicht. Tatsächlich war beim EU-Türkei-Deal am 18. März ausdrücklich vereinbart worden, dass vor einer Liberalisierung insgesamt 72 Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Vor allem dringt die EU auf eine Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze, die auch eine Verfolgung von Journalisten und Oppositionellen ermöglichen.
Derzeit gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte für eine Demokratisierung. „Ich glaube nicht, dass die Visa-Liberalisierung unter den Bedingungen des Notstands in der Türkei möglich sein wird“, sagte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt. Nach Meinung der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen kommt eine Visa-Liberalisierung „gar nicht in Frage, weil gerade die Voraussetzungen einer freien Justiz zerstört werden.“ Im Gegenteil müsse die EU nun Sanktionen verhängen, forderte sie.
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) warnte derweil vor einer Fanatisierung der in Deutschland lebenden Türken. Die Großdemonstration in Köln sei „der unverhohlene Versuch einer Machtdemonstration“ Erdogans gewesen, sagte der CDU-Politiker. Das erfülle ihn mit Sorge.