Detroit Detroit: Vom Traum zur Geisterstadt

Detroit/MZ - Tyree Guyton lässt sich nicht unterkriegen. Als er vor der Ruine des niedergebrannten Hauses im Armenviertel von McDougal-Hunt stand, versprach der Schöpfer des „Heidelberg Projects“: „Ich werde daraus ein Kunstobjekt machen.“ Rückschläge sind für den international bekannten Künstler, der in der von Gewalt und Drogen geprägten Schwarzen-Nachbarschaft aufwuchs und eine Art Freilichtmuseum schuf, nichts Neues. Die Feuerwehr ließ auch früher schon auf sich warten. Nicht erst seit Detroit auf den Bankrott zusteuerte. Eine Realität in Gegenden wie diesen, wo nicht einmal jeder zweite schwarze Mann das 24 Lebensjahr erreicht, ohne im Gefängnis oder auf dem Friedhof zu landen.
Massenhafte Brandstiftung
Brandstiftungen sind heute das Markenzeichen der Heimat von General Motors, die früher einmal den „amerikanischen Traum“ symbolisierte. 5 000 Mal im Jahr zündeln Feuerteufel in der 140 Quadratmeilen großen Stadt, in der jedes dritte Haus verwaist ist. Die chronisch unterfinanzierte Feuerwehr taucht meist erst auf, wenn alles in Schutt und Asche liegt. So auch die Polizei, die im Schnitt eine Stunde braucht, auf einen Notruf zu reagieren. Kein Wunder, dass Detroit heute die höchste Rate an Gewaltverbrechen aller US-Städte hat. 411 Morde im Jahr inklusive.
Dass sich nach dem von Zwangsverwalter Kevyn Orr angemeldeten Bankrott der mit rund 20 Milliarden US-Dollar verschuldeten Kommune viel im Alltag ändern wird, glauben nur wenige der von einst 1,8 Millionen auf die Zahl von 700 000 zusammengeschrumpften Einwohner. Mangels Steueraufkommen und stetig wachsenden Defiziten funktioniert hier schon lange nicht mehr viel. Neu ist, dass die Rechnungen künftig über das Gericht laufen. Öffentliche Dienstleistungen wie etwa Müllabfuhr und Wasserversorgung werden dagegen – soweit bisher vorhanden - weiter von der Stadt erbracht.
Die Gründe für den Niedergang sind vielfältig. Die zyklisch wiederkehrenden Krisen der Automobilindustrie haben dazu ebenso beigetragen wie kommunale Misswirtschaft, wegbrechende Steuereinnahmen, kaputte öffentliche Schulen, Drogen und Kriminalität. Das einst legendäre „Mo(tor)-Town“ der Soullegende Marvin Gayes verwandelte sich sukzessive in ein „No-Town“.
„Das hat sich über 60 Jahre angebahnt“, sagt der Gouverneur von Michigan Rick Snyder, der auf den Schuldenschnitt vor dem Konkursgericht gedrängt hat. Wenngleich weder er noch der von ihm im Frühjahr eingesetzten Zwangsverwalter Orr eine klare Vision für die Zukunft der Stadt haben.
„Bürgerwille übergangen“
Die zu 80 Prozent schwarzen Einwohner vermuten, dass statt eines Neuanfangs den knapp zehntausend Stadtbediensteten und rund doppelt so vielen Pensionären Renten und Bezüge gekürzt werden sollen. Das vermutet auch Ronald King, der eine der beiden Detroiter Pensionskassen rechtlich vertritt, denen die Stadt allein 9,2 Milliarden Dollar schuldet. Mit einem Überraschungsmanöver bootete Orr die Parteien aus, mit denen er vorher wochenlang über einen schmerzhaften Sanierungsplan verhandelt hatte. King sieht in dem Vorgehen „ein weiteres Beispiel, wie der Bürgerwille übergangen wird“. Wie schon zuvor als Gouverneur Snyder den gewählten Bürgermeister David Bing zu einem König ohne Reich machte.
Jetzt hat das Gericht 90 Tage Zeit, zu entscheiden, ob es den Konkursantrag annimmt und das Insolvenzverfahren durchstarten kann. Der Ausgang des Ringens um die größte Stadtpleite in der Geschichte wird überall in den USA genauestens verfolgt. Von den Gläubigern und Investoren der kommunalen Anleihe-Märkte über die Verantwortlichen in anderen hoch verschuldeten Gemeinden bis hin zu den Gewerkschaften und Pensionskassen. Detroits Bankrott ist ein Testfall.
Dass Präsident Barack Obama der bedrängten Stadt massiv unter die Arme greift, wie der Republikaner Gerald Ford in den 70er Jahren dem damals hoch verschuldeten New York, erwartet angesichts leerer Kassen in Washington niemand. „Wir bleiben unserer engen Partnerschaft mit Detroit verpflichtet“, heißt es lapidar aus dem Weißen Haus.