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DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Wie mächtig war die Stasi wirklich?

Von Markus Decker 15.03.2013, 19:24
Tausende Akten in der Stasi-Unterlagenbehörde
Tausende Akten in der Stasi-Unterlagenbehörde DPA Lizenz

Berlin/MZ - Am Dienstag nächster Woche wird es im Berliner Collegium Hungaricum eine interessante Veranstaltung geben. Sie trägt den Titel „Der größte Lump...? Stasi-Spitzel auf dem Prüfstand“ und wird moderiert von Dagmar Hovestädt, Sprecherin der Stasi-Unterlagen-Behörde. Auf dem Podium sitzen unter anderem zwei Mitarbeiter der Forschungsabteilung: Helmut Müller-Enbergs und Ilko-Sascha Kowalczuk. Auch ihr Chef Roland Jahn wird da sein.

Es geht bei dem Termin um die Frage, wie mächtig das DDR-Ministerium für Staatssicherheit eigentlich gewesen ist. Und es geht wieder mal um den inneren Frieden in der Behörde, vom Magazin Spiegel widerspruchlos als Schlangengrube tituliert.

Müller-Enbergs kam in einer Studie von 2010 zu dem Ergebnis, dass es in der DDR 1989 rund 189 000 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit gegeben habe. Damit wäre auf 89 DDR-Bürger ein IM gekommen. Kowalczuk schreibt hingegen in seinem soeben erschienenen Buch „Stasi konkret“, dass die Zahl viel niedriger gewesen sei. Das MfS selbst habe nur von 110 000 gesprochen. Demnach seien viele IM doppelt gezählt worden.

Der 45-Jährige fordert nicht bloß eine Korrektur der Zahlen. Er will augenscheinlich eine Revision der Geschichtsschreibung. Der Leipziger Volkszeitung sagte Kowalczuk kürzlich, es gebe eine Schieflage in der Betrachtung. Die Stasi sei entgegen der gängigen Wahrnehmung nicht fähig gewesen, eine ganze Gesellschaft zu überwachsen. Das Sagen habe ohnehin die SED gehabt. Zudem, so der Forscher, seien IM fälschlicherweise „auf diesen Lebensabschnitt reduziert“ worden. Kowalczuk schließt mit der Feststellung: „Die Stasi-Keule hat in den Jahren 1989/90 doch nur bewirkt, dass wir ein Volk von Tätern und Opfern konstruierten. Ein Bild, das ahistorisch ist.“

Müller-Enbergs hat dazu bisher öffentlich geschwiegen – und das keineswegs zufällig. Er steht hausintern erheblich unter Druck, spätestens seitdem das Bonner Ehepaar Barbara und Wolfgang Deuling gerichtlich gegen die Behörde zu Felde zog, weil es sich von Müller-Enbergs zu Unrecht als IM verunglimpft sieht. Die Deulings sollen führende SPD-Kreise ausspioniert haben. Jahn versagte seinem Untergebenen die juristische Unterstützung.

Für Müller-Enbergs hat nun allerdings der ehemalige Behörden-Sprecher Christian Booß auf Kowalczuk geantwortet – in einem Beitrag für die Fachzeitschrift „Horch und Guck“, der der MZ vorliegt. Darin weist Booß, der heute ebenfalls in der Forschungsabteilung arbeitet, dessen Kritik in der Sache zurück. So sei das MfS-System gegen Doppelzählungen gut gesichert gewesen. Um einen IM zu erfassen, habe ein Offizier bei seinen Vorgesetzten einen Antrag stellen müssen. Diese hätten geprüft, ob schon eine Erfassung vorlag. Nur wenn das nicht der Fall gewesen sei, war der Weg demzufolge frei.

Booß geht jedoch weiter. Kollege Kowalczuk spiele objektiv Ewiggestrigen und DDR-Nostalgikern in die Hände, auch wenn das subjektiv womöglich nicht seine Absicht sei, notiert er. Ohnehin habe er bisher nicht mit Publikationen zur Geheimdienstforschung von sich Reden gemacht, sondern als Oppositionsforscher, der nun in der Gefahr stehe, selbst der Stasi-Perzeption zu folgen. Der Verlag wolle das Buch verkaufen, in dem er die DDR entdramatisiere. „Aber am Gang der Forschung“, meint der Kritiker des Kritikers, „wird das letztlich wenig ändern. So wird es auch in diesem Falle sein. Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.“

Der öffentliche Streit ist jedenfalls beachtlich – zumal wenn man bedenkt, dass die Streitenden Mitarbeiter derselben Behörde sind. An der Diskussion in der nächsten Woche werden deshalb auch zwei externe Experten teilnehmen. Als Schiedsrichter, sozusagen.