DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Stasi entführte 400 Westdeutsche in den Osten

HALLE/MZ. - : Berger, der 1979 aus der DDR überUngarn und Jugoslawien in die Bundesrepublikflüchten konnte, sollte von der Stasi gewaltsamin die DDR zurückgeholt werden. Berger: "DieStasi wollte mich entführen. Nachweislichgibt es 17 Fälle, in denen Menschen, die derDDR gefährlich werden konnten, zurückgeholtworden sind."
Tatsächlich war die Stasi, wenn es um Menschenraubging, noch viel aktiver als Berger mutmaßt.Die Historikerin Susanne Muhle ist im Rahmenihrer Dissertation auf über 400 West-Ost-Entführungsfällegestoßen. In einem MZ-Gespräch bilanziertdie Autorin: "Die meisten Verschleppungsaktionengab es in den 50-er Jahren. Im Visier derStasi waren vor allem drei Gruppen: Angehörigewestlicher Geheimdienste, prominente Antikommunistensowie DDR-Flüchtlinge, die zuvor bei den Staatsorganenwie Stasi, Polizei oder in den Ministeriengearbeitet hatten." Die radikale Verfolgungder "Abtrünnigen" habe nicht allein der Bestrafunggedient. Vielmehr sei es immer auch darumgegangen, Fluchtwillige in der DDR abzuschrecken.
Spektakulär war zum Beispiel die Entführungdes Juristen Walter Linse 1952 in Berlin.Er wurde in West-Berlin auf offener Straßevon vier Berufsverbrechern überwältigt, inein bereit stehendes Fluchtauto gezerrt undin den Ost-Sektor Berlins verschleppt. Fürdie DDR war es jedoch zugleich ein heiklerVorgang: Es gab zahlreiche Augenzeugen, sodass die Tat nicht vertuscht werden konnteund das SED-Regime in der West-Presse massivunter Druck geriet.
Zunehmend setzte die Stasi daher auf wenigerauffällige Entführungsmethoden - etwa dasOpfer zuvor durch "K.O.-Tropfen" im Alkoholzu betäuben. Eine andere Variante aus derZeit vor dem Mauerbau 1961: Das Opfer wurdeunter einem Vorwand nach Ost-Berlin gelockt,um anschließend behaupten zu können, ein Spionaus dem Westen sei "auf frischer Tat" ertapptworden.
Susanne Muhle: "In den 60-er Jahren nahmendie Entführungsfälle allmählich ab. Da ginges der DDR eher darum, dass ihr internationalesAnsehen nicht allzu sehr ramponiert wurde.Da wurde eher versucht, mit so genannten Zersetzungsmaßnahmenden Zielpersonen Schaden zuzufügen." Bei ihrenRecherchen hat die Autorin auch herausgefunden:Es gab bei der Stasi kein spezielles "Greifer-Kommando".Vielmehr wurden je nach Einzelfall Kleingruppenmit "Entführer-IMs" zusammengestellt.
Die meisten Entführer dürften inzwischen verstorbensein. Immerhin kam es ab 1990 zu rund 20 Anklagenwegen Freiheitsberaubung. Angeklagt wurdenetwa 30 Personen. Es gab Haftstrafen bis zuzwei Jahren. Allerdings wurden die Strafenin sämtlichen Fällen zur Bewährung ausgesetzt.Susanne Muhle: "Kein einziger der Menschenräubermusste seine Tat hinter Gittern verbüßen."
Auch mit den milden Urteilen hat sich dieHistorikerin näher befasst. Daraus geht hervor,dass sich die Täter durchweg auf einen "Befehlsnotstand"berufen haben. Das Wort Reue kam keinem vonihnen über die Lippen.