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DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Erichs Ende am 17. Oktober 1989

Von STEFFEN KÖNAU 16.10.2009, 17:36

Halle/MZ. - Er räumt sein Zimmer auf, verabschiedet sich von seinen Mitarbeitern und sagt seinem Nachfolger Egon Krenz Bescheid, dass der sich um "eine kurze Presseerklärung für meinen Rücktritt" (Honecker) kümmern solle. Anschließend fährt der 77-Jährige in das Haus Nummer 11 in der Waldsiedlung bei Bernau, in dem er mit seiner Frau Margot seit fast drei Jahrzehnten lebt. "Weißt Du", sagt Erich Honecker zu ihr, "ich bin regelrecht erleichtert."

Es ist das bittere Ende einer Karriere, die im Mai 1945 begonnen hatte, als der gerade aus dem sowjetischen Exil zurückgekehrte Walter Ulbricht den gerade aus dem Gefängnis befreiten Erich Honecker bei einem Wiedersehenstreffen von KPD-Mitgliedern in Berlin kennenlernt. Honecker will nach zehn Jahren in Haft zurück ins Saarland. Ulbricht aber überredet ihn, in Berlin zu bleiben. "Das Saarland bekommen sowieso die Franzosen", habe er gesagt, berichtet Honecker später.

Der Sohn eines Bergarbeiters macht da weiter, wo er zehn Jahre zuvor hatte aufhören müssen: Er wird kommunistischer Jugendfunktionär. Von hier aus führt ihn sein Weg 44 Jahre lang immer bergauf bis in die höchsten Ämter der DDR. Am Tag seines Sturzes ist Erich Honecker Staats- und Parteichef, Oberkommandierender der Streitkräfte, Volkskammerabgeordneter, Träger des Karl-Marx-Ordens und "Held der DDR", Ehrendoktor in Tokio, er hat den Olympischen Orden, den Vaterländischen Verdienstorden, ist "Held der Arbeit" und die Sowjetunion hat ihn mit dem Lenin-Orden geehrt.

Und dennoch, der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR habe seinen Sturz tatsächlich als Befreiung begriffen, ist Reinhold Andert sicher. Honecker habe sich mit seiner Erkrankung im Sommer 1989 eingestehen müssen, dass ihm die Dinge aus der Hand glitten, beschreibt der Liedermacher und Buchautor, den seine frühere Nachbarin Sonja Honecker Anfang 1990 bei einem zufälligen Treffen auf der Straße eingeladen hatte, ihre Eltern zu besuchen. Über ein Dreivierteljahr fand sich Andert danach mehrmals pro Woche im Pfarrhaus Lobetal und im sowjetischen Militärhospital in Beelitz ein, um mit den Honeckers lange Gespräche zu führen. "Das war wie eine Therapie für die beiden", sagt er, "sie hatten ja zu der Zeit überhaupt niemanden, mit dem sie reden konnten".

Andert, Anfang der 80er Jahre in Ungnade gefallen und aus der SED ausgeschlossen, traf einen Erich Honecker, der "weder verbittert noch verzweifelt war", wie er verblüfft bemerkt. Honecker sei bemüht gewesen, Haltung zu bewahren, habe aber gleichzeitig versucht, das Erlebte für sich selbst aufzuarbeiten. "Er fing zwar oft mit Verlautbarungen an, wurde dann aber schnell lockerer."

Für Reinhold Andert entstand in den zahllosen Gesprächsrunden das Bild eines relativ ungebildeten, aber intelligenten Mannes. "Er hatte ja nur acht Klassen Volksschule und ein Jahr Parteischule in Moskau", sagt Andert, "aber später hat er sich viel praktisches Wissen angelesen." Natürlich sei Honecker in seiner Rolle als Partei- und Staatschef der DDR nicht erst nach seiner Erkrankung überfordert gewesen, als er selbst begann, sich überfordert zu fühlen. "Aber diese Rolle hätte jeden überfordert."

Und jeden verändert. Anfang der 70er Jahre noch sei Erich Honecker ein "Genosse gewesen, mit dem man reden konnte", erinnert sich Gerhard Schürer, der oberste Planer der DDR. Vor seiner Aufnahme ins Politbüro habe er ihn angerufen und gesagt "Gerhard, ich will, dass Du in unseren Verein kommst". Und das, obwohl Schürer Honeckers neue Wirtschaftspolitik gerade als falsch bezeichnet hatte. Das Politbüro brauche Fachleute mit eigener Meinung, versicherte Honecker, Widerspruch sei wichtig, um das Beste zu erreichen. Dieser Honecker allerdings verschwand in den folgenden Jahren, beobachtete Schürer. "Später hatte er einfach keine Ohren mehr."

Manches wollte Honecker nicht wissen, anderes sagte ihm niemand. "Die haben den zum Teil richtig verarscht", glaubt Reinhold Andert. Jeder Ausflug ins Land führte in ein Potemkinsches Dorf, Erfolgsberichte wurden organisiert und jubelnde Menschen an die Straßen gestellt. Honecker habe pharaonenhaft und abgeschirmt gelebt und geglaubt, wirklich so beliebt zu sein, wie es ihm der Anschein zeigte. "Das haben ihm ja alle erzählt", sagt Andert, "und er hat das eins zu eins genommen."

An seiner eigenen Beliebtheit gemessen findet Honecker denn auch alle seine potentiellen Nachfolger schwach. Als er 1987 nach seiner BRD-Reise auf dem Gipfel des internationalen Erfolges angekommen ist und erstmals nachdenkt, ob nicht der richtige Augenblick sei, abzutreten, lautet die Antwort nein. "Ich glaube, Margot hat ihm das ausgeredet, weil Krenz einfach nicht die Autorität hatte, das Land zu führen", sagt Andert. Honecker bleibt. Und wird so schließlich zwei Jahre später von denen gestürzt, mit denen er sich am engsten verbunden glaubt. Draußen schwappt die Ausreisewelle hoch und höher, drinnen im ZK-Gebäude steht die Luft still wie eh und je. Hinter dem Rücken des von einer Gallen-Operation genesenden Generalsekretärs verabreden Krenz, Schabowski, Mielke und Ministerrats-Chef Willi Stoph endlich, Schluss zu machen. Stoph, 29 Jahre zuvor von Honecker als Verteidigungsminister gefeuert, teilt Honecker die vorab gefällte Entscheidung mit: "Erich, es geht nicht mehr. Du musst gehen."

Für Erich Honecker ist es nicht das Ende aller Illusionen. Er nennt seinen Sturz weiter störrisch den "Rücktritt von meinen Funktionen" und glaubt, dass nur ein großangelegter Verrat der Sowjetunion die Ursache des nun rasend ablaufenden Zusammenbruchs der DDR gewesen sein kann.

Erstaunlich für ihn sei der Umstand gewesen, beschreibt Reinhold Andert, "dass die Honeckers nicht einen einzigen Freund hatten, der sie noch besucht hat". Die Einsamkeit und der Druck von außen aber binden das Paar noch enger aneinander. Gegenseitig bestärkten sie sich in der Auffassung, selbst zwar Fehler, aber doch alles richtig gemacht zu haben. Fünf Jahre nach dem Verlust aller Ämter, zwei Krebsoperationen, eine Flucht nach Moskau und ein Gerichtsverfahren später stirbt der 82-jährige Erich Honecker im chilenischen Exil, immer noch festen Glaubens, dass der Sozialismus eines Tages siegreicher zurückkehren wird auf die Bühne der Weltpolitik. Kein dämonischer Diktator, sondern eine tragische Figur, sagt Reinhold Andert: "Man hatte ihm einen Königsmantel umgehängt, der viel zu groß für ihn war."