DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Der Sturm auf die Stasi-Zentrale
BERLIN/MZ. - Doch vor der Einfahrt zur Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der Berliner Normannenstraße hatte sich am späten Nachmittag des 15. Januar 1990 eine wütende Menschenmenge versammelt, die die um Ruhe mahnende Bärbel Bohley auspfiff. Tausende aufgebrachte Bürger riefen in Sprechchören "Tor auf!" und "Stasi in die Produktion!"
Dann öffnete sich das Tor tatsächlich nach innen, Scheiben klirrten, erste Papiere und Möbelstücke flogen aus den Fenstern. Die Demonstranten gingen staunend durch die Gänge. Doch was sie suchten, fanden sie nicht. Statt auf ihre Akten und andere brisante Unterlagen stießen die Bürgerrechtler auf für DDR-Verhältnisse unvorstellbaren Luxus: eingeschweißten Lachs, Roastbeef und Haifischflossensuppe in Dosen - und massenhaft Uniformen, Abzeichen und Fahnen.
Kein Zufall
Carlo Jordan, Mitbegründer der DDR-Grünen, den die Spitzel über ein Jahrzehnt im Visier hatten, ahnte, dass dies kein Zufall war. Die Menge war in dem weit verzweigten Versorgungskomplex gelandet. Den Demonstranten war die Aufteilung der abgeschirmten MfS-Zentrale mit ihren 40 Gebäuden unbekannt. Die Stasi hatte zuvor nicht nur die bewaffnete Verteidigung der Zentrale simuliert, sondern auch den Dialog mit dem Mann auf der Straße geübt. Doch dazu kam es nicht, erinnerte sich kürzlich der frühere MfS-Oberstleutnant Günther Bohnsack. "Der erste Befehl hieß: Akten vernichten und zwar rund um die Uhr."
Während der damalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow in der Normannenstraße gemeinsam mit den Bürgerrechtlern zu Besonnenheit und Gewaltlosigkeit aufrief, liefen hunderte Reißwölfe in einem anderen Gebäude einfach weiter. Es dauerte Tage, bis auch hier ein Bürgerkomitee das Kommando übernommen hatte. Gleichwohl besiegelte der Sturm auf die Stasi-Zentrale den Untergang des DDR-Geheimdienstes. Den Ostdeutschen sei so Einmaliges weltweit gelungen, lobte später Joachim Gauck, der erste Leiter der MfS-Unterlagenbehörde: "Einen Geheimdienst zu besetzen, ihn aufzulösen und mit Unrechtsmitteln erworbenes Herrschaftswissen zum Volkseigentum zu machen."
180 Kilometer Akten
Seit Ende 1991 ist im Stasi-Unterlagengesetz der Zugang zu den Hinterlassenschaften des MfS geregelt. Von den über 180 Kilometern vollgeschriebener Berichte sind die meisten inzwischen entschlüsselt, tausende frühere Spitzel enttarnt. Das Interesse an den Stasi-Akten ist ungebrochen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel will heute, am Jahrestag der Erstürmung, erstmals die einstige MfS-Zentrale besuchen. Bislang hat sich die CDU-Politikerin, die sich im Dezember 1989 der Bürgerbewegung "Demokratischer Aufbruch" (DA) anschloss und später über das Wahlbündnis "Allianz für Deutschland"" zur CDU stieß, öffentlich kaum für die Aufarbeitung der Stasi-Akten engagiert. Schon Merkels erste Berührung mit dem Stasi-Thema zu Beginn ihrer politischen Karriere war eher unangenehm: Sie hatte die heikle Aufgabe, jene Pressekonferenz zu leiten, auf der die langjährigen Spitzeldienste des ersten DA-Vorsitzenden Wolfgang Schnur bestätigt wurden.