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Das deutsch-türkische Problem Das deutsch-türkische Problem: Breitbeinig laut autoritär machtbewusst aggressiv

Von Daniela Vates 14.06.2016, 15:04
Populist erster Güte: Recep Tayyip Erdogan
Populist erster Güte: Recep Tayyip Erdogan Pool Presidential Press Service

Berlin - Der neueste Spruch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ist dieser: „Niemand soll unsere Geduld auf die Probe stellen.“ Eine Drohung ist das, eine grimmige Wortgrimasse. Man liest den Satz und denkt: Eigentlich wäre es doch mal gut. Erdogan führt Prozesse gegen Journalisten, er klagt gegen einen deutschen Komiker, nach der Armenien-Resolution des Bundestags belässt er es nicht bei Kritik, sondern gleitet mit der Forderung nach Blutproben von Bundestagsabgeordneten in persönliche Angriffe und Rassismus ab.

Wer stellt hier eigentlich wessen Geduld auf die Probe?

Die Waffe der Populisten

Erdogan bedient sich der Waffe der Populisten: Er übernimmt die zu Haltung der Gegner (nicht die inhaltliche selbstredend) und nutzt sie für sich. Auf diese Weise agieren auch andere: In der Reinstform warnen Populisten davor, man dürfe das Feld nicht Populisten überlassen. Aber das ist nicht das Hauptproblem.

Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei haben sich in den vergangenen Monaten dramatisch verschlechtert. Bundestagsabgeordnete stehen unter Polizeischutz, der Bundestagspräsident sieht sich genötigt, den türkischen Präsidenten zu maßregeln. Botschafter werden auf beiden Seiten in die Außenministerien einbestellt. Der EU-Botschafter in der Türkei zieht sich zurück.

Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu dem die Türkei und Europa über die Flüchtlingspolitik zumindest in der praktischen Politik so nah aneinander herangerückt sind wie selten zuvor, gehen selbst solche Politiker auf Distanz, die jahrelang für Annäherung plädiert haben. Die Türkei, vorher aus europäischer Perspektive ein Staat an der Peripherie, ist politische wie wirtschaftlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, sie ist nicht mehr nur Urlaubsland für Pauschaltouristen, sondern gilt als coole Reisedestination.

Und in diese Öffnung und Faszination hinein hat sich nun Erdogan gesetzt, breitbeinig, laut, autoritär, machtbewusst, aggressiv.

Wie reagiert man auf so jemanden? Zurückdrohen? „Unsere Geduld ist am Ende“, Kündigung des EU-Türkei-Pakts, Stopp der Beitrittsverhandlungen statt Verhandlung über weitere Themen?. Und schon gar keine Visaerleichterungen? Weil man einem Despoten nicht noch freundliche Hilfestellungen geben soll? Weil man nicht warten kann, bis er zur Seite rückt, weil er nach Vorbild eines anderen Autokraten, des russischen Präsidenten Wladimir Putin, alle Vorbereitungen dafür trifft, sich an der Staatsspitze auf Dauer einzurichten?

Die Methode Putin, die Methode Erdogan wäre die Eskalation. Nachdem die Türkei ein russisches Kampfflugzeug an der syrisch-türkischen Grenze abgeschossen hatte, strich Russland die Flugverbindungen in die Türkei, es gab Reisewarnungen wegen Sicherheitsbedenken. Der Türkei-Tourismus der Russen brach spürbar ein, die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder haben empfindlich gelitten.

Strategie: Abwarten

Die Bundesregierung setzt auf die Strategie Merkel, aufs Abwarten. „Ruhe bewahren“, heißt es, es ist die Standardvariante der Kanzlerinnenpolitik.  Außenpolitiker der Koalition empfehlen Deeskalation: „Nicht über jedes Stöckchen springen.“ Erdogan sei ein Spieler, der probiere wie weit er gehen kann. Ein typischer autoritärer Politiker, sagt ein Diplomat. Man versucht ihn seiner Wirksamkeit zu berauben, indem man ihn ignoriert. Auch Politik ist Psychologie, und Erdogan in diesem Fall der Typ aggressiver Nörgler. So einer lässt sich leicht ärgern. Die Bundesregierung hat sich darauf eingerichtet und am liebsten auch gesehen, wenn der Bundestag darauf verzichtet hätte, den Völkermord an den Armeniern als solchen zu verurteilen.

Die EU braucht die Türkei, um die Flüchtlinge fern zu halten. Die Türkei ist wichtig im Bemühen, den Krieg in Syrien zu beenden. 

Umgekehrt aber braucht auch die Türkei die EU. Es gibt enge Wirtschaftsbeziehungen und  finanzielle Unterstützung der EU für die Flüchtlinge. „Erdogan hat kein Interesse daran, dass das Verhältnis zur EU und zu Deutschland völlig ruiniert wird“, sagt der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin.

Das kann sich als richtig erweisen. Und richtig ist sicher: Die Türkei ist nicht nur Erdogan. Visa-Erleichterungen, die auch jungen Türken ermöglichen, problemlos nach Europa zu reisen, könnten Erdogans Macht auf Dauer sogar untergraben. Und die Verhandlungen über den EU-Beitritt bedeuten keinen automatischen Beitritt, aber eine Möglichkeit, mit Erdogans Leuten über Rechtsstaats-Grundsätze zu  sprechen.

Und völlig gleichgültig gegenüber Druck von außen ist Erdogan offensichtlich nicht – denn auch so kann man seine Worte von der Geduldsprobe sehen: Sie waren eine Antwort auf den britischen Premier David Cameron, der der Türkei einen EU-Beitritt frühestens im Jahr 3000 in Aussicht stellte. Ein völlig autarker Staatspräsident hätte mit einem Schulterzucken reagiert. Mit einem: Dann eben nicht.

Der ehemalige CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz sagt, wenn man das Ziel der Armenien-Resolution ernst nehme, der Türkei helfen zu wollen, dann müsse man jetzt auf Entspannung setzen: „Eine Form der Hilfe ist, sich nicht in eine verbale Eskalationsspirale treiben zu lassen.“ Auch die Opposition hat sich auf diese Argumentation ein Stück weit eingelassen: Im Bundestag verzichtete die Linkspartei auf eine Aktuelle Stunde – und mithin auf eine gute Stunde öffentlicher Abrechnung mit Erdogan - nachdem Bundestagspräsident Lammert Erdogan gerügt hatte.

Drohgebärden im südchinesischen Meer

Der Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Kristian Brakel, sagt, Erdogan sehe sich durch aktive Gegnerschaft bestätigt. „Es liefert ihm sein Narrativ: Alle sind gegen die Türken.“

Angela Merkel ist dieser Tage in China gewesen, auch kein einfacher Verhandlungspartner. Keine Meinungsfreiheit, keine Pressefreiheit, Drohgebärden im südchinesischen Meer.

Auf einer Pressekonferenz mit Ministerpräsident Li Keqiang gab es auf eine Doppelfrage eines Journalisten folgenden Dialog der beiden Politiker:

Li: Wenn Sie möchten, dann kann man beide Fragen zusammen beantworten.

Merkel: Das kann ich machen. Das erste - - -

Li: Sie beantworten die erste Frage.

Merkel: War die zweite gar nicht für mich? Ich dachte, beide Fragen waren für mich. Aber wenn die zweite für den chinesischen Ministerpräsidenten ist, dann - - - Egal, ich sage einfach, was ich möchte.

Das empfiehlt sich auch an anderer Stelle.