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Cyber-Grooming Cyber-Grooming: Wie Kinder im Netz sexuell angemacht werden

Von Melanie Reinsch 21.10.2016, 15:09
Die Kriminologie versteht unter Cyber-Grooming die onlinebasierte Anbahnung eines sexuellen Missbrauchs von einem Kind.
Die Kriminologie versteht unter Cyber-Grooming die onlinebasierte Anbahnung eines sexuellen Missbrauchs von einem Kind. dpa

13 Jahre alt war Maria-Brigitte, als sie im Jahr 2013 spurlos verschwand. Bis heute gilt das Mädchen aus Freiburg als vermisst. Maria-Brigitte hatte zuvor den 40 Jahre älteren Bernhard Haase im Internet kennengelernt: Heimlich traf sie sich mit dem Elektriker aus Nordrhein-Westfalen, mehrmals. Bis alles aufflog. Dann war sie plötzlich weg. Die Polizei geht davon aus, dass das Mädchen freiwillig mit Haase mitging.

Phänomen des sogenannten „Cyber-Groomings”

Cyber-Grooming nennt man dieses Phänomen. Grooming heißt übersetzt „pflegen“, „zurechtmachen“.  Es bedeutet, dass Männer – denn sie sind es zu 95 Prozent – im Internet Kinder und Jugendliche ansprechen, um mit ihnen sexuell in Kontakt zu treten. In Deutschland ist Cyber-Grooming seit 2004 bei unter 14-Jährigen verboten.

„Die Kriminologie versteht unter Cyber-Grooming die onlinebasierte Anbahnung eines sexuellen Missbrauchs von einem Kind“, erklärt Thomas-Gabriel Rüdiger, Kriminologe am Institut für Polizeiwissenschaft (IfP) an der Fachhochschule der Polizei in Brandenburg. Das könne per Sprache oder Bild in einem Chat passieren oder durch verbale Sprache über ein Headset. 

Rund 2000 Cyber-Grooming-Anzeigen gab es 2015, jedes Jahr sind es mehr geworden.  Die Dunkelziffer liegt im Millionenbereich, schätzt Rüdiger. „Ich gehe davon aus, dass jedes Kind, das im digitalen Raum aufwächst, mit einem Täter konfrontiert wird.“

Zwei verschiedene Tätertypen differenzierbar

Zwei Tätertypen unterscheidet er dabei: Der erste baut über eine lang Zeit ein Vertrauensverhältnis mit dem Ziel auf, das Opfer zu treffen. Da dieses Verhalten viel Zeit benötigt, hat dieser Täter wenig Opfer. „Dieser Täter ist häufig sehr intelligent.  Den zu kriegen, das ist sehr schwierig. Denn diese Kinder sehen darin leider nur selten einen Missbrauch, sie treffen sich ja freiwillig.“ Solche Fälle kämen oft nur durch Zufall ans Licht.

Der zweite Täter geht aggressiver vor. Er schreibt dutzende Kinder an, Treffen sind nicht sein Hauptziel. Die Täter drängen ihre Opfer dazu, ihnen Nacktbilder zu schicken oder sich vor der Web-Cam auszuziehen. Damit machen sie die Opfer erpressbar. Manche bieten auch Geld an. „Diese Täter agieren sehr offen. Daher sind sie, wenn sie angezeigt werden, auch leicht überführbar“, weiß der Cyber-Experte.  Bei den angezeigten Grooming-Fällen liegt die Aufklärungsquote daher bei 85 Prozent.

Noch vor fünf Jahren waren die meisten Täter zwischen 30 und 40 Jahre alt. Seit 2012 hat sich das gewandelt. Heute sind 65 Prozent der Tatverdächtigen unter 30 Jahre und 35 Prozent sind sogar Kinder und Jugendliche selbst. Zehn Prozent sind sogar unter 14 Jahren.

Laut der Mikado-Studie zum Missbrauch von Kindern und Jugendlichen auf Basis anonymer Internet-Interviews mit 28.000 Erwachsenen und mehr als 2000 Kindern und Jugendlichen hatten von mehr als 2200 hierzu befragten erwachsenen Internetnutzern 5,3 Prozent im Internet Kontakt zu Minderjährigen mit sexuellem Inhalt.

Facebook und WhatsApp nicht die Hauptaktionsplattformen

Die Täter kontaktieren ihre Opfer nicht unbedingt über Facebook oder WhatsApp, sondern oftmals über die Chatfunktionen bei Onlinespielen oder mit Hilfe von Chatprogrammen wie Kakao oder Kik. Klickt man im Netz darauf, liest man sich durch erschreckende Profiltexte: Da schreibt zum Beispiel ein Nutzer mit dem Namen „Evilderpeiniger“: „Hallöchen Ladys, ich bin ein liebevoller, netter und ehrlicher Mensch der ziemlich ungemütlich werden kann, wenn du nicht das tust, was ich dir sage!“ Für Cyber-Groomer ist es also leicht, den Kontakt herzustellen. Viele Eltern sind ahnungslos – manche  Programme sind freigegeben ab null Jahren. Für Rüdiger ein Verstoß gegen das Jugendmedienschutzgesetz.

„Seit 20 Jahren gibt es diesen digitalen Raum, aber wir haben uns nie darüber Gedanken gemacht, welche Normen eigentlich gelten sollen und wie wir diese durchsetzen können. Es gibt zum Beispiel keine Regeln im Netz, die den Umgang zwischen Kindern und Erwachsenen steuern. Das ist ein echtes Problem“, macht Rüdiger deutlich.

Er hält es für sinnvoll, in den Schulen Fächer wie Medienkompetenz einzuführen, auch für Lehrer. Doch auch Eltern sind gefragt: Sie sollten sich nicht nur von den Kindern zeigen lassen, was sie im Netz trieben, sondern sich die Programme selbst installieren, um zu sehen, was dort wirklich vor sich ginge.