China China: Das Land wird alt, bevor es reich wird

Peking/dpa. - China hat eine rapide alternde Gesellschaft. Ende 2005 hat die Zahl der über 65-Jährigen erstmals die 100 Millionen überschritten. Ihr Anteil macht 7,69 Prozent der Bevölkerung aus, wie die jüngste Volkszählung ergab. Es gibt sogar schon 144 Millionen Chinesen, die über 60 Jahre alt sind - mehr als jeder Zehnte (11,03 Prozent).
Nach UN-Schätzungen könnte 2050 fast jeder dritte Chinese über 60Jahre alt sein. Durch die Ein-Kind-Politik stehen jüngere Menschenvor einem fast unlösbaren «1-2-4-Problem»: Ein Kind muss zwei Elternund vier Großeltern versorgen.
Das Reich der Mitte ist nicht vorbereitet auf diese «stilleRevolution». Seit 1999 besitzt China schon eine «alterndeGesellschaft», die laut UN-Definition erreicht ist, wenn 7 Prozentder Bevölkerung über 65 Jahre alt sind. Entwickelte Staaten haben zudiesem Zeitpunkt meist einen hohen Lebensstandard mit Einkommen von5000 oder 8000 US-Dollar pro Kopf geschaffen. Doch China steht erstbei 1000 US-Dollar. «China ist das einzige Land der Erde, das altwird, bevor es reich wird», heißt es in einem neuen Bericht derAkademie der Wissenschaften in Peking.
Schlimmer noch: China wird durch die Überalterung langfristigseinen wichtigsten Wettbewerbsvorteil im Welthandel verlieren - dasHeer billiger Arbeitskräfte. Durch die strenge Geburtenkontrolle wirdes immer weniger junge Leute geben, um das jetzige Wirtschaftswunderzu unterstützen, warnen die Forscher. Die Zahl der Arbeitskräfte wird2016 ihre Spitze erreichen und dann jedes Jahr zurückgehen. «DerNachschub an Arbeitskräften, von dem Chinas Wirtschaftsentwicklung imwesentlichen profitiert, sieht in der Zukunft nicht rosig aus», sagtCai Chuang, einer der Autoren. Chinas Wirtschaftswachstum hängeeinfach von arbeitsintensiver Produktion ab, was sich «auf langeZeit» nicht ändern werde.
Die schlechten Aussichten haben die Diskussion über eine Lockerungder strengen Geburtenkontrolle neu angefacht. Die Einführung der Ein-Kind-Politik Ende der 70er Jahre hat im bevölkerungsreichsten Landder Erde schätzungsweise mehr als 300 Millionen Geburten verhindert.China muss ein Fünftel der Weltbevölkerung mit nur sieben Prozent derlandwirtschaftlichen Fläche ernähren - von den Umweltbelastungen undden mangelnden Wasserressourcen ganz zu schweigen. Jetzt plagt sichChina aber mit einer unausgewogenen Bevölkerungsstruktur. Um dieschnelle Überalterung zu verlangsamen, schlagen einige Experten vor,Paaren künftig zwei Kinder zu erlauben. Andere warnen, eine Lockerungwürde die Bevölkerung um 100 bis 200 Millionen anwachsen lassen.
Für das unterentwickelte Rentensystem, das praktisch nur diestädtische Bevölkerung umfasst, und die explodierenden Kosten desGesundheitssystems findet der kommunistische Staat auch keine Lösung.Er entzieht sich immer weiter seinen Pflichten, überlässt denEinzelnen sich selbst oder dessen schrumpfenden Familien.
In Altenheimen gibt es heute gerade einmal 8 Plätze für 1000 alteMenschen im Gegensatz zu 50 bis 70 in entwickelten Staaten. Mitihrer kleinen Rente können sich viele die monatlichen Kosten von 1300bis 1600 Yuan (130 bis 160 Euro) ohnehin nicht leisten. DieAltersarmut wächst schon heute. Mehr als 90 Prozent der alleinlebenden Senioren in Peking haben nur eine durchschnittliche Rentevon 786 Yuan (75 Euro). Ein Drittel muss mit weniger als 500 Yuan (50Euro) auskommen. So viel kann heute leicht eine einzige Untersuchungim Krankenhaus mit Bluttest kosten.