CDU-Parteitag in Hamburg CDU-Parteitag in Hamburg: Krimi im Zeichen des Abschieds und der Aufbruchstimmung

Hamburg - Der erste Schrei kommt bei der Zahl 482. „Auf Friedrich Merz entfielen 482 Stimmen“, sagt der Tagungsleiter Daniel Günther auf dem Podium. Vorne links springen die Delegierten des Saarlands auf und jubeln. 482 Stimmen. Das reicht nicht für einen CDU-Vorsitzenden. 517 für Annegret Kramp-Karrenbauer, die bisherige CDU-Generalsekretärin und frühere saarländische Ministerpräsidentin. Es ist ein knappes Ergebnis, aber es ist klar: Kramp-Karrenbauer ist die neue CDU-Chefin. Die lacht und wischt sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. Die Anspannung ist weg.
Sechs Wochen Wettbewerb ohne klare Tendenz, ein ausgeglichen klatschender Parteitag. Und dann noch ein zweiter Wahlgang. Die CDU hat einen Krimi gemacht aus dieser Vorsitzendenwahl .Und es kann gut sein, dass der nicht zu Ende ist mit diesem Parteitag. Die Überschrift passt dazu. Merkel hat sie sich ausgesucht, sie hat das Motto ihres letzten Parteitags als CDU-Chefin bestimmt. „Zusammenführen. Und zusammen führen.“
Spannung in den vergangenen Tagen spürbar gestiegen
In großen Lettern steht das wie eine Mahnung über der Bühne, schwarz auf weiß und mit den Farben der Deutschlandfahne im Hintergrund. Es ist das, was als erstes ins Auge fällt in der Halle. Es ist das, worauf alle blicken. Es ist das, was klappen muss, aber schief gehen kann und zwar gehörig.
„Das Problem der CDU ist nicht die neue Parteiführung“, sagt einer aus der Führung der Partei, noch bevor es losgeht. „Das Problem der CDU ist der Verlierer sein.“
Düster klingt das und so gar nicht nach dem Fest der Demokratie, für das sich die CDU so gefeiert hat in den vergangenen Wochen. Die Spannung hat zugenommen in den Tagen vor dem Parteitag, unversöhnlicher sind die Lager geworden und manch unfreundliches Wort ist gefallen.
Merkel um Zuversicht bemüht
Angela Merkel ist die, die diese Spannung am Vormittag bricht, zumindest vorübergehend. Eine gute Stunde läuft der Parteitag da. Dann ist der Tagesordnungspunkt 8 ist an der Reihe: der Bericht der Vorsitzenden. Es ist nicht irgendein Bericht. Ein paar Stunden später wird Merkel von ihrem Platz auf der linken auf die rechte Seite des Rednerpults wechseln.
Sie wird nicht mehr Vorsitzende sein, sondern nur noch, nach 18 Jahren. Es bleibt ihr ein Platz im Präsidium, als „kooptiertes Mitglied“. Ach ja, und sie bleibt Bundeskanzlerin. Das erwähnt Merkel auch, nebenbei und wie zur Sicherheit. Bedeutungsschwere hängt also über diesem Augenblick. Angela Merkel fährt erstmal das Rednerpult nach oben. „Ich bin klein, aber nicht so klein“, sagt sie. Die Delegierten lachen befreit.
Aber es geht ja um etwas auf diesem Parteitag, auch um ihr Erbe. Merkel hat sich nicht festgelegt auf einen Nachfolger. Sie tut es auch jetzt nicht. Sie versucht eine zuversichtliche Stimmung zu schaffen, sie tut es mit einer eindringlichen Rede, in der sie zurückblickt auf ihre politischen Anfänge und auch auf ihre Kritiker eingeht.
„Wir haben uns nicht irre machen lassen“
Die CDU steht schlecht in den Umfragen. Aber Merkel findet, es habe schlimmere Zeiten gegeben. „Eine Schicksalsstunde haben wir vor 18 Jahren erlebt“, sagt sie. Da habe die CDU die Spendenaffäre bewältigen müssen und sei „politisch und moralisch vor dem Aus gestanden“. Kühlen Kopf habe man damals bewahrt. „Wir haben uns nicht irre machen lassen“, befindet Merkel. Gut so, findet sie.
Zu wenig konservativ sei die Merkel-CDU, befinden ihre Kritiker. Einer von ihnen meldet sich nach Merkels Rede zu Wort. „Die Konservativen sind von ihnen ihrer Heimat beraubt worden“, kritisiert der baden-württembergische Delegierte Eugen Adler. Hat Merkel irgendwie kommen sehen. „Konservativ kommt nicht von Konserve“, sagt sie vorsorglich. Und manche jetzt kritisierte Entscheidung sei mit großer Mehrheit gefällt worden. Die Aussetzung der Wehrpflicht sei so ein Beispiel.
Merkel verabschiedet sich mit „Fröhlichkeit im Herzen“
Einen kühlen Kopf und Einigkeit, das brauche man auch jetzt, findet Merkel. Und außerdem gute Laune. „Nicht mit Missmut, Missgunst und Pessimismus, sondern immer mit Fröhlichkeit im Herzen“ dürfe man an die Sache gehen. Die „Fröhlichkeit im Herzen“, das ist das Stichwort, mit dem sich Merkel, die zumindest eine Meisterin im Missmutigschauen ist, von der Partei verabschiedet. Das soll Die feiert sie mit zehn Minuten Applaus. Wieder und wieder muss Merkel an den Bühnenrand. Nach 18 Jahren und einigem Auf und Ab hat die CDU mit Merkel ihren Frieden gefunden.
Aber es geht ja um die Neuen. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer will neue Chefin werden. Ex-Unions-Fraktionschef Friedrich Merz will für diesen Job aus der Wirtschaft wieder in die Politik zurückkehren. Und auch Gesundheitsminister Jens Spahn kandidiert. 20 Minuten Redezeit hat jeder von ihnen, sie halten sie mehr oder weniger ein.
Die Reden könnten viel entscheiden, hat es im Vorfeld in allen Lagern geheißen. Eine gute Rede macht einen Parteivorsitzenden. Eine schlechte kann die entscheidenden Stimmen kosten. Die Rednerreihenfolge bestimmt das Alphabet.
AKK probiert es mit dem Wir-Gefühl
Glück für Kramp-Karrenbauer, sagen manche. Der erste habe einen Aufmerksamkeitsvorteil. Glück für Merz, der als zweiter spricht, sagen andere. Der zweite könne Leute wachrütteln. Glück für Spahn, den Dritten, das finden auch manche. Der letzte Redner bleibe schließlich am besten im Gedächtnis. Es ist kein Zufall, dass alle Interpreteure zufällig dem entsprechenden Unterstützerlager zugeordnet werden können.
Kramp-Karrenbauer probiert es mit dem Wir-Gefühl. „Ich will, ich kann, ich werde“, das war das gefeierte Motto ihrer Bewerbungsrede als Generalsekretärin im Februar: Nun will sie Parteichefin werden und ruft: „Wir können das, wir wollen das und wir werden das.“ Ein weiteres Bild hat sie sich überlegt. Die CDU sei als Volkspartei „so etwas wie das letzte Einhorn in Europa“ sagt sie. Manchmal gibt es auch auf einem Parteitag in einer riesigen Messehalle einen winzigen Hauch von Romantik.
Aber es steht ja noch etwas anderes im Raum, ein harscher Vorwurf: “Ich habe gelesen, was ich bin: Mini, eine Kopie, ein einfaches Weiter so“, sagt Kramp-Karrenbauer. „Ich stehe hier, als das was ich bin“, sagt sie. In 18 Jahren Regierungserfahrung im Saarland habe sie „gelernt, was es heißt zu führen“. Dabei komme es „mehr auf die innere Stärke als auf die äußere Lautstärke an“, sagt sie. Es ist ein Haken gegen Merz. Dessen Unterstützer haben lautstark getrommelt in den letzten Tagen. Sogar Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat sich eingeschaltet für Merz.
Empörung im AKK-Lager
Im Kramp-Karrenbauer-Lager wich die Gelassenheit der offenen Empörung. Peter Altmaier, der sonst so emsig fröhliche Wirtschaftsminister, warf Schäuble einen Dammbruch vor. Andere lästerten wenig freundlich: „Der Opa soll mal die Klappe halten.“ Und berichteten, das Merz-Lager arbeite mit Drohungen, um Delegierte umzustimmen.
In jedem Fall haben beide Lager emsig gezählt: Merz‘ Leute führten die großen Landesverbände an: Baden-Württemberg, die Hälfte von Nordrhein-Westfalen, ein guter Teil von Hessen und Niedersachsen sei für Merz. Die AKK-Leute versuchten diese Rechnung zu zerlöchern: Die Frauen-Union. Der Sozialflügel. Die andere Hälfte von NRW. Baden-Württemberg – Merz-Land? Sogar der als konservativ geltende Innenexperte der Unionsfraktion Armin Schuster, habe sich doch zu Kramp-Karrenbauer bekannt. Und im Übrigen könne auch Spahn kein Interesse an einem Parteichef Merz haben: Der hat ja dasselbe Geschäftsmodell wie er.
Merz wird seinem Ruf gerecht
Merz bedient in seiner Rede seinen Ruf als Mann klarer Worte. „Ohne klare Positionen bekommen wir keine besseren Wahlergebnisse“, sagt er. Merz gibt sich als Kämpfer gegen die AfD, er kritisiert Grüne, SPD und FDP gleich mit.
Ein Grundsatzprogramm reiche nicht aus um diese Positionierung darzustellen, verkündet er auch – es ist das Rückspiel an Kramp-Karrenbauer. „Unsere Generalsekretärin“, sagt Merz und beteuert, sowohl Kramp-Karrenbauer als auch Spahn würden mit ihm als Vorsitzenden eine führende Rolle in der CDU behalten. „Ich will der Vorsitzende eines Teams sein“, beteuert Merz. Und er werde „auch Flügelstürmer zulassen“.
Es ist das Bedenken, das es in der CDU gibt beim Namen Merz – dass er auf einem Egotrip ist, auf einem Rachefeldzug gegen Merkel, die ihn einst aus dem Amt des Unions-Fraktionschefs gekippt hat. Kann er mit Merkel zusammenarbeiten? „Natürlich geht das gut“, sagt Merz. „Die Aufgabe jedes Parteivorsitzenden wird sein, dass Deutschland eine stabile Regierung hat.“
Ein Plädoyer für eine Doppelspitze?
Es könnte sein, dass an dieser Stelle des Parteitags schon alles klar ist, weil es Begeisterungsstürme gibt für den einen oder die andere. Aber die CDU bleibt geheimnisvoll. Bei Merz klatschen sie sechs Sekunden länger, dafür bei Kramp-Karrenbauer etwas lauter. Ein Plädoyer für eine Doppelspitze, das könnte man daraus ableiten. Aber das fordert nun wirklich keiner in der CDU.
Es ist dann auch noch Spahn an der Reihe, der tapfer sagt, er wolle Parteichef werden, weil er weder für das „Weiter so“ stehe noch für die Vergangenheit. Er bekommt höflichen Applaus. Aber er hat deutlich gemacht, um was es nach der Abstimmung gehen wird in der CDU. „Es ist keine Abstimmung über Personen, es ist eine Abstimmung über Chiffren“, so hat es ein führender CDU-Mann beschrieben.
Im ersten Wahlgang liegt Kramp-Karrenbauer vorne, Merz an zweiter Stelle. Spahn bekommt so viele Stimmen, dass sowohl der eine wie die andere im zweiten Wahlgang gewinnen kann.
Ein zweites Mal also müssen die Delegierten hinter ihren Pappkartons verschwinden, den so genannten Tischwahlkabinen. Friedrich Merz sagt: „Herzlichen Glückwunsch.“ Und er bittet seine Fans um Unterstützung für Kramp-Karrenbauer. Er sagt es mit einem sehr freundlichen Lächeln.