Europarechtler Vedder Carles Puigdemont: Europarechtler Christoph Vedder: "Deutsche Justiz schützt Puigdemont vor langer Haftstrafe"

Berlin - Christoph Vedder, Jahrgang 1947, ist emeritierter Professor für Völkerrecht und Europarecht an der Universität Augsburg. Wir sprachen mit ihm über den Fall des ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont.
Herr Professor Vedder, Carles Puigdemont kommt unter Auflagen frei. Wie bewerten Sie die Entscheidung des Oberlandesgerichts in Schleswig?
Das ist ein ganz normaler Vorgang. Das Gericht hat noch nicht über die Auslieferung Puigdemonts entschieden, sondern die Vollstreckung der jetzt zunächst beschlossenen Auslieferungshaft, die auf das Ersuchen der spanischen Behörden zurückgeht, gegen Auflagen ausgesetzt. Deswegen darf Puigdemont Deutschland auch nicht verlassen. Er ist momentan also kein freier Mann.
Aber den Vorwurf der Rebellion, den es im deutschen Strafrecht gar nicht gibt, haben die Richter zurückgewiesen. War es nicht klar, dass das so kommen würde?
Das war absehbar, weil es dem Prinzip der sogenannten Gegenseitigkeit folgt. Das heißt: Die deutschen Behörden müssen dem Europäischen Haftbefehl nur Folge leisten und Puigdemont darf also am Ende nur ausgeliefert werden, wenn er eine Straftat begangen hat, die auch nach deutschem Recht strafbar ist.
Ist der Straftatbestand des Hochverrats, den es auch in Deutschland gibt, nicht vergleichbar mit der Straftat der Rebellion im spanischen Rechtsverständnis?
Nein. „Hochverrat“ setzt nach deutschem Recht entscheidend die Ausübung von Gewalt oder die Drohung mit Gewalt voraus. Das aber ist Puigdemont nicht vorzuwerfen. Damit ist klar: Wenn Puigdemont ausgeliefert werden sollte, dann darf ihm in Spanien nach europäischem Recht nicht der Prozess wegen des Vorwurfs der Rebellion gemacht werden, sondern allein wegen des Vorwurfs der Untreue.
Könnte sich Puigdemont darauf verlassen?
Er könnte sich darauf absolut verlassen. Der spanischen Justiz wären in diesem Fall die Hände gebunden. Wenn es dennoch, was ich nicht glaube, zu einem Verfahren wegen Rebellion käme, könnte Puigdemont nach spanischem und europäischem Recht dagegen vorgehen und seine Sache letztlich auch vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg bringen. Spanien würde sich mit einem solchen Schritt auch in der europäischen Wertegemeinschaft isolieren. Die spanische Justiz wird also die Entscheidung aus Schleswig hinnehmen. Diese endgültige Entscheidung über die Auslieferung steht allerdings noch aus.
Heißt das im Endeffekt, dass die deutsche Justiz Puigdemont eine lange Haftstrafe erspart haben könnte?
So ist es. Davor schützt ihn die deutsche Justiz. Wenn Puigdemont ausgeliefert wird, dann darf er in Spanien nur noch wegen Untreue vor Gericht gestellt werden. Und das Strafmaß dafür ist gering im Vergleich zur Rebellion.
Eine glückliche Fügung für Puigdemont?
Das kann ich nicht sagen. Das Oberlandesgericht Schleswig wäre den Vorgaben des europäischen Rechts gefolgt. Aber Puigdemont wäre in diesem Fall zurück auf der politischen Bühne in Spanien.
Hat die spanische Staatsanwaltschaft das Instrument des Europäischen Haftbefehls für ihre Zwecke missbraucht?
Von Missbrauch würde ich nicht sprechen. Der Europäische Haftbefehl soll sicherstellen, dass sich Straftäter in einem Europa ohne Grenzen der Strafverfolgung nicht einfach entziehen können, indem sie in ein anderes Land reisen. Normalerweise sind Auslieferungen auch völlig unspektakulär, weil es in Europa einen sehr großen gemeinsamen Kern an Strafrecht gibt.
Mord ist Mord – in Spanien wie in Deutschland. Aber der Vorwurf der Rebellion ist doch etwas anderes. Hätten das die spanischen Behörden nicht wissen können?
Ich will es so sagen: Ich glaube, dass sich die spanische Staatsanwaltschaft hätte schlau machen können, dass eine Straftat der Rebellion oder gleichartiges in Deutschland nicht existiert. Aber man wollte offenbar auch ein innenpolitisches Signal aussenden. Doch das Prinzip der Gegenseitigkeit ist eben die Garantie gegen den Missbrauch des Europäischen Haftbefehls.
Lassen sich Unabhängigkeitsbestrebungen von Landesteilen wie im Fall Kataloniens vor Gerichten klären, oder ist in solchen Fällen nicht die Politik gefragt?
Das sind immer politische Prozesse. Wir dürfen aber nicht vergessen: Die Unabhängigkeit spanischer Provinzen ist nach der spanischen Verfassung ausgeschlossen. Das ist auch nach dem deutschen Grundgesetz nicht anders. Auch Bayern könnte sich nicht auf ein vorgebliches Selbstbestimmungsrecht der Völker berufen und sich abseilen. Aber eine politische Diskussion über solche Unabhängigkeitsbestrebungen ist natürlich möglich und nötig. Das ist jedoch eine innerstaatliche Angelegenheit Spaniens. Die EU sollte und kann sich nicht einmischen.