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Callcenter für Beschwerden und Fragen Callcenter für Beschwerden und Fragen: Nahles startet Telefon-Hotline zum Mindestlohn

Von Karl Doemens 23.10.2014, 17:12

Berlin - Auf jedem Pult stehen zwei Monitore, eine Tastatur und ein großes Telefon. Kein Kalender, kein Foto, nicht einmal ein Notizblock. Lange blaue Stellwände grenzen die Arbeitsplätze voneinander ab. Ein paar Wimpel an der Decke und drei farbige Wörter an der Wand sind der einzige Schmuck des Großraumbüros. „Grüezi“, „Händy“ und „Adee“ steht an der Mauer: Die Mitarbeiter des Callcenters am Berliner Gleisdreieck betreuen die Kunden eines Schweizer Kabelnetzbetreibers.

Die Callcenter-Branche gilt seit Günter Wallraffs Undercover-Recherche als Schmuddelkind der deutschen Tariflandschaft. Mehr als eine halbe Million Männer und Frauen arbeiten hier – teilweise zu Hungerlöhnen. Doch bei ihrem Firmenbesuch am Donnerstag hat Arbeitsministerin Andrea Nahles beste Laune: „Der Mindestlohn von 8,50 Euro schafft eine Haltelinie nach unten“, verkündet die SPD-Politikerin. Harry Wassermann, der Chef des Branchenfünften SNT Deutschland, nickt.

Übergangsfrist bis 2017

„Ich finde das gut und richtig“, pflichtet der Manager der Ministerin bei: „Wir müssen in Deutschland würdige und anständige Gehälter zahlen.“ Bereits seit Längerem hebe der Telemarketing-Dienstleister seine Gehälter stufenweise an. Derzeit verdienen laut Wassermann noch etwa 40 Prozent der 3500 Beschäftigten knapp unter 8,50 Euro in der Stunde. Zum Jahreswechsel ist damit Schluss: „Wir wollen durch Qualität überzeugen und nicht durch Lohndumping.“

Solche Worte hört Nahles gerne. In ihrem Ministerium gehen derzeit nämlich nicht nur freundliche Briefe ein. Manche Branchen wie das Taxigewerbe, die Zeitungsverleger, die Landwirtschaft und die Gastronomie tun sich mit der gesetzlichen Lohnuntergrenze unverändert schwer und befürchten Jobverluste. Gleichzeitig nutzt der Koalitionspartner CSU die Konjunkturschwäche, um öffentlichkeitswirksam das ganze Gesetz in Frage zu stellen.

Doch solche Vorstöße werden kaum Erfolg haben. „Was wir im Koalitionsvertrag miteinander festgeschrieben haben, wird umgesetzt“, hat Unions-Fraktionschef Volker Kauder gesagt. Der Mindestlohn ist von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Zahlreiche Branchen haben sich darauf eingestellt und nutzen mit eigenen Tarifverträgen die Übergangsfrist bis 2017. So erhalten Friseure erst im August 2015 den Mindestlohn von 8,50 Euro. Fleischer bekommen von Oktober 2015 an 8,60 Euro. Wäscherei-Mitarbeiter müssen bis zum Juli 2016 auf einen Stundenlohn von 8,75 Euro warten.

Im Ministerium beschäftigt man sich nun mit den letzten Ausführungsbestimmungen des Gesetzes. So müssen die an Stückkosten orientierten Löhne von Zeitungszustellern oder Erntehelfern auf Stundenbasis umgelegt werden. Zudem ist noch unklar, ob Langzeitarbeitslose gezwungen werden können, ihren Status bei der Bewerbung offenzulegen, sodass der Arbeitgeber sie vorübergehend schlechter bezahlen könnte.

Auch erste Meldungen über Umgehungstatbestände beschäftigen die Beamten. So gibt es im Gaststättengewerbe Tendenzen, das bislang gezahlte Weihnachts- und Urlaubsgeld dem Stundenlohn zuzuschlagen und so die Lohnuntergrenze zu erfüllen. Rechtlich ist das möglich. Hingegen dürfen Feiertags- oder Akkordzuschläge nicht verrechnet werden.

Trotz aller Schwierigkeiten ist Nahles überzeugt: „Der Mindestlohn ist eine der großen sozialpolitischen Reformen.“ Die Sorge vor der Abwanderung von Arbeitsplätzen ins Ausland hält SNT-Chef Wassermann für unbegründet: „Ich wüsste nicht, wo man beispielsweise in Rumänien nachhaltig tausend gut Deutsch sprechende Mitarbeiter finden sollte.“ Ähnlich wie die Vertreter des Friseur-Handwerks erwartet der Callcenter-Manager sogar eine positive Wirkung der Reform: „Ein flächendeckender Mindestlohn kann dem ruinösen Preiskampf nach unten in der Branche ein Ende setzen.“

Der Chef spart

Drei Millionen Euro zusätzliche Personalkosten muss SNT laut Wassermann durch das Gesetz schultern – bei einem Umsatz von 92 Millionen Euro kein Kleingeld. „Wir haben uns mit Blut und Schweiß dahingearbeitet“, sagt Wassermann. Er selber habe kein Vorzimmer, und in den Toiletten des Unternehmens seien die Papierhandtücher durch Gebläsetrockner ersetzt worden. Ganz schlüssig wirkt diese Kalkulation noch nicht. Offenbar setzt der Manager darauf, mit der Einführung des Mindestlohns in der Branche mittelfristig höhere Preise durchsetzen zu können.

Vielleicht hebt die Lohnerhöhung ja auch die Stimmung unter den Mitarbeitern der Callcenter. Wie lange er schon dort arbeite, wird beim Firmenrundgang ein junger Mann gefragt. „Zu lange“, lautet seine Antwort. Was das bedeute? „Ein ganzes Jahr.“