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Bundeswehr Bundeswehr: Entwürdigende Rituale

Von MARKUS DECKER 23.02.2010, 11:32

BERLIN/MZ. - Dabeiwird die Borstenscheibe einer elektrisch betriebenenBohnermaschine an den nackten Hintern einesRekruten gehalten, bis er rot ist. Der WehrbeauftragteReinhold Robbe (SPD) wird den Ausschuss mitdiesen und anderen Exzessen bei der 250000-Mann-Armeekonfrontieren. Der grüne SicherheitsexperteOmid Nouripour beklagt schon jetzt ein "eklatantesFührungsversagen" in der Bundeswehr und forderteine Reform der Offiziersausbildung.

Robbe hatte den Verteidigungsausschuss bereitsMitte Februar über die Aufnahmerituale beiden Gebirgsjägern in Mittenwald informiert- dort, wo auch Verteidigungsminister Karl-Theodorzu Guttenberg (CSU) einst stationiert war.In Mittenwald mussten Neulinge den "Fuxtest"über sich ergehen lassen, zu dem das Essenroher Schweineleber und Alkoholkonsum biszum Erbrechen gehörte. Die Enthüllung hattefür großes Aufsehen gesorgt und zu staatsanwaltlichenErmittlungen geführt. In der Vergangenheithatte es ähnliche Nachrichten immer wiedergegeben - so aus dem westfälischen Coesfeld(2004) oder dem pfälzischen Zweibrücken (2006).Nach den Nachrichten aus Mittenwald weitetsich auch diese Affäre aus.

So legte der Wehrbeauftragte dem Verteidigungsausschusses23 von insgesamt 54 Zuschriften vor, die erbekommen hatte. Darin werden Exzesse in zahlreichenTruppenteilen von der Marine bis zur Luftwaffewährend der vergangenen vier Jahrzehnte geschildert.Im baden-württembergischen Ellwangen wurdezum Beispiel "Jukebox" gespielt.

Dabei wird ein Soldat in seinen Spindeingeschlossen und darin dann umgestoßen,während er bestimmte Lieder singen muss. Einehemaliger Soldat, der auf dem Zerstörer "Lütjens"diente, berichtete von einem Ritual namens"Feuertanz": Dabei mussten Rekruten ihre Hoseherunterziehen und in die Hocke gehen. Dannsollen ihnen Kerzendochte in den nackten Hinterngesteckt worden sein. "Diese wurden angezündetund durch ,Arschwackeln’ zum Runterfallengebracht", so der Soldat.

Noch problematischer als diese Rituale ansich ist, dass die Vorgesetzten nach Angabenvon Reservisten von derlei "Späßen" der Mannschaftsgradewussten. Das jedenfalls geht aus mehrerenE-Mails hervor. Die Frage lautet nun, waszu tun ist. Hier teilt sich die Fachwelt derVerteidigungspolitiker in zwei Lager.

Eher linke Kritiker wie der Grüne Nouripourmahnen Konsequenzen an. Die Vorsitzende desVerteidigungsausschusses, Susanne Kastner(SPD), reagiert mit Unverständnis auf dieRituale (siehe Interview unten). Für vieleKritiker ist nun die wichtigste Frage, obund in welchem Umfang vorgesetzte Offizierevon den Vorkommnissen wussten. Der Geschäftsführerder FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen,bewertete die nun bekannt gewordenen eherzurückhaltend. "Aufnahmerituale sind einealte militärische Tradition. Aber die dürfennicht menschenunwürdig sein. Das ist die Grenzenach unten, die nicht unterschritten werdendarf", sagte van Essen.

Und der ehemalige Generalinspekteur HaraldKujat befindet zwar: "Das sind widerlicheAuswüchse, die in einer Gesellschaft von 250000Frauen und Männern mal vorkommen. Dagegenmuss man vorgehen. Die Vorgesetzten müssenordentlich Dienstaufsicht machen." Er ergänztallerdings auch: "Das ist kein Faktum, dasdie Schlagzeilen der Republik beschäftigenmüsste. Man muss nicht aus jeder Mücke einenElefanten machen. Ich kann nur sagen: tieferhängen!" Meist seien bei diesen Ritualen Alkoholund Gruppenzwang im Spiel, so Kujat. Und oftereigneten sich derartige Exzesse in Eliteeinheiten,die sich für etwas Besonderes hielten. "Dasist nicht symptomatisch für die Streitkräfte."Diese Haltung ist in den Streitkräften Konsens.

Das Verteidigungsministerium kann sich eineBeschönigung nicht leisten. "Wir klären auf",sagt deshalb Verteidigungs-StaatssekretärThomas Kossendey (CDU). "Wir prüfen, ob strafrechtlicheVergehen vorliegen. Wir werden das ahndenund alles versuchen, diese Sachen abzustellen."Doch auch Kossendey beschwichtigt: "Die Vorgängesind teilweise 20 Jahre alt. Man sollte sehrvorsichtig sein, das eins zu eins auf dieBundeswehr von heute zu übertragen."