1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Bundesverkehrsminister: Bundesverkehrsminister: Mit Volldampf ins Abseits

Bundesverkehrsminister Bundesverkehrsminister: Mit Volldampf ins Abseits

Von Markus Decker und Jochen Loreck 11.11.2007, 18:42

Berlin/MZ. - Autofahrer verstehen etwas von Schrammen und Beulen. Der für Verkehr zuständige Bundesminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sammelt auf diesem Gebiet ständig neue und höchst unangenehme Erfahrungen. Er wird beschädigt. "Glücklos, farblos, harmlos", lautet ein Urteil aus seinem Ministerium.

Heute wird Tiefensee den wohl letzten Versuch starten, die seit Monaten umstrittene Teil-Privatisierung der Bahn doch noch auf die politische Schiene zu setzen. Am Ende des Bemühens könnte die Komplett-Entgleisung stehen. Denn auf der Suche nach einem Kompromiss hat sich der 52-jährige Ressort-Chef in eine ungünstige Lage rangiert.

Kaum hatte der Gesetzentwurf im Sommer das Kabinett passiert, stellten sich die Verkehrsminister der Länder auf die Bremse. Die 16 Länder-Kollegen von Tiefensee präsentierten ein Gutachten, wonach im Fall der Privatisierung schwere Nachteile für den Regionalverkehr auf der Schiene drohten. Landesverkehrsminister von Union und SPD stimmten einhellig das gleiche Klagelied an: Die Bahn-Verbindungen zwischen den ländlichen Räumen und den Städten könnten weiter ausdünnen, Bahnhöfe mit geringem Passagier-Aufkommen würden dicht gemacht.

Angst vor "Börsenbahn"

Angesichts des Gegenwinds schwenkte er Anfang Oktober um und äußerte Sympathie für das SPD-intern immer stärker vertretene Konzept, den Finanzbedarf der Bahn über stimmrechtslose Aktien - auch Volksaktien genannt - abzusichern. Grassierende Ängste vor einer "Börsenbahn" sollten so eingedämmt werden. Vollmundig erklärte der SPD-Minister: "Die SPD rückt näher zu den Menschen, die Union zum Kapital." Der Verdacht, Tiefensee sei nichts anderes als verlängerter Arm von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, blieb dennoch haften. Erst im zweiten Wahlgang gelang dem gelernten Elektro-Ingenieur aus Gera beim SPD-Bundeskongress Ende Oktober der Wiedereinzug in den 45-köpfigen Vorstand.

Dabei ist Tiefensee vor zwei Jahren als Hoffnungsträger in Berlin gestartet. Der DDR-Bürgerrechtler, im Zuge der Einheit kometenhaft als Leipziger Kommunalpolitiker aufgestiegen und zum Oberbürgermeister der Messestadt avanciert, war dazu ausersehen, das neue Ost-Gesicht der SPD auf der bundespolitischen Bühne zu werden. Immerhin gibt der Ressort-Zuschnitt einiges her, um sich in Szene zu setzen. Tiefensee, Dienstherr über 1 600 Mitarbeiter seines Ministeriums, ist nicht nur für den Verkehr zu Lande, zu Wasser und in der Luft zuständig. Er ist zudem Bauminister und Ost-Beauftragter. Das Ministerium mit einem Etat von 24 Milliarden Euro verfügt über enorme Möglichkeiten der Gestaltung.

"Das Problem", sagt der grüne Verkehrsexperte Peter Hettlich, "scheint mir darin zu bestehen, dass dieser Minister vor lauter Harmonie-Sucht nicht weiß, wo er eigentlich hin will." Hettlich fügt hinzu: "Tiefensee setzt stets ein freundliches Gesicht auf. Er redet gern - und verliert sich doch immer im Nebulös-Ungefähren. Es fehlt ihm das Klare und Kantige."

Nichts konnte Tiefensee ungelegener kommen als jüngst die Aussagen der eigenen Mitarbeiter zu seinen Führungsqualitäten. In einer Belegschaftsumfrage des Personalrats meinten 67 Prozent, dass Tiefensee dem Betriebsklima eher schade. Lediglich elf Prozent nannten die Führungsverantwortung des Ministers "gut" oder "sehr gut". Dagegen fanden 57 Prozent sie "schlecht" oder "eher schlecht".

Anlass zu Spott gab eine Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion, an der Alt-Kanzler Helmut Schmidt als Gast teilnahm. Schmidt stellte die Verdienste der SPD-Minister in der großen Koalition heraus, nannte an erster Stelle Vizekanzler Franz Müntefering und Finanzminister Peer Steinbrück. Ganz zum Schluss kam Schmidt auf den Verkehrsminister zu sprechen - und nannte ihn "Minister Tiefental".

Tiefensee nimmt zwar gern das Wort "Erfolgsgeschichte" in den Mund. Tatsächlich hat er sich den Ruf erworben von einem Künder, der kein Kärrner ist. Das Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung stoppte höchstselbst der Bundespräsident. Beim internationalen Satelliten-Projekt "Galileo" ließen ihn die EU-Partner im Regen stehen. Als es um den Bußgeld-Katalog für schwere Verkehrsverstöße ging, legten sich die Länder quer und forderten Nachverhandlungen. Beim deutsch-russischen Streit um die Überflugrechte für Fracht-Flugzeuge handelte er sich ein Dementi der Lufthansa ein.

Alternative fehlt

Mittlerweile reagiert der Katholik zunehmend empfindlich auf Kritik. Die Sitzung des Verkehrsausschusses am vorigen Mittwoch verließ er mit "wehendem Rock", wie ein Teilnehmer sich erinnert. So entwischte er der Opposition. Ein Interview, das in die Frage mündete, ob er an Rücktritt denke, hätte er unlängst beinahe abgebrochen. Er antwortete: "Keineswegs! Zur Politik gehört, dass es auch mal Gegenwind gibt."

Dass Tiefensee fällt, ist nicht wahrscheinlich - es sei denn, er geht von sich aus. Kanzlerin Angela Merkel hält nicht viel von Kabinettsumbildungen. Und über ihre Minister-Riege entscheidet die SPD sowieso selbst. Eine personelle Alternative zu Tiefensee fehlt - jedenfalls so lange ein Ostdeutscher den Posten bekleiden soll.

"Was ist eigentlich die besondere Begabung von Wolfgang Tiefensee?", fragte jüngst ein gefrusteter SPD-Mann. Und er gab auch gleich die Antwort auf die selbst gestellte Frage: "Na ja, er kann sehr schön Cello spielen."