Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgericht: Der Rechtsstaat nagt am Kopftuch
Berlin/Karlsruhe/MZ. - Darf eine dem muslimischen Glauben an hängende Lehrerin in einer deutschen Schule ein Kopftuch tragen - und zwar als Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung? Die Antwort bleibt nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts in der Schwebe. Die Karlsruhe Richter stellen es in das Ermessen der Bundesländer, ob sie das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht verbieten wollen - oder nicht.
Die 31-jährige, seit 1987 in Deutschland lebende und 1995 eingebürgerte Afghanin Fereshta Ludin wurde trotz eines mit der Note 1,8 abgeschlossenen Studiums in Baden-Württemberg nicht als Lehrerin angestellt - wegen des Kopftuches. Die inzwischen in einer Berliner islamischen Grundschule lehrende Frau beschritt daraufhin den Klageweg, der am Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht endete. Die Richter entschieden nun nicht prinzipiell, sondern pragmatisch: Die Tatsache, dass die Klägerin in Baden-Württemberg nicht angestellt wurde, sei rechtswidrig.
Z-TITEL: "Das Tragen eines Kopftuches ist ein Zeichen kultureller Abgrenzung." Wolfgang Bosbach Unionsfraktionsvize
Aber nicht weil diese Entscheidung gegen das Grundgesetz verstoße, sondern weil dafür in dem Land keine ausreichende Rechtsgrundlage vorhanden sei. Kurzum: Wer in Schulen keine Kopftücher will, muss das ins Gesetz hineinschrieben. Da Bildung in Deutschland Ländersache ist, muss es im Zweifel 16 neue Gesetze geben.
Das Urteil ist in der Bundespolitik - die nichts zu entscheiden hat - umstritten. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle nannte den Spruch "weise". Seine Begründung deckt sich mit der von Grünen-Chefin Angelika Beer, die schrieb: "Wir begrüßen dieses Urteil, weil es eine politische Lösung des Wertekonflikts zulässt und einfordert." Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warf dem Gericht hingegen "Feigheit" vor, weil es dem Thema letztlich ausgewichen sei.
Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach meinte: "Es ist schon kurios, dass es die religiöse Neutralität des Staates gebieten soll, Kruzifixe in Klassenzimmern abzuhängen. Das Tragen von Kopftüchern im Unterricht aber wird erlaubt, so lange es nicht Landesgesetze ausdrücklich verbieten." Das Tragen eines Kopftuches sei aber ja gerade Zeichen kultureller Abgrenzung. "Zur Freiheit der Religionsausübung gehört es nicht, Kinder im Unterricht religiös zu beeinflussen", so Bosbach. Auf einem ganz anderen Blatt steht, was aus dem Urteil praktisch folgt. Sowohl das von SPD und PDS regierte Berlin als auch das CDU-regierte Hessen wollen Kopftücher im Unterricht gesetzlich verbieten, ebenso Bayern. Ausgerechnet Baden-Württemberg möchte die Sache jedoch prüfen. Im Kultusministerium von Sachsen-Anhalt hieß es, im Land gebe es keine muslimische Pädagogin. Insofern sei das Ganze hier eine eher theoretische Frage.
Einigkeit herrscht bloß in einem Punkt: Der Ball liegt seit Mittwoch im Feld der Politik.