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Bundestagswahl Bundestagswahl: Schröder und Merkel beanspruchen beide das Kanzleramt

18.09.2005, 11:52
Die CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) winken jeweils ihren Anhängern am Abend nach der Bundestagswahl in Berlin zu. (Foto: dpa)
Die CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) winken jeweils ihren Anhängern am Abend nach der Bundestagswahl in Berlin zu. (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - Mehrere Stunden nachSchließung der Wahllokale lag die Union am Sonntagabend bei denSitzen wegen der Überhangmandate wieder hauchdünn vor der SPD. DieNachwahl im vor drei Jahren hart umkämpften Wahlkreis Dresden Ikönnte am 2. Oktober endgültig über die Kräfteverhältnisseentscheiden. Denkbar wäre dann ein Patt oder sogar ein SPD-Mandatsvorsprung.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Unions-KanzlerkandidatinAngela Merkel (CDU) beanspruchen das Kanzleramt für sich. Beidewollen nun mit allen anderen Parteien außer der Linkspartei (Ex-PDS)über ein Bündnis sprechen. Rechnerisch denkbar sind eine großeKoalition, eine Ampelkoalition von SPD, FDP und Grünen sowie einBündnis von Union, FDP und Grünen.

Unabhängig von einem möglichen Gleich- oder Rückstand bei denMandaten sieht sich die SPD als stärkste Kraft im Bund. Schröderbeharrte darauf, dass Parteien die Koalitionsverhandlungen führen,CDU und CSU also getrennt betrachtet werden müssten. Er schloss einegroße Koalition mit der Union unter einer Kanzlerin Merkel aus undreklamierte die Führung eines solchen Bündnisses für sich.

Wahlsieger sind mit starken Gewinnen FDP und Linkspartei. DieFreidemokraten legten sensationell auf das beste Ergebnis seit derWiedervereinigungs-Wahl 1990 zu. Die Linkspartei schaffte inFraktionsstärke den Einzug in den Bundestag, den ihre Vorgängerin PDS2002 verpasst hatte. Die Grünen verloren leicht und fielen vomdritten auf den fünften Platz des Parteienspektrums zurück.

CDU und CSU stürzten auf ihr zweit- oder drittschlechtestesResultat im Bund überhaupt ab. Die SPD kam auf eines ihrerschlechtesten Ergebnisse seit 50 Jahren. Beide verfehlten klar ihreWahlziele: CDU und CSU mit Kanzlerkandidatin Merkel verpassten denMachtwechsel zu Schwarz-Gelb überraschend deutlich; Schröderscheiterte mit dem Anspruch, durch die vorgezogene Wahl einen neuenAuftrag für Rot-Grün zu erhalten.

Dennoch sagte der Kanzler am Abend: «Ich fühle mich bestätigt, fürunser Land dafür zu sorgen, dass es auch in den nächsten vier Jahreneine stabile Regierung unter meiner Führung geben wird.» Niemandaußer ihm selbst sei «in der Lage, eine stabile Regierung zu bilden».

Die CDU-Vorsitzende Merkel könnte als Chefin einer großenKoalition - und rechnerisch auch in einem Bündnis mit FDP und Grünen- als erste Frau ins Kanzleramt einziehen. Merkel sagte: «Wir sindstärkste Kraft und wollen die Regierungsbildung übernehmen.» CDU-VizeChristian Wulff zeigte sich offen für eine große Koalition mit derSPD. Nötig sei eine «handlungsfähige Mehrheit».

CDU/CSU erhielten nach Hochrechnungen von ARD und ZDF (23.00 Uhr)35,2 oder 35,0 Prozent (2002: 38,5 Prozent). Für die SPD stimmten34,2 oder 34,1 Prozent (38,5). Ihr bisheriger Regierungspartner, dieGrünen, kam auf 8,1 oder 8,2 Prozent (8,6). Die FDP verbesserte sichstark auf 9,9 oder 10,0 Prozent (7,4). Die Linkspartei mit Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine und Gregor Gysi erzielte 8,6 Prozent (PDS 2002:4,0). Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 78 Prozent, unter dem Wert vonvor drei Jahren (79,1).

Die Union kommt demnach laut ARD zusammen mit Überhangmandaten auf224 Sitze (zuletzt 247) im neuen Bundestag, die SPD auf 222. Im ZDFerreichte die Union ebenfalls 224 Sitze unter Berücksichtigung derÜberhangmandate, die SPD kam auf 221 Sitze. Laut Forsa kommen CDU/CSUauf 225 Mandate, die SPD auf 223 Mandate. Die FDP erreicht laut ARDund ZDF 62 Mandate (47), die Grünen 50 oder 51 (55). Die Linksparteizieht mit 54 Parlamentariern in den Bundestag ein (bisher 2 direktgewählte PDS-Abgeordnete).

CSU-Chef Edmund Stoiber sagte, die Union werde nach dem«komplizierten Ausgang der Wahl» auch mit den Grünen sprechen. EineKoalition mit FDP und Grünen könne er sich aber «nur sehr sehr schwerals eine Notsituation vorstellen». Einen Wechsel nach Berlin schlossStoiber nicht grundsätzlich aus: «Ich bin bereit, für Deutschlandauch in Berlin Verantwortung zu übernehmen.» Die CSU verlor bei derBundestagswahl in Bayern deutlich an Stimmen.

SPD-Chef Franz Müntefering brachte eine Ampelkoalition mit FDP undGrünen ins Gespräch: «Das Land will Gerhard Schröder alsBundeskanzler haben.» Eine von der Linkspartei tolerierte rot-grüneRegierung schloss er aus. Für die FDP wandte sich Parteichef GuidoWesterwelle gegen eine Ampelkoalition: «Für eine Ampel oder eineandere Ampelei stehen wir nicht zur Verfügung.»

Eine große Koalition hätte nur eine Ein-Stimmen-Mehrheit imBundesrat, da FDP und Linkspartei an mehreren Landesregierungenbeteiligt sind. Eine Ampelkoalition hätte die Länderkammer - wiebisher bei Rot-Grün - gegen sich.

Nach Analysen der Forschungsgruppe Wahlen hat die Abneigung vielerUnionsanhänger gegen eine große Koalition zum zweistelligen FDP-Anteil geführt. Viele hätten deshalb ihre Zweitstimme der FDPgegeben. Nach einer ARD-Untersuchung bekam die FDP besonders vieleStimmen aus der Gruppe der lange Zeit Unentschlossenen. Dass dieUnion nicht so erfolgreich wie erwartet war, führt Infratest Dimapunter anderem auf unklare Signale in der Steuer- und derArbeitsmarktpolitik zurück.

Fast genau 15 Jahre nach der Wiedervereinigung hatte die 51-jährige Merkel nach allen Umfragen vor der Wahl beste Chancen auf dasKanzleramt. Rot-Grün war zuvor in allen Bundesländern gescheitert.Schröder hatte nach dem Wahldesaster der SPD in Nordrhein-WestfalenEnde Mai nahezu im Alleingang eine Neuwahl angekündigt und dazuabsichtlich eine Vertrauensabstimmung verloren.

Symbol der Demokratie: Ein Wähler wirft seinen Wahlzettel in die Urne.
Symbol der Demokratie: Ein Wähler wirft seinen Wahlzettel in die Urne.
dpa Lizenz
Hochrechnung von 21.45 Uhr (Grafik: dpa)
Hochrechnung von 21.45 Uhr (Grafik: dpa)
dpa
Mögliche Regeirungskoalitionen (Grafik: dpa)
Mögliche Regeirungskoalitionen (Grafik: dpa)
dpa