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Gesundheitspolitik im Wahl-Check Bundestagswahl: Gesundheitspolitik im Wahl-Check: Das versprechen die Parteien ihren Wählern

Von Timot Szent-Ivanyi 15.09.2017, 08:00
Deutschland verfügt über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt – aber auch eines der kompliziertesten.
Deutschland verfügt über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt – aber auch eines der kompliziertesten. dpa

Berlin - Dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer wird die Erkenntnis zugeschrieben, dass man mit dem Thema Gesundheit keine Wahlen gewinnen, wohl aber verlieren könne. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und die Fachpolitiker der großen Koalition sind diesem Motto in den vergangenen Jahren konsequent gefolgt: Statt die gute Wirtschaftslage und die sprudelnden Beitragsquellen dafür zu nutzen, längst überfällige Reformen umzusetzen, wurde das Geld mit vollen Händen ausgegeben, auch um Probleme zu verdecken und Lobbyisten zufrieden zu stellen.

Für die Versicherten sind die Verbesserungen dabei überschaubar geblieben. Lobenswerte Ausnahme: Der lange verschleppte und nun endlich verwirklichte Umbau der Pflegeversicherung.

In Deuschland wird zu viel operiert

Deutschland verfügt über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, aber auch über eines der teuersten. Experten beschrieben das schon vor Jahren mit dem Satz, in Deutschland gebe es ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung. Hierzulande wird im internationalen Vergleich zu viel untersucht, analysiert und vor allem operiert, ohne dass die Bevölkerung gesünder wäre als in an vielen anderen europäischen Ländern.

Deutschland leistet sich teure Parallelstrukturen, die Experten die „doppelte Facharztschiene“ nennen: Kliniken und niedergelassene Ärzte konkurrieren miteinander, eine sinnvolle Verzahnung und Planung existiert nicht. In den Städten drängeln sich die Ärzte, dennoch sind die Notaufnahmen voll. Auf dem Land herrscht Mangel. Die Lücken im Personal werden in allen Bereichen immer größer, da in den kommenden Jahren viele Mediziner in den Ruhestand gehen. Die Kliniken und Pflegeheime suchen schon jetzt händeringend Personal.

Kaum Antworten der Koalition

Das alles ist seit Jahren bekannt, doch die große Koalition hat darauf kaum Antworten gefunden. Exemplarisch dafür steht die Klinikreform:  Bundesweit gibt es zu viele Betten, jedes fünfte Krankenhaus schreibt Verluste. Die Antwort wäre die Schließung unrentabler Häuser, eine stärkere Spezialisierung  sowie eine bessere Vernetzung mit dem ambulanten Sektor.

In den ersten Entwürfen für die Klinikreform gab es gute Ansätze, doch diese wurde dank intensiver Lobbyarbeit aus unterschiedlichen Richtungen sehr stark verwässert. Am Ende legte die große Koalition so viel Geld drauf, dass selbst schlecht laufende Kliniken zunächst weiter überleben können.

Koalition hat sich selbst ausgebremst

Mächtig in die Hose gingen auch alle Versuche der Koalition, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben. Zwar setzte Gröhe einige Fristen, um die elektronische Gesundheitskarte endlich mit Funktionen zu versehen, die den Patienten auch nutzen, wie ein elektronisches Rezept oder eine elektronische Patientenakte. Doch der Minister selbst ließ dann zu, dass diese Fristen wieder straflos gerissen werden konnten. Tatkräftig sorgte die Koalition dann unsinnigerweise selbst dafür, den Fortschritt zu bremsen: Völlig ohne Not beschlossen Union und SPD, ein Fernbehandlungsverbot im Gesetz zu verankern.

Dabei  gelten Online-Sprechstunden als sinnvolles Mittel, um die Bevölkerung auf dem Land auch in Zukunft gut versorgen zu können.  Kurz vor Ende der Wahlperiode  wollte Gröhe dann auch noch den Versandhandel mit Medikamenten verbieten, um der mächtigen Apothekenlobby zu gefallen. Es liegt auf der Hand, dass gerade der Versandhandel drohende Versorgungslücken schließen kann. Der Minister wollte davon nichts wissen.

Die aus Sicht der Versicherten ungünstigste Neuerung hatten die Koalitionäre bereits ganz am Anfang der Wahlperiode  beschlossen: Das Einfrieren des Arbeitgeberanteils. Seitdem müssen die Versicherten alle Kostensteigerungen allein über den Zusatzbeitrag bezahlen. Das ist bisher noch nicht dramatisch, weil die Beiträge dank der soliden Konjunkturlage weitgehend stabil sind. Doch die milliardenschweren Reformen  – allein die Klinikreform kostet jährlich zwei Milliarden Euro – werden spätestens in der kommenden Wahlperiode zu einem deutlichen Anstieg des Zusatzbeitrags führen, wenn nicht wieder zu einer paritätischen Finanzierung zurück gekehrt wird.

Die Einführung der Pflegeversicherung

Auf der Haben-Seite dieser großen Koalition stehen eindeutig die Verbesserungen bei der Palliativ- und Hospizversorgung und die Pflegereform, die endlich Schluss macht mit der Benachteiligung von Demenzkranken bei den Unterstützungsleistungen. Die größte Reform seit der Einführung der Pflegeversicherung vor mehr als 20 Jahren wurde dank guter Vorbereitung reibungslos eingeführt, was die Bilanz der großen Regierung in der Gesundheitspolitik aufbessert.

Das sagen die Parteien

Die SPD tritt für die Einführung einer Bürgerversicherung ein, in die perspektivisch alle Beamten und Selbstständigen einbezogen werden. Privatversicherte sollen wählen können, ob sie in die Bürgerversicherung wechseln. Für Selbstständige mit geringen Einkommen will die SPD die Beiträge  absenken. Zugleich soll eine einheitliche Honorarordnung  bei den Ärzten dafür sorgen, dass es finanziell keinen Unterschied mehr macht, ob ein Privat- oder ein Kassenpatienten behandelt wird. 

Menschen mit chronischen Erkrankungen will die SPD bei den Zuzahlungen entlasten. Die Investitionen in Kliniken sollen erhöht werden, die Zahl der Hausärzte soll steigen. Das Pflegepersonal muss nach Ansicht der SPD besser bezahlt werden.  Für die Opfer von Kunstfehlern soll es einen staatlichen Entschädigungsfonds geben.

CDU/CSU

CDU und CSU sehen keinen Bedarf für eine Änderung des bisherigen Versicherungssystems. Gesetzliche und private Krankenversicherung  sollen weiter nebeneinander existieren.  Die Zusatzbeiträge, die allein von den Versicherten zu zahlen sind, bleiben bestehen. Die Union tritt dafür ein, die Vernetzung aller Akteure im Gesundheitswesen zu verbessern, damit ältere, oft mehrfach und chronisch erkrankte Menschen, schwer erkrankte Kinder sowie psychisch Kranke angemessen versorgt werden. Insbesondere niedergelassene Ärzte und Klinken sollen besser verzahnt werden. Sowohl in der Alten- als auch in der Krankenpflege  will die Union die Arbeitsbedingungen verbessern, um mehr junge Leute für den Beruf zu gewinnen. Den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten wollen CDU und CSU verbieten.

FDP

Die FDP will den Bürgern  das Recht geben, sich unabhängig vom Einkommen in einer privaten oder einer gesetzlichen Krankenkasse zu versichern. Dazu sollen auch die Wechselmöglichkeiten zwischen den beiden Zweigen vereinfacht werden. Die gesetzlichen Kassen sollen mehr Freiheiten bei den  Tarifen bekommen, etwa durch die Einführung von Selbstbehalten.  Im Bereich der Krankenhäuser setzt sich die FDP für eine Bildung von spezialisierten Profilkliniken und von Zentren ein. Ein Verbot des Versandhandels mit Medikamenten lehnt die FDP ab. Sie will auch Apothekenketten zulassen. Die Palliativ- und Hospizversorgung soll ausgebaut  werden. In der Drogenpolitik treten die Liberalen für eine kontrollierte Freigabe von Cannabis ein.  Künftig soll der Verkauf an Volljährige in lizensierten Geschäften möglich sein.

DIE GRÜNEN

Die Grünen haben umfassende Pläne für eine Bürgerversicherung. In ihr sollen alle Beamten, Selbstständige und Gutverdiener versichert sein. Auch auf Aktiengewinne und Kapitaleinkünfte müssen nach diesen Plänen künftig Krankenkassenbeiträge gezahlt werden. Zuzahlungen für Medikamente und andere Selbstbeteiligungen der Patienten werden laut Wahlprogramm gestrichen.

In der Alten- und Krankenpflege sollen verbindliche Personalschlüssel für mehr Stellen und bessere Arbeitsbedingungen sorgen. Die Notfallversorgung wird reformiert. Die Grünen wollen zudem für eine bessere Bezahlung von Hebammen sorgen. Alle Patienten sollen ein Anrecht auf eine sichere und vernetzte elektronische Patientenakte bekommen. Für die Opfer von Behandlungsfehlern streben die Grünen einen Härtefallfonds an.  

DIE LINKE

Die Linke nennt ihr Modell einer Versicherung für alle Bürger „solidarische Gesundheitsversicherung“.  In ihr soll die gesamte Bevölkerung einzahlen, also auch alle bisher Privatversicherten. Dabei werden auf alle Einkommen - also auch auf Kapitaleinkünfte oder andere Gewinne - in unbegrenzter Höhe  Beträge erhoben.  Im Gegenzug  wird eine dauerhafte Absenkung der Beiträge von jetzt  15,7 Prozent auf unter zwölf Prozent versprochen. 

Die private Krankenversicherung soll nur noch Zusatzversicherungen anbieten dürfen. Die Fallpauschalen in den Kliniken will die Linke abschaffen, insgesamt sollen 100.000 Pflegefachkräfte mehr eingestellt werden. Polikliniken sollen das Rückgrat der ambulanten Versorgung werden. Um die Arzneimittelkosten zu drücken, sollen Patente auf Medikamente verboten werden.

AFD

Die AfD nennt als vorrangiges Problem der gesetzlichen Krankenversicherung die Belastung durch Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber. Zudem will sie das deutsch-türkische Sozialversicherungsabkommen von 1964 kündigen, weil die Partei darin eine Benachteiligung der deutschen Versicherten sieht. Für problematisch hält die AfD die Beschäftigung von ausländischem Personal im deutschen Gesundheitswesen. Das wird mit Sprachdefiziten begründet. Ziel der AfD ist es, durch Anreizsysteme mehr Landärzte zu gewinnen. Der „Pflegenotstand“ in Kliniken und Pflegeheimen  soll  durch einen verbindlichen Personalschlüssel  behoben werden.  Die Partei wünscht sich bei der Versorgung der Patienten einen stärkeren Einsatz von alternativer Medizin. Eine Freigabe von Cannabis lehnt die AfD ab.