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Bundestagswahl Bundestagswahl: Auf leisen Sohlen durch den Wahlkreis

Von MARKUS DECKER 27.08.2009, 17:23

STRALSUND/ZINGST/MZ. - Auf die Frage: "Ich kann jetzt also nicht mit Ihnen reden?" folgt ein knappes: "Nein."

Dorit Tesmer aus dem Jeans-Laden "Chelsea" unter dem Wahlkreisbüro ist offener. Merkel sei alle zwei Monate da, erläutert die junge Frau, die die Kanzlerin nie zu Gesicht bekommen hat, sondern stets nur deren Personal. Tesmer findet dennoch: "Sie macht ihre Aufgabe ganz gut."

Stefan Nachtwey, Inhaber des gegenüber liegenden Tabakgeschäfts, sieht das ähnlich. Merkel verstecke sich nicht und habe bei ihm mal eine Zeitung gekauft. Beide sind stolz auf die Nähe zur Regierungschefin.

Die 55-jährige Pfarrerstochter, die in Hamburg geboren wurde und im brandenburgischen Templin aufwuchs, repräsentiert ja nicht nur Deutschland in der Welt; sie repräsentiert auch die vorpommersche Ostseeküste im Bundestag. 235 000 Menschen in Stralsund sowie den Landkreisen Nordvorpommern und Rügen erwarten, dass Merkel ihre Interessen vertritt. Und selbst Politiker der Linkspartei sagen im Vertrauen: "Angela Merkel hat für Mecklenburg-Vorpommern manches getan." Sie nimmt. Und gibt. Genommen hat Merkel erstmals im Jahr 1990. Damals war Kohls "Mädchen" auf der Suche nach einem Wahlkreis für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl.

An der Küste hatte sie Erfolg - ein Glücksfall, denn ihr Beritt erwies sich als schwarze Hochburg. In Reden kommt Merkel seither oft auf den Wahlkreis zurück - so, als wäre er ihre Heimat.

Doch sie gibt auch. Parteifreund und Parlamentskollege Eckhardt Rehberg zeigt sich "beeindruckt, wie sie es noch schafft, hier so präsent zu sein". Regelmäßig hält Merkel Bürgersprechstunden ab. Die Abgeordnete half, den Bau des Ozeaneums ebenso durchzusetzen wie jenen der neuen Brücke von Stralsund nach Rügen. Die Redaktion der "Ostsee"-Zeitung freut sich: "Sie erkennt auch die kleinen Lokaljournalisten wieder." Merkels Popularität sieht man daran, dass die unscheinbaren Messing-Schilder, die auf ihr verschwiegenes Büro in der Ossenreyerstraße hinweisen, immer wieder gestohlen werden. Darauf steht: "Bundestagsabgeordnete der CDU Dr. Angela Merkel."

Natürlich lässt sich Merkel auch jetzt blicken. Schließlich ist Wahlkampf. Da künden Plakate etwa in Zingst oder Binz an: "Die Kanzlerin kommt." Dabei lernen Einheimische und Touristen eine menschelnde und fast unpolitische Merkel kennen. Die Interessenlagen der CDU-Frau und ihrer Hörer sind identisch. Sie möchte auf leisen Sohlen an der Macht bleiben. Reisende möchten im Urlaub eines nicht hören - wie schlecht es Deutschland geht.

So beginnt das Ganze mit einem lockeren Small-Talk. Merkel darf Sätze sagen wie: "Wenn man nicht mehr Mensch sein kann, kann man einpacken." Dann spricht sie von "politischer Gemeinschaft" und dass das "auch etwas mit Freundschaft zu tun" habe. Die Mecklenburger seien zudem sehr verschwiegene Leute, die nicht alles der Presse erzählten. Wie schön. Merkel erzählt auch nicht alles der Presse. So sitzen in Zingst die eine Kanzlerin und die vielen Durchschnittsdeutschen plötzlich in einem Boot.

Die Band "Undercover" singt Tina Turners Gassenhauer "Simply the Best" ("Einfach die Beste") - was auf die Regierungschefin gemünzt ist. Erst danach hält Merkel ihre Rede. Sie spricht von der deutschen Einheit, die es mit Oskar Lafontaine nie gegeben hätte. Sie plädiert für Steuersenkungen, mehr Investitionen in Bildung und mehr Väter-Monate, erklärt jedoch auch: "Als Helmut Kohl versprochen hat, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, ist nichts geblieben außer Enttäuschung." Also macht Merkel so was nicht. Lieber sagt sie: "Wir haben doch ein tolles, ein schönes Land." Ein Land, in dem Sozialdemokraten offenbar nicht wohnen. Denn sie kommen in der Kanzlerinnen-Rede nicht vor. Die betont: "Aufeinander rumhacken ist nicht mein Ding. Wenn der andere eine gute Idee hat - ist okay." Der andere könnte SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sein. Muss aber nicht.

Die Leute finden's gut. Sie klatschen. Sie strecken der Kanzlerin ihre Hände entgegen und zücken ihre Digital-Kameras. "Vielen Dank", ruft eine Frau. "Und jetzt vier Wochen nicht Hände waschen", eine andere. Das soll ein Scherz sein. Doch es ist bestenfalls ein halber.