Zuwanderung Bundestagswahl 2017: Weniger Einbürgerungen - Forscher sieht darin Demokratieproblem

Berlin - Wer ist Deutsche oder Deutscher? Jemand, der einen deutschen Pass hat, der in Deutschland geboren ist oder deutsche Eltern hat? Heute halten zwei von drei Deutschen die Staatsbürgerschaft für entscheidend, also den Pass. An der in drei Wochen stattfindenden Bundestagswahl darf nur teilnehmen, wer deutscher Staatsbürger ist. Allerdings wächst die Zahl der Menschen, die teilweise seit vielen Jahren in Deutschland leben und nicht stimmberechtigt sind, rund acht Millionen Erwachsene dürfen am 24. September nicht wählen.
Der Migrationsforscher Dietrich Thränhardt von der Universität Münster sieht darin ein Problem für die Demokratie, da diese Bewohner Deutschlands nicht im Bundestag repräsentiert seien und nicht demokratisch partizipieren könnten. „Es gibt 400.000 weniger Wahlberechtigte, aber zwei Millionen mehr Menschen in Deutschland als vor vier Jahren“, moniert Thränhardt. Der wichtigste Grund dafür ist, dass in Deutschland – auch im internationalen Vergleich – nur wenige Menschen eingebürgert werden. „Die Einbürgerung hält mit der Einwanderung nicht Schritt“, so Thränhardt, der am Donnerstag in Berlin gemeinsam mit anderen Migrationsexperten vor den negativen Folgen dieser Entwicklung warnte.
„Wir sehen Zugewanderte noch nicht als Staatsbürger in spe.“
Tatsächlich ist die Zahl der Einbürgerungen in den letzten Jahren in Deutschland sogar kontinuierlich gesunken. Wurden im Jahr 2001 noch etwas mehr als 178.000 Menschen Deutsche, waren es zuletzt immer nur etwas mehr als 100.000. Prozentual gesehen fällt der Rückgang noch deutlich stärker aus, weil zugleich die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer gestiegen ist - nur 1,3 Prozent von ihnen bekamen 2015 einen deutschen Pass. An der Spitze in Europa liegt laut Zahlen der OECD Schweden, gefolgt von Portugal, Italien und den Niederlanden.
Dass nur rund 100.000 Menschen im Jahr eingebürgert würden, sei viel zu wenig, kritisiert auch der Einbürgerungsexperte Falk Lämmermann von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz beim Bund. „Es gibt in Deutschland noch keine Kultur, bei der Einbürgerungen zum Einwanderungsprozess dazugehören“, so Lämmermann. „Wir sehen Zugewanderte noch nicht als Staatsbürger in spe.“ Beide Experten sprachen sich für eine Vereinfachung des sehr komplizierten deutschen Staatsbürgerschaftsrechts und der Bestimmungen zur Einbürgerung aus. Einbürgerungen beschleunigten nicht nur die Integration in den Arbeitsmarkt, sondern erhöhten auch die Bereitschaft, sich in Deutschland gesellschaftlich und politisch zu engagieren. „Dass Bevölkerung und Staatsvolk weitgehend zur Deckung kommen, liegt im Interesse der deutschen Demokratie“, so Thränhardt.
5,2 Millionen Menschen könnten sich einbürgern lassen
Interessant ist, dass es regional sehr große Unterschiede gibt. Gut schneiden Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern ab, auf den letzten beiden Plätzen unter den Bundesländern liegen Berlin und Bayern. Ist es in Berlin vor allem die miserabel funktionierende öffentliche Verwaltung, die dazu führt, dass nur sehr wenige Ausländer eingebürgert werden, liegt es in Bayern an der restriktiven Politik. Auch zwischen Städten und kleineren Orten auf dem Land gibt es große Unterschiede.
Grundsätzlich sind Einbürgerungen Sache der Kommunen. Die deutsche Staatsbürgerschaft kann bekommen, wer mindestens acht Jahre ununterbrochen in Deutschland lebt, gute Sprach- und Landeskenntnisse hat und seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Das trifft derzeit für etwa 5,2 Millionen Menschen in Deutschland zu. Allerdings lebt ein großer Teil von ihnen bereits mehr als 20 Jahre hier oder kommt aus anderen EU-Ländern, deren Bürger den deutschen mit Ausnahme des Wahlrechts heute faktisch gleichgestellt sind. Deshalb ist bei Menschen aus den EU-Kernländern das Interesse, sich einbürgern zu lassen, eher gering, obwohl sie in der Regel problemlos auch eine doppelte Staatsbürgerschaft haben können.
Besonders schnell Deutsche werden wollen dagegen Menschen aus sehr armen und konfliktgeplagten Staaten wie Syrien, Irak und Afghanistan, aber auch aus Kamerun und Nigeria, die nur wenig Hoffnung haben, in ihre Heimatländer zurückzukehren. Häufigstes Herkunftsland der Eingebürgerten in Deutschland ist aber immer noch die Türkei.