Bundespräsident zu Flüchtlingspolitik Bundespräsident zu Flüchtlingspolitik: Gauck rügt die Bundesregierung
Berlin - Bundespräsident Joachim Gauck ist ungewöhnlich scharf mit der deutschen Flüchtlingspolitik ins Gericht gegangen und hat mehr Solidarität in Europa mit den Hilfesuchenden gefordert. Deutschland und Europa täten viel, „aber nicht so viel, wie es uns selbst manchmal scheint“, sagte das Staatsoberhaupt bei einer Tagung der Evangelischen Akademie zum Flüchtlingsschutz am Montag in Berlin. „Blicken wir nur auf uns selbst, neigen wir nicht selten zur Selbstgerechtigkeit“, so Gauck.
Die Flüchtlinge, die an Italiens oder Maltas Küsten landeten, seien nicht allein die Angelegenheit der beiden Länder. „Es ist unsere gemeinsame Verantwortung als Europäer, sie menschenwürdig zu behandeln“, forderte Gauck und fügte hinzu: „Eines sollten wir nicht tun: einander vorrechnen, was erst der eine tun muss, bevor wir selbst uns bewegen.“
Gauck rügt indirekt die Bundesregierung
Man konnte dies auch als eine indirekte Rüge an die Adresse der Bundesregierung verstehen, die die Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik stets mit der Begründung zurückweist, dass kein EU-Staat so viele Flüchtlinge aufnehme wie Deutschland. Der Bundespräsident stellte sich damit auch auf die Seite von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Flüchtlingsorganisationen, die das europäische Asylsystem als ungerecht und inhuman kritisieren und einen anderen Schlüssel bei der Verteilung der Asylbewerber verlangen.
Auch Länder wie Italien oder Griechenland haben das bislang vergebens gefordert. Die Bundesregierung lehnt eine Reform des Dublin-Abkommens strikt ab und beharrt darauf, dass weiterhin das EU-Land für das Verfahren und die Unterbringung des Asylsuchenden zuständig ist, dessen Boden er zuerst betritt.
Gauck beließ es aber nicht bei einem abstrakten Appell: So müsse es für ein gemeinsames Asylverfahren nicht nur in Deklarationen, sondern auch in der Realität in allen europäischen Ländern die gleichen Bedingungen geben. Die Verfahren müssten effektiver sein, kein Flüchtling dürfe ohne Anhörung seiner Fluchtgründe zurückgewiesen werden.
5000 Flüchtlinge aus dem Meer gerettet
Konkret wurde Gauck auch an anderer Stelle. So müsse überlegt werden, wie man mehr legale Zugangswege für Flüchtlinge schaffen könnte. Denn wer einmal vergeblich um Asyl gebeten habe, werde hierzulande kaum durch ein anderes Tor Einlass finden, sagte er und wies auf den Widerspruch hin, dass Flüchtlinge, die hier abgewiesen würden, in vielen Fällen gefragte Qualifikationen mitbrächten.
Ungewollte Aktualität bekam Gaucks Appell durch die Nachricht von einem neuen Flüchtlingsdrama vor Siziliens Küste. 30 Menschen waren auf einem Kutter erstickt, der mit 600 Flüchtlingen beladen war. An diesem Wochenende rettete die Marine insgesamt 5 000 Flüchtlinge.
In Berlin spitzt sich unterdessen der Streit um die besetzte Schule in Friedrichshain-Kreuzberg zu. Eine Woche nach Beginn ihres Großeinsatzes zur Absperrung des Gebäudes forderte die Polizei eine schnelle Lösung von der grünen Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. In einer turbulenten Sitzung des Innenausschusses rief der Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer zu den Grünen herüber: „Ihre Bezirksbürgermeisterin ist eine Schande für die Stadt und sollte unverzüglich zurücktreten!“