Bundespräsident Bundespräsident: Die Gauck-Wende
Magdeburg/MZ. - Sachte bugsieren die Protokollbeamten den Präsidenten zur Landtagstür. Unter den zwei Dutzend Schaulustigen, zehn Meter entfernt hinter einer Absperrkordel, erwacht Unruhe. Der wird doch wohl nicht vorbeilaufen? Einer fasst sich ein Herz und ruft: "Herr Gauck, hier ist das Volk!" In unvermindertem Tempo biegt der Bundespräsident sofort scharf ab und geht zum Rufer. "Herzlich Willkommen in Sachsen-Anhalt", wünscht ihm Bernd Holzwirth. Gauck sagt lachend, er freue sich und schüttelt jede dargebotene Hand, bis er auf Drängen seiner Begleiter weiterzieht.
Der Rufer und spontane Volksvertreter Holzwirth geniert sich hinterher etwas. Längere Haare, Dreitagebart, dreiviertellange Jeans, graue Tennissocken und Sportschuhe. "Ich bin nur zufällig vorbeigekommen", sagt der 47-Jährige. Wenn er geahnt hätte, dass er Gauck trifft, "hätte ich mich anders angezogen". Der Langzeitarbeitslose ist aber begeistert. "Gauck ist nett und bürgernah. Er strahlt Hoffnung aus - anders als die Merkel. Ich glaube, dass er etwas bewegen kann."
An diesem Tag besucht Gauck mit Lebensgefährtin Daniela Schadt die Landesregierung, das Parlament, die Polizeischule in Aschersleben sowie in Halle einen Skaterpark, ein Mehrgenerationenhaus und ein Benefizkonzert in der Händelhalle. Ein straffes Programm bis abends um elf. Der minutiöse Zeitplan wird aber immer wieder gerissen. Der Chaosfaktor beim Präsidentenbesuch heißt: Gauck. Das Bad in der Menge ist nie eingeplant, er gönnt es sich aber immer wieder. Allerdings geht Gauck nie von sich aus zu den Menschen. Er lässt sich immer erst von seinen Beamten lotsen - bis er gelockt wird: Wenn einer ruft oder die Menge applaudiert, dann biegt er zum Schrecken seiner Sicherheitsleute schwungvoll ab zur Menge. Das Manöver mit Elan wird eines Tages gewiss "Gauck-Wende" genannt. Er schüttelt dann alle Hände, die er greifen kann, lässt sich mit Bürgern fotografieren, gibt Autogramme. Ein Präsident zum Anfassen. Und es macht ihm Spaß.
In Magdeburg jubeln ihm Fünftklässler von einer anderen Straßenseite zu. Zack, Gauck-Wende, nervös ausschwärmende Bodyguards, zu den Kindern. Alle wollen seine Hand, einer zupft am Bundesverdienstkreuz-Anstecker. Gauck macht alles mit. "Die Schüler haben mir einen so warmen und freundlichen Empfang bereitet. Die wollten mich alle anfassen - um zu sehen, ob ich es wirklich bin!", schwärmt Gauck. Das nimmt man ihm ab. Die offene Art wirkt völlig authentisch und kommt deshalb an - auch bei Vertretern von Parteien, die den Präsidenten eigentlich ablehnen. "Er ist ein freundlicher und lockerer Typ. Der lässt auch schonmal das Protokoll sausen", erzählt der Landtagsabgeordnete Frank Thiel von der Linkspartei. Thiel und einige andere Parlamentarier konnten kurz mit Gauck reden. Er habe sich ehrlich interessiert am Land gezeigt, in allen Facetten. Bei Thiel erkundigte er sich etwa nach dem Verhältnis zwischen Hallensern und Magdeburgern. "Da habe ich ihm gesagt: Das ist wie seit 100 Jahren. Mit dem aktuellen Ärgernis, dass Halle in einer höheren Fußball-Liga als Magdeburg spielt." Da habe Gauck lachend angemerkt, das sei mit Rostock und Schwerin in seiner Heimat Mecklenburg-Vorpommern ähnlich.
Die "Gauck-Wende" zu den Menschen kann der Präsident also auch im Gespräch. Das lockert auch Jana Kirsch, die ihm als Quartiers-Managerin in Halle-Neustadt den Skater-Park erklärt. Mit einer unprätentiösen Art nimmt der Präsident der 35-Jährigen schnell die Scheu. Und "ordentlich Bammel" hatte Kirsch durchaus. "Ich habe zwar gut geschlafen, aber die ganze Nacht vom Präsidenten geträumt." Jugendfrei allerdings, wie sie lachend anfügt.